Abends war Getuschel und Laufen auf den Gangen des Sanatoriums. Antonio kam und brachte eine Einladung. Es sollte noch eine Zusammenkunft im Zimmer eines Russen sein.

»Kann ich denn da so einfach mitgehen?« fragte ich.

»Hier?« fragte Pat zuruck.

»Hier kann man vieles, was sonst nicht geht«, sagte Antonio lachelnd.

Der Russe war ein dunkler, alterer Mann. Er bewohnte zwei Zimmer, in denen viele Teppiche lagen. Auf einer Truhe standen Schnapsflaschen. Die Zimmer waren halbdunkel. Es brannten nur Kerzen. Unter den Gasten war eine sehr schone, junge Spanierin. Sie hatte Geburtstag; das sollte gefeiert werden.

Es war eine eigentumliche Stimmung in diesen uberflackerten Raumen, die an einen Unterstand erinnerten mit ihrem halben Licht, und mit der sonderbaren Verbruderung dieser Menschen, die alle ein gemeinsames Schicksal hatten.

»Was wollen Sie trinken?« fragte mich der Russe. Er hatte eine sehr warme, tiefe Stimme.

»Was Sie haben.«

Er holte eine Flasche Kognak und eine Karaffe Wodka. »Sind Sie gesund?« fragte er.

»Ja«, antwortete ich verlegen.

Er bot mir Zigaretten mit langen Pappmundstucken an. Wir tranken. »Gewi? kommt Ihnen manches hier sonderbar vor, nicht wahr?« meinte er.

»Nicht einmal so sehr«, erwiderte ich. »Ich bin kein normales Leben gewohnt.«

»Ja«, sagte er und sah mit einem dunklen Blick zu der Spanierin hinuber,»es ist eine Welt fur sich hier oben. Sie verandert die Menschen.«

Ich nickte.

»Eine sonderbare Krankheit«, fugte er nachdenklich hinzu. »Sie macht die Menschen lebendiger. Und manchmal besser. Eine mystische Krankheit. Sie schmilzt die Schlacken weg.« Er erhob sich, nickte mir zu und ging zu der Spanierin hinuber, die ihm entgegenlachelte.

»Ein Schmalzpathetiker, was?« fragte jemand hinter mir.

Ein Gesicht ohne Kinn. Eine Beulenstirn. Unruhige, fiebrige Augen.

»Ich bin hier Gast«, sagte ich. »Sie nicht?«

»Damit fangt er die Frauen«, fuhr der andere fort, ohne zuzuhoren,»damit fangt er sie. Die Kleine da auch.«

Ich gab keine Antwort. »Wer ist das?« fragte ich Pat, als er weg war.

»Ein Musiker. Geiger. Er ist rettungslos verliebt in die Spanierin. So, wie man sich hier oben verliebt. Aber sie will nichts von ihm wissen. Sie liebt den Russen.«

»Tate ich auch an ihrer Stelle.«

Pat lachte.

»Ich finde, das ist ein Mann zum Verlieben«, sagte ich.

»Du nicht auch?«

»Nein«, erwiderte sie.

»Warst du nie verliebt hier?«

»Nicht sehr.«

»Es ware mir auch ganz egal«, sagte ich.

»Das sind ja schone Bekenntnisse.« Pat richtete sich auf.

»Es sollte dir aber ganz und gar nicht egal sein.«

»So meine ich das nicht. Ich kann dir nicht einmal erklaren, wie ich es meine. Ich kann es deshalb nicht, weil ich immer noch nicht wei?, was du eigentlich an mir findest.«

»Das la? nur meine Sorge sein«, erwiderte sie.

»Wei?t du es denn?«

»Nicht genau«, erwiderte sie lachelnd. »Sonst ware es ja keine Liebe mehr.«

Der Russe hatte die Flaschen stehengelassen. Ich go? mir ein paar Glaser ein und trank sie leer. Die Stimmung in dem Raum bedruckte mich. Ich sah Pat nicht gern unter all diesen Kranken.

»Gefallt es dir hier nicht?« fragte sie.

»Nicht sehr. Ich mu? mich erst daran gewohnen.«

»Mein armer Liebling…« Sie strich uber meine Hand.

»Ich bin nicht arm, wenn du da bist«, sagte ich.

»Ist Rita nicht sehr schon?«

»Nein«, sagte ich,»du bist viel schoner.«

Die junge Spanierin hatte eine Gitarre auf den Knien. Sie zupfte ein paar Akkorde. Dann begann sie zu singen, und es war, als schwebe ein dunkler Vogel durch den Raum. Sie sang spanische Lieder, mit einer halblauten Stimme – der rauhen, bruchigen Stimme der Kranken. Ich wu?te nicht: Waren es die fremdartigen, melancholischen Melodien, war es die erschutternde, abendliche Stimme des Madchens, waren es die Schatten der in Sesseln und auf dem Boden kauernden Kranken, war es das gro?e, geneigte, dunkle Gesicht des Russen: Mit einem Male kam es mir vor, als ware das alles nur eine schluchzende, stille Beschworung des Schicksals, das drau?en hinter den verhangten Fenstern stand und wartete, eine Bitte, ein Aufschrei und Angst, Angst vor dem Alleinsein mit dem leise fressenden Nichts.

Am nachsten Morgen war Pat frohlich und ausgelassen. Sie beschaftigte sich mit ihren Kleidern. »Zu weit geworden, viel zu weit«, murmelte sie prufend vor dem Spiegel. Dann wandte sie sich mir zu.

»Hast du eigentlich deinen Smoking mit, Liebling?«

»Nein«, sagte ich. »Habe nicht gewu?t, da? man hier einen braucht.«

»Dann geh zu Antonio. Er wird dir einen leihen. Ihr habt ja die gleiche Figur.«

»Der braucht ihn doch selber.«

»Er zieht einen Frack an.« Sie steckte eine Falte ab. »Und dann geh Skilaufen. Ich mu? jetzt hier arbeiten. Das kann ich aber nicht, wenn du dabei bist.«

»Dieser Antonio«, sagte ich,»den plundere ich ja geradezu aus. Was wurden wir blo? machen ohne ihn.«

»Er ist ein guter Junge, was?«

»Ja«, erwiderte ich,»das ist das richtige Wort fur ihn. Ein guter Junge.«

»Ich wei? nicht, was ich gemacht hatte, wenn er nicht dagewesen ware, als ich allein war.«

»Daran wollen wir nicht mehr denken«, sagte ich. »Es liegt so weit zuruck.«

»Ja.« Sie ku?te mich. »Und nun geh Skilaufen.«

Antonio wartete schon auf mich. »Habe mir schon gedacht, da? Sie keinen Smoking mithaben«, sagte er. »Probieren Sie mal die Jacke an.«

Das Jackett war etwas knapp, aber es pa?te ganz gut. Antonio pfiff vergnugt und hangte den Anzug heraus. »Das wird ein gro?er Spa? morgen«, erklarte er. »Glucklicherweise hat die kleine Sekretarin Abenddienst im Buro. Die alte Rexroth wurde uns nicht 'rauslassen. Offiziell ist doch das alles verboten. Aber inoffiziell sind wir naturlich keine Kinder mehr.«

Wir gingen Skilaufen. Ich hatte ganz gut gelernt, und wir brauchten nicht mehr auf die Ubungswiese. Unterwegs begegneten wir einem Mann mit Brillantringen, karierten Hosen und einem wehenden Kunstlerschlips. »Komische Gestalten gibt es hier«, sagte ich.

Antonio lachte. »Das ist ein wichtiger Mann. Ein Leichenbegleiter.«

»Was?« fragte ich erstaunt.

»Ein Leichenbegleiter«, wiederholte Antonio. »Es sind doch hier Kranke aus aller Welt. Besonders viele aus Sudamerika. Nun, und die meisten Familien wollen doch ihre Angehorigen zu Hause beerdigen lassen. Dann reist so ein Leichenbegleiter fur eine anstandige Entschadigung mit und bringt die Zinksarge hin. Auf diese Weise werden diese Leute wohlhabend und kommen viel herum. Den da hat der Tod zum Dandy gemacht, wie Sie sehen.«

Wir stiegen noch eine Zeitlang weiter auf, dann schnallten wir die Schier an und liefen. Die wei?en Hange schwangen auf und ab, und hinter uns raste klaffend, ab und zu bis an die Brust einsinkend, Billy, wie ein rotbrauner Ball. Er hatte sich wieder an mich gewohnt, wenn er auch oft unterwegs kehrtmachte und spornstreichs mit fliegenden Ohren zum Sanatorium zuruckjagte.

Ich ubte Kristianias, und jedesmal, wenn ich den Abhang hinunterglitt und mich auf den Schwung vorbereitete und den Korper lose machte, dachte ich: Wenn dieser gelingt, ohne da? ich falle, wird Pat gesund. Der Wind

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