herumklopfte, abends vor der Bar, als er seine Wette verloren hatte, und sagte:»Fur den Wagen bin ich jederzeit Kaufer.« Verflucht! Koster hatte Karl verkauft! Daher auf einmal das Geld! Karl, von dem er gesagt hatte, er verlore lieber eine Hand als den Wagen. Karl war nicht mehr da. Er war jetzt in den dicken Handen des Anzugfabrikanten, und Otto, dessen Ohr ihn auf Kilometer erkannte, wurde ihn durch die Stra?en heulen horen wie einen versto?enen Hund.
Ich steckte den Brief Kosters und das kleine Paket mit den Morphiumampullen ein. Ratlos stand ich noch immer vor dem Postschalter. Ich hatte das Geld am liebsten sofort zuruckgeschickt, Aber es ging nicht, wir brauchten es. Ich glattete die Scheine und steckte sie ein. Dann ging ich hinaus. Verflucht, von jetzt an wurde ich um jedes Auto einen Bogen machen mussen. Autos waren Freunde, aber Karl war uns noch viel mehr gewesen. Ein Kamerad! Karl, das Chausseegespenst. Wir hatten zusammengehort. Karl und Koster, Karl und Lenz, Karl und Pat. Ich stampfte zornig und hilflos den Schnee von meinen Fu?en. Lenz war tot. Karl war fort. Und Pat? Mit geblendeten Augen starrte ich in den Himmel, diesen grauen, endlosen Himmel eines irren Gottes, der das Leben und das Sterben erfunden hatte, um sich zu unterhalten.
Nachmittags schlug der Wind um, es wurde klarer und kalter, und abends ging es Pat besser. Sie konnte am nachsten Morgen aufstehen, und ein paar Tage spater, als Roth, der Mann, der geheilt war, abreiste, konnte sie sogar mit zur Bahn gehen.
Ein ganzer Schwarm begleitete Roth. Es war hier so ublich, wenn einer abfuhr. Roth selbst war nicht besonders heiter. Er hatte in seiner Weise Pech gehabt. Vor zwei Jahren hatte ihm eine Kapazitat auf seine Frage, wie lange er noch zu leben habe, erklart, da? es hochstens zwei Jahre waren, wenn er sich sorgfaltig pflege. Zur Vorsicht hatte er dann noch einen zweiten Arzt auf Wahrheit und Gewissen befragt. Der hatte ihm noch weniger gegeben. Roth hatte darauf sein Vermogen genommen, es auf zwei Jahre eingeteilt und herausgehauen, was ging, ohne sich um seine Krankheit zu kummern. Mit schweren Blutsturzen wurde er schlie?lich in das Sanatorium eingeliefert. Und hier begann er sich, anstatt zu sterben, unaufhaltsam zu erholen. Als er kam, hatte er neunzig Pfund gewogen. Jetzt wog er hundertfunfzig und war so gut in Ordnung, da? er wieder hinunterkonnte. Aber sein Geld war weg.
»Was soll ich blo? unten machen?« fragte er mich und kratzte sich den rothaarigen Schadel. »Sie kommen doch gerade daher, wie ist es denn?«
»Es hat sich allerhand verandert«, erwiderte ich und betrachtete sein rundes, ausgepolstertes Gesicht mit den farblosen Augenwimpern. Er war gesund geworden, obschon er aufgegeben worden war, sonst interessierte mich nichts an ihm.
»Ich werde mir eine Stellung suchen mussen«, sagte er. »Wie steht es denn damit jetzt?«
Ich zuckte die Achseln. Wozu sollte ich ihm erklaren, da? er wahrscheinlich keine finden wurde. Er wurde es fruh genug selbst sehen.
»Haben Sie Verbindungen, Freunde, oder so was?« fragte ich.
»Freunde – na, Sie wissen ja.« Er lachte spottisch. »Wenn man plotzlich kein Geld mehr hat, springen sie weg wie Flohe von einem toten Hund.«
»Dann wird's schwer sein.«
Er zog die Stirn in Falten. »Keine Ahnung, wie das wird. Ich habe nur noch ein paar hundert Mark. Und gelernt habe ich nichts, als Geld auszugeben. Mein Professor scheint doch recht zu behalten, wenn auch auf andere Weise – ich kratze in zwei Jahren ab -, allerdings an einer Kugel.«
Mich packte plotzlich eine unsinnige Wut auf diesen idiotischen Schwatzer. Wu?te er denn nicht, was das Leben war? Ich sah vor mir Antonio mit Pat gehen, ich sah ihren unter den Griffen der Krankheit schmaler gewordenen Nacken, ich wu?te, wie gerne sie lebte, und ich hatte in diesem Augenblick Roth toten konnen, wenn Pat dadurch gesund geworden ware.
Der Zug fuhr ab. Roth winkte mit seinem Hut. Die Zuruckbleibenden riefen ihm alles mogliche nach und lachten. Ein Madchen lief stolpernd ein Stuck hinter dem Zug her und schrie mit uberkippender, dunner Stimme:»Auf Wiedersehen! Auf Wiedersehen!« Dann kam sie zuruck und brach in Tranen aus. Die andern machten verlegene Mienen. »Hallo!« rief Antonio. »Wer am Bahnhof weint, mu? eine Bu?e zahlen! Das ist altes Sanatoriumsgesetz! Bu?e fur die Kasse des nachsten Festes!«
Er hielt mit gro?er Geste die Hand hin. Die anderen lachten wieder. Auch das Madchen lachelte unter Tranen uber sein armes, spitzes Gesicht und zog ein abgeschabtes Portemonnaie aus der Manteltasche. Mir wurde ganz elend dabei. Diese Gesichter rundum, das war ja gar kein Lachen, das war eine krampfhafte, qualvolle Lustigkeit, es waren Grimassen. »Komm«, sagte ich zu Pat und nahm sie fest unter den Arm.
Wir gingen schweigend die Dorfstra?e hinunter. An der nachsten Konditorei hielt ich und holte eine Schachtel Konfekt heraus. »Gebrannte Mandeln«, sagte ich und hielt ihr das Paket hin. »Die i?t du doch gerne, wie?«
»Robby«, sagte Pat. Ihre Lippen zuckten.
»Einen Augenblick«, erwiderte ich und ging rasch in den Blumenladen nebenan. Einigerma?en ruhig kam ich mit meinen Rosen wieder heraus.
»Robby«, sagte Pat.
Ich grinste etwas klaglich. »Werde auf meine alten Tage noch zum Kavalier, Pat.«
Ich wu?te nicht, was auf einmal in uns gefahren war. Wahrscheinlich kam es von diesem verdammten abfahrenden Zug. Es war wie ein bleierner Schatten, ein grauer Wind, der alles herunterri?, was man muhsam festhalten wollte. Waren wir nicht plotzlich nur noch zwei verlaufene Kinder, die nicht aus noch ein wu?ten und gerne tapfer sein wollten?»Komm rasch einen trinken«, sagte ich. Sie nickte. Wir traten in das nachste Cafe und setzten uns an einen leeren Tisch am Fenster. »Was willst du haben, Pat?«
»Rum«, sagte sie und sah mich an.
»Rum«, wiederholte ich und griff unter dem Tisch nach ihrer Hand. Sie pre?te sie heftig in meine. Der Rum kam. Es war Baccardi mit Zitrone. »Mein alter Liebling«, sagte Pat und hob ihr Glas.
»Mein alter, guter Bursche«, sagte ich.
Wir sa?en noch eine Weile. »Komisch manchmal, was?«
sagte Pat.
»Ja. Kommt mal so. Geht auch wieder weg.«
Sie nickte. Wir gingen weiter, dicht nebeneinander. Dampfende Schlittenpferde trabten an uns vorbei. Mude, verbrannte Skilaufer, eine Eishockeymannschaft in rotwei?en Sweatern, krachendes Leben. »Wie fuhlst du dich, Pat?« fragte ich.
»Gut, Robby.«
»Sollen uns nur kommen, was?«
»Ja, Liebling.« Sie druckte meinen Arm an sich.
Die Stra?e wurde leer. Das Abendrot lag wie eine rosa Decke auf den verschneiten Bergen. »Pat«, sagte ich,»du wei?t noch gar nicht, da? wir eine Menge Geld haben. Koster hat was geschickt.«
Sie blieb stehen. »Das ist ja wunderbar, Robby. Dann konnen wir doch einmal ganz richtig ausgehen.«
»Ohne weiteres«, sagte ich. »Sooft wir wollen.«
»Dann gehen wir Sonnabend in den Kursaal. Da ist der letzte gro?e Ball in diesem Jahr.«
»Du darfst doch abends nicht 'raus.«
»Das durfen die meisten nicht, aber sie tun es doch.«
Ich machte ein bedenkliches Gesicht. »Robby«, sagte Pat,»ich habe in der Zeit, wo du nicht da warst, alles getan, was mir vorgeschrieben wurde. Ich war nur ein angstliches Rezept, nichts weiter. Es hat nichts genutzt. Es ist schlechter mit mir geworden. Unterbrich mich nicht, ich wei? schon, was du sagen willst. Ich wei? auch, worum es geht. Aber die Zeit, die ich noch habe, die Zeit mit dir – la? mich tun, was ich will.«
Ihr Gesicht war rot von der Sonne uberschienen. Es war ernst und still und voll gro?er Zartlichkeit. Wovon sprechen wir nur? dachte ich mit trockenem Mund, es ist doch unmoglich, da? wir dastehen und uber etwas reden, was nie sein kann und nie sein darf. Das ist doch Pat, die diese Worte spricht, gelassen, fast ohne Trauer, als gabe es nichts mehr dagegen, nicht einmal den armseligen Fetzen einer trugerischen Hoffnung, es ist doch Pat, fast noch ein Kind, das ich beschutzen mu?, Pat, die plotzlich weit weg von mir ist, vertraut schon und ergeben mit dem Namenlosen auf der anderen Seite.
»Du mu?t nicht so etwas sagen«, murmelte ich schlie?lich. »Ich dachte ja nur, wir konnten vielleicht vorher den Arzt fragen.«
»Wir fragen niemand mehr, niemand!« Sie schuttelte den schonen, schmalen Kopf und sah mich mit ihren geliebten Augen an. »Ich will nichts mehr wissen. Ich will nur noch glucklich sein.«