»Kartenspielen? Pat?« fragte ich verwundert. »Was kannst du denn fur Kartenspiele? Schwarzer Peter und Patience, was?«
»Poker, Liebling«, erklarte Pat.
Ich lachte. »Tatsachlich, sie kann es«, sagte Antonio. »Sie ist nur zu waghalsig. Sie blufft furchtbar.«
»Ich auch«, erwiderte ich. »Das mussen wir doch mal versuchen.«
Wir setzten uns in eine Ecke und begannen zu spielen. Pat pokerte gar nicht schlecht. Sie bluffte wirklich, da? die Fetzen flogen. Nach einer Stunde zeigte Antonio auf die Landschaft drau?en vor dem Fenster. Es schneite. Langsam, als zogerten sie noch, fielen die dicken Flocken fast senkrecht herunter.
»Es ist ganz windstill«, sagte Antonio. »Das gibt viel Schnee.«
»Wo mag Koster jetzt sein?« fragte Pat.
»Er ist schon uber den Hauptpa? weg«, sagte ich. Einen Augenblick sah ich Karl ganz deutlich vor mir, wie er mit Koster durch die wei?e Nacht zog, und alles kam mir plotzlich etwas unwirklich vor – da? ich hier sa?, da? Koster unterwegs war und da? Pat da war. Sie lachelte mich glucklich an, die Hand mit den Karten auf den Tisch gestemmt. »Los, Robby!«
Die Kanonenkugel strich durch die Halle, blieb hinter unserm Tisch stehen und begann wohlwollend zu kiebitzen. Wahrscheinlich schlief die Frau, und er suchte Unterhaltung. Ich legte die Karten hin und starrte ihn giftig an, bis er verschwand.
»Freundlich bist du nicht«, sagte Pat vergnugt.
»Nein«, erwiderte ich. »Will ich auch nicht sein.«
Wir gingen noch in die Bar und tranken ein paar Spezial.
Dann mu?te Pat schlafen. Ich verabschiedete mich in der Halle von ihr. Sie schritt langsam die Treppe hinauf und sah sich um und blieb stehen, bevor sie in den Korridor einbog. Ich wartete etwas, dann lie? ich mir im Buro meinen Zimmerschlussel geben. Die kleine Sekretarin lachelte.
»Nummer achtundsiebzig«, erklarte sie.
Es war das Zimmer neben Pat. »Auf Veranlassung von Fraulein Rexroth etwa?« fragte ich.
»Nein, Fraulein Rexroth ist im Missionshaus«, erwiderte sie.
»Missionshauser sind manchmal ein Segen«, sagte ich und ging rasch hinauf. Meine Sachen waren schon ausgepackt. Eine halbe Stunde spater klopfte ich an die Verbindungstur zwischen den beiden Zimmern. »Wer ist da?« rief Pat.
»Die Sittenpolizei«, erwiderte ich.
Der Schlussel knirschte, und die Tur flog auf. »Du, Robby?« stammelte Pat fassungslos. »Ich!« sagte ich. »Der Besieger von Fraulein Rexroth! Der Kognak- und Porto-Ronco-Besitzer!« Ich zog die Flaschen aus den Taschen meines Bademantels. »Und nun sag mir sofort, wieviel Manner hier schon gewesen sind.«
»Niemand, au?er dem Fu?ballklub und dem verstarkten philharmonischen Orchester«, erklarte Pat lachend. »Ach, Liebling, jetzt sind die alten Zeiten wieder da!«
Sie schlief an meiner Schulter ein. Ich blieb noch lange wach. In einer Ecke des Zimmers brannte eine kleine Lampe. Die Schneeflocken klopften leise gegen das Fenster, und die Zeit schien stillzustehen in dieser matten braungoldenen Dammerung. Es war sehr warm im Zimmer. Manchmal knackten die Rohren der Zentralheizung. Pat bewegte sich im Schlaf, und langsam, knisternd, rutschten die Decken herunter auf den Boden. Ach, dachte ich, bronzen schimmernde Haut! Schmales Wunder der Knie! Zartes Geheimnis der Brust! Ich fuhlte ihr Haar an meiner Schulter und spurte unter meinen Lippen den Puls ihrer Hand klopfen. Du solltest sterben, dachte ich. Du kannst nicht sterben. Du bist das Gluck.
Vorsichtig zog ich die Decke wieder herauf. Pat murmelte etwas und verstummte wieder und schob langsam, im Schlaf, ihre Hand um meinen Nacken.
XXVII
Die nachsten Tage schneite es ununterbrochen. Pat hatte Fieber und mu?te im Bett bleiben. Viele im Hause hatten Fieber.
»Es ist das Wetter«, sagte Antonio. »Zu warm und fohnig. Richtiges Fieberwetter.«
»Liebling, geh ein bi?chen 'raus«, sagte Pat. »Kannst du Schifahren?«
»Nein. Wie sollte ich das konnen? Ich war ja nie im Gebirge.«
»Antonio wird es dir beibringen. Es macht ihm Spa?. Er mag dich gern.«
»Ich bleibe viel lieber hier.«
Sie richtete sich im Bett auf. Das Nachthemd fiel von ihren Schultern.
Verdammt schmal waren sie. Verdammt schmal war auch der Nacken.
»Robby«, sagte sie,»tu's mir zuliebe. Ich mochte nicht gern, da? du hier so am Krankenbett sitzt. Gestern und vorgestern, das war schon mehr als genug.«
»Ich sitze gern hier«, erwiderte ich. »Habe gar keine Sehnsucht, in den Schnee zu gehen.«
Sie atmete laut, und ich horte das unregelma?ige Scharren des Atems. »Ich habe darin mehr Erfahrung als du«, sagte sie und stutzte sich auf die Ellbogen. »Es ist besser fur uns beide. Du wirst es nachher sehen.« Sie lachelte muhsam. »Heute nachmittag und heute abend kannst du noch genug hier sitzen. Morgens macht es mich unruhig, Liebling. Man sieht schrecklich aus, morgens, wenn man Fieber hat.
Abends ist das ganz anders. Ich bin oberflachlich und dumm – ich will nicht ha?lich sein, wenn du mich siehst.«»Aber Pat!« Ich stand auf. »Also gut, ich gehe ein bi?chen mit Antonio 'raus. Mittags bin ich dann wieder hier. Hoffentlich breche ich mir nicht alle Knochen mit diesen Schidingern.«»Du wirst es rasch lernen, Liebling.« Ihr Gesicht verlor die angstliche Spannung. »Du wirst sehr schnell wunderbar laufen.«»Und du willst mich sehr schnell wunderbar hier 'raus haben«, sagte ich und ku?te sie. Ihre Hande waren feucht und hei? und ihre Lippen trocken und aufgesprungen. Antonio wohnte im zweiten Stock. Er lieh mir ein Paar Schuhe und Schier. Sie pa?ten, denn wir waren gleich gro?. Wir gingen zur Ubungswiese, die ein Stuck hinter dem Dorf lag. Antonio blickte mich unterwegs forschend an. »Fieber macht unruhig«, sagte er. »Sonderbare Sachen sind hier an solchen Tagen manchmal schon passiert.« Er legte die Schier vor sich hin und machte sie fest. »Das schlimmste ist das Warten und das Nichtstunkonnen. Das macht verruckt und kaputt.«»Die Gesunden auch«, erwiderte ich. »Dabeistehen zu mussen und nichts tun konnen.« Er nickte. »Manche von uns arbeiten«, fuhr er fort,»manche lesen ganze Bibliotheken leer. Aber viele werden auch wieder zu einer Schulklasse, die die Liegekur schwanzt wie fruher die Turnstunde, und angstvoll kichernd in Laden und Konditoreien fluchtet, wenn der Arzt zufallig vorbeikommt. Heimliches Rauchen, heimliches Trinken, verbotener Budenzauber, Klatsch und dumme Streiche – damit retten sie sich uber die Leere hinweg. Und uber die Wahrheit. Ein spielerisches, leichtsinniges und wohl auch heroisches Ignorieren des Todes. Was bleibt ihnen schlie?lich auch anderes ubrig.«
Ja, dachte ich, was bleibt uns allen schlie?lich anderes ubrig. -»Wollen wir's mal probieren?« fragte Antonio und stemmte die Schistocke in den Schnee.
»Ja.«
Er zeigte mir, wie man die Schier anmachte und wie man das Gleichgewicht hielt. Es war nicht schwer. Ich fiel ziemlich oft, aber dann gewohnte ich mich allmahlich, und es klappte schon ein wenig. Nach einer Stunde horten wir auf. »Genug«, meinte Antonio. »Sie werden heute abend Ihre Muskeln schon spuren.«
Ich schnallte die Schier ab und fuhlte, wie kraftig mein Blut stromte.
»War gut, da? wir drau?en waren, Antonio«, sagte ich.
Er nickte. »Das konnen wir jeden Vormittag machen. Man kommt auf andere Gedanken dabei.«
»Wollen wir irgendwo was trinken?« fragte ich.
»Konnen wir. Einen Dubonnet bei Forster.«
Wir tranken den Dubonnet und gingen zum Sanatorium hinauf. Im Buro sagte mir die Sekretarin, der Brieftrager ware fur mich dagewesen; er hatte hinterlassen, ich solle zur Post kommen. Es sei Geld fur mich da. Ich sah nach der Uhr. Es war noch Zeit, und ich ging zuruck. Auf der Post zahlte man mir zweitausend Mark aus. Ein Brief von Koster war dabei. Ich solle mir keine Sorgen machen; es sei noch mehr da. Ich brauche nur zu schreiben.
Ich starrte auf die Scheine. Wo hatte er das nur her? Und so schnell? Ich kannte doch unsere Quellen. Und plotzlich wu?te ich es. Ich sah den rennfahrenden Konfektionar Bollwies vor mir, wie er gierig an Karl