nicht versuchen. Wollen mit Karl 'rausfahren und zum Rennen trainieren.«

Jupp hatte langst seine Benzinpumpe im Stich gelassen. Er wischte sich aufgeregt die Hande. »Herr Koster, dann ubernehme ich wohl solange hier wieder das Kommando, wie?«

»Nein, Jupp«, sagte Otto lachend,»du kommst mit!«

Wir fuhren zunachst zur Bank und gaben den Scheck ab. Lenz ruhte nicht, bis er wu?te, da? er in Ordnung war. Dann hauten wir ab, da? die Funken aus dem Auspuff stoben.

VIII

Ich stand meiner Wirtin gegenuber. »Wo brennt's?« fragte Frau Zalewski.

»Nirgendwo«, erwiderte ich. »Ich will nur meine Miete bezahlen.« Es war noch drei Tage zu fruh, und Frau Zalewski fiel vor Erstaunen fast um,»Dahinter steckt doch was«, meinte sie argwohnisch.

»Nicht die Spur«, erwiderte ich. »Kann ich heute abend mal die beiden Brokatsessel aus Ihrem Salon haben?«

Kampfbereit stemmte sie die Arme auf die dicken Huften. »Da haben wir es! Gefallt Ihnen Ihr Zimmer nicht mehr?«

»Doch. Aber Ihre Brokatsessel gefallen mir besser.«

Ich erklarte ihr, da? ich vielleicht Besuch von einer Kusine bekame und dazu das Zimmer gern etwas hubscher haben mochte. Sie lachte, da? ihr Busen nur so wogte. »Kusine«, wiederholte sie verachtlich,»und wann kommt die Kusine?«

»Es ist noch gar nicht sicher«, sagte ich,»aber wenn sie kommt, naturlich fruh, fruhabends, zum Essen. Warum soll es ubrigens keine Kusinen geben, Frau Zalewski?«

»Es gibt schon welche«, erwiderte sie,»aber fur die borgt man keine Sessel.«

»Ich wohl«, behauptete ich,»ich habe sehr viel Familiensinn.«

»So sehen Sie aus! Rumtreiber seid ihr alle miteinander. Die Brokatsessel konnen Sie haben. Stellen Sie die roten Plusch solange in den Salon.«

»Danke schon. Morgen bringe ich alles zuruck. Den Teppich auch.«

»Teppich?« Sie drehte sich um. »Wer hat denn hier ein Wort vom Teppich gesagt?«

»Ich. Und Sie auch, eben gerade.«

Sie sah mich entrustet an. »Der gehort doch dazu«, sagte ich. »Die Sessel stehen doch drauf.«

»Herr Lohkamp«, erklarte Frau Zalewski majestatisch,»treiben Sie es nicht zu weit! Ma?igkeit in allem, war ein Wort des seligen Zalewski. Das konnten Sie auch mal beherzigen.«

Ich wu?te, da? der selige Zalewski sich trotz dieses Wahlspruches buchstablich totgesoffen hatte. Seine Frau hatte mir das selbst bei anderen Gelegenheiten oft genug erzahlt. Aber das machte ihr nichts aus. Sie benutzte ihren Mann, wie andere Leute die Bibel: zum Zitieren. Und je langer er tot war, desto mehr schob sie ihm zu. Er pa?te jetzt schon auf alles – wie die Bibel.

Ich war dabei, meine Bude auszuschmucken. Nachmittags hatte ich mit Patrice Hollmann telefoniert. Sie war krank gewesen, und ich hatte sie fast eine Woche nicht mehr gesehen. Jetzt waren wir um acht Uhr verabredet, und ich hatte ihr vorgeschlagen, bei mir zu essen und nachher in ein Kino zu gehen.

Die Brokatsessel und der Teppich wirkten pompos; aber die Beleuchtung dazu war schrecklich. Ich klopfte deshalb nebenan bei der Familie Hasse, um mir eine Tischlampe auszuleihen. Frau Hasse sa? mude am Fenster. Ihr Mann war noch nicht da. Er arbeitete jeden Tag freiwillig ein bis zwei Stunden langer, um nur ja nicht entlassen zu werden. Die Frau hatte etwas von einem kranken Vogel. In ihren schwammigen, alternden Zugen war immer noch das schmale Gesicht eines Kindes zu erkennen – eines enttauschten, traurigen Kindes.

Ich brachte mein Anliegen vor. Sie lebte auf und holte mir die Lampe. »Ach ja«, sagte sie seufzend,»wenn ich noch so daran denke, fruher…«

Ich kannte die Geschichte. Sie handelte von den Aussichten, die sie gehabt hatte, wenn sie Hasse nicht genommen hatte. Ich kannte dieselbe Geschichte auch in der Fassung Hasses. Da handelte sie von den Aussichten, die er gehabt hatte, wenn er Junggeselle geblieben ware. Es war wahrscheinlich die haufigste Geschichte der Welt. Auch die aussichtsloseste.

Ich horte eine Weile zu, erwiderte ein paar Gemeinplatze und begab mich zu Erna Bonig, um mir ihr Grammophon zu holen.

Frau Hasse sprach von Erna nur als von der Person nebenan. Sie verachtete sie, weil sie sie beneidete. Ich mochte sie ganz gern. Sie machte sich nichts vor uber das Leben und wu?te, da? man sich dranhalten mu?te, um ein bi?chen von dem zu erwischen, was man so Gluck nannte. Sie wu?te auch, da? man es doppelt und dreifach bezahlen mu?te. Gluck war die ungewisseste Sache der Welt mit dem hochsten Preis.

Erna kniete vor ihrem Koffer nieder und suchte mir eine Anzahl Platten heraus. »Wollen Sie Foxtrotts?« fragte sie.

»Nein«, erwiderte ich. »Ich kann nicht tanzen.«

Sie sah erstaunt auf. »Sie konnen nicht tanzen? Ja, was machen Sie dann, wenn Sie ausgehen?«

»Ich tanze mit der Gurgel. Das geht auch ganz gut.«

Sie schuttelte den Kopf. »Ein Mann, der nicht tanzen kann, ware bei mir abgemeldet.«

»Sie haben strenge, Grundsatze«, erwiderte ich. »Aber es gibt ja auch noch andere Platten. Sie spielten da neulich eine sehr schone – es war eine Frauenstimme mit so einer Art Hawaiimusik…«

»Ah, die ist fabelhaft. ›Wie hab' ich nur leben konnen ohne dich…‹, nicht wahr?«

»Richtig! Was so Schlagerdichtern alles einfallt! Ich glaube, es sind die einzigen Romantiker, die es noch gibt.«

Sie lachte. »Warum auch nicht? So ein Grammophon ist ja auch wie eine Art Stammbuch. Fruher schrieb man sich Verse ins Album – heute schenkt man sich Grammophonplatten. Wenn ich mich an irgend etwas erinnern will, brauche ich nur die Platte von damals aufzulegen, und schon ist alles wieder da.«

Ich sah auf die Sto?e von Platten herab, die auf der Erde lagen. »Daran gemessen, Erna, mussen Sie einen Haufen Erinnerungen haben.«

Sie stand auf und strich sich das rotliche Haar zuruck. »Ja«, sagte sie und schob einen Pack mit dem Fu? beiseite,»aber eine einzige richtige ware mir lieber…«

Ich packte aus, was ich zum Abendbrot eingekauft hatte, und machte alles zurecht, so gut ich konnte. Aus der Kuche war keine Hilfe fur mich zu erwarten, dazu stand ich mit Frida zu schlecht. Sie hatte mir hochstens etwas umgeworfen. Aber es ging auch so, und bald kannte ich meine alte Bude nicht wieder in ihrem neuen Glanz. Die Sessel, die Lampe, der gedeckte Tisch – ich spurte, wie eine unruhige Erwartung sich in mir sammelte.

Ich brach auf, obschon ich noch uber eine Stunde Zeit hatte. Drau?en wehte der Wind in langen Sto?en um die Ecken der Hauser. Die Laternen brannten schon. Die Dammerung zwischen den Hausern war blau wie ein Meer. Das International schwamm darin wie ein abgetakeltes Kriegsschiff. Ich machte einen Sprung hinein.

»Hoppla, Robert«, sagte Rosa.

»Was machst du denn hier?« fragte ich. »Willst du nicht auf Tour?«

»Ist noch etwas zu fruh.«

Alois schlich heran. »Einstockig?« fragte er.

»Dreistockig«, erwiderte ich.

»Gehst ja machtig 'ran«, meinte Rosa.

»Brauche etwas Mumm«, sagte ich und kippte den Rum.

»Spielst du was?« fragte Rosa.

Ich schuttelte den Kopf. »Keine Lust heute. Zu windig, Rosa. Was macht das Kleine?«

Sie lachelte mit all ihren Goldzahnen. »Unberufen, gut. Morgen gehe ich wieder hin. Habe diese Woche gute Kasse gehabt; den alten Bocken steckt das Fruhjahr schon in den Knochen. Da bringe ich ihr ein neues Mantelchen mit. Rote Wolle.«

»Rote Wolle ist der letzte Modeschrei.«

»Du bist ein Kavalier, Robby.«

»Wenn du dich da man nicht irrst. Komm, trink eins mit. Anisette, was?«

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