Sie nickte. Wir stie?en an. »Sag mal, Rosa, was haltst du eigentlich von der Liebe?« fragte ich. »Du verstehst doch was davon.«
Sie brach in ein schallendes Gelachter aus. »Hor auf damit«, sagte sie dann. »Liebe! Ach, mein Arthur – wenn ich an den Lumpen denke, werde ich immer noch schwach in den Knien. Will dir was sagen, Robby, im Ernst gesprochen: Das menschliche Leben ist zu lang fur die Liebe. Einfach zu lang. Das hat mir mein Arthur erklart, als er abgehauen ist. Und das stimmt. Liebe ist wunderbar. Aber einem ist sie immer zu lang. Und der andere, der sitzt dann da und stiert. Stiert wie wahnsinnig.«
»Klar«, sagte ich. »Aber ohne Liebe ist man doch eigentlich auch blo? 'ne Leiche auf Urlaub.«
»Mach's wie ich«, erwiderte Rosa,»schaff dir ein Kind an. Da hast du was zum Lieben und hast deine Ruhe dabei.«
»Nicht dumm«, sagte ich. »Hat mir grade noch gefehlt.«
Rosa wiegte traumerisch den Kopf. »Was hab' ich von meinem Arthur fur Schlage gekriegt – und trotzdem, wenn er jetzt hier 'reinkame, die Melone so schief nach hinten auf dem Kopf -, Mensch, Junge, ich bibbere schon, wenn ich dran denke.«
»Wollen eins auf Arthurs Wohl trinken.«
Rosa lachte. »Der Hurenbock soll leben! Prost!«
Wir tranken aus. »Wiedersehen, Rosa. Gutes Geschaft heute abend!«»Danke! Wiedersehen, Robby!«
Die Haustur klappte. »Hallo«, sagte Patrice Hollmann,»so tief in Gedanken?«
»Nein, gar nicht! Aber wie geht es Ihnen? Sind Sie wieder gesund? Was haben Sie denn gehabt?«
»Ach, nichts Besonderes. Erkaltet und ein bi?chen Fieber.«
Sie sah gar nicht krank und angegriffen aus, Im Gegenteil, – ihre Augen waren mir noch nie so gro? und strahlend erschienen, ihr Gesicht war ein wenig gerotet, und ihre Bewegungen waren geschmeidig wie bei einem schmalen, schonen Tier.
»Sie sehen prachtvoll aus«, sagte ich. »Ganz gesund! Wir konnen eine Menge unternehmen.«
»Das ware schon«, erwiderte sie. »Aber heute geht es nicht. Ich kann heute nicht.«
Ich starrte sie verstandnislos an. »Sie konnen nicht?«
Sie schuttelte den Kopf. »Leider nicht.«
Ich begriff immer noch nicht. Ich glaubte, sie hatte sich das mit meiner Bude anders uberlegt und wollte nur nicht bei mir essen.
»Ich habe schon bei Ihnen angerufen«, sagte sie,»damit Sie nicht vergebens kamen. Aber Sie waren schon weggegangen.«
Jetzt verstand ich endlich. »Sie konnen wirklich nicht? Den ganzen Abend nicht?« fragte ich.
»Heute nicht. Ich mu? irgendwohin. Leider habe ich es auch erst vor einer halben Stunde erfahren.«
»Konnen Sie das denn nicht verschieben?«
»Nein, das geht nicht.« Sie lachelte. »Es ist so etwas wie eine geschaftliche Sache.«
Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Mit allem hatte ich gerechnet, nur damit nicht. Ich glaubte ihr kein Wort. Geschaftliche Sache – sie sah nicht nach geschaftlichen Sachen aus! Wahrscheinlich war es nur eine Ausrede. Sicher sogar. Was konnte man abends schon fur geschaftliche Besprechungen haben? So was machte man vormittags! Und man erfuhr es auch nicht erst eine halbe Stunde vorher. Sie wollte einfach nicht, das war alles.
Ich war auf eine geradezu kindische Weise enttauscht. Jetzt spurte ich erst, wie sehr ich mich auf den Abend gefreut hatte. Ich argerte mich daruber, da? ich so enttauscht war, und ich wollte nicht, da? sie es merkte. »Also schon«, sagte ich,»dann ist nichts zu machen. Auf Wiedersehen.«
Sie sah mich forschend an. »So eilig ist es nicht. Ich bin erst um neun verabredet. Wir konnen noch etwas Spazierengehen. Ich war die ganze Woche nicht drau?en.«
»Gut«, sagte ich widerstrebend. Ich fuhlte mich plotzlich mude und leer.
Wir gingen die Stra?e entlang. Der Abend war klargeworden, und die Sterne standen zwischen den Dachern. Wir kamen an einer Rasenanlage vorbei, auf der im Schatten ein paar Busche standen. Patrice Hollmann blieb stehen. »Flieder«, sagte sie,»es riecht nach Flieder! Aber das ist doch ganz unmoglich, es ist ja noch zu fruh.«
»Ich rieche auch nichts«, erwiderte ich.
»Doch!« Sie beugte sich uber das Gelander.
»Es ist eine Daphne indica, meine Dame«, kam eine rauhe Stimme aus dem Dunkel.
Ein stadtischer Gartenarbeiter mit einer Mutze mit einem Messingschild lehnte da an einem Baum. Er kam etwas schwankend heran. Ein Flaschenhals blinkte aus seiner Tasche. »Wir ha'm sie heute gesetzt«, erklarte er unter machtigem Schluckauf. »Druben steht sie.«
»Danke schon«, sagte Patrice Hollmann und wandte sich mir zu. »Riechen Sie es immer noch nicht?«
»Doch, jetzt rieche ich was«, antwortete ich widerwillig.
»Guten, alten Kornschnaps.«
»Prima geraten!« Der Mann im Schatten rulpste gewaltig.
Ich spurte ganz gut den su?en, schweren Duft, der durch die weiche Dunkelheit schwamm; aber ich hatte es um alles in der Welt nicht zugegeben.
Das Madchen lachte und dehnte sich in den Schultern. »Wie schon das ist, wenn man so lange im Zimmer gewesen ist! Zu schade, da? ich fort mu?! Dieser Binding – immer eilig und im letzten Moment -, er hatte wirklich die Sache auf morgen verlegen konnen!«
»Binding?« fragte ich. »Sie sind mit Binding verabredet?«
Sie nickte. »Mit Binding und noch jemand. Auf diesen Jemand kommt es an. Ernsthaft geschaftlich. Konnen Sie sich das denken?«
»Nein«, erwiderte ich,»das kann ich mir nicht denken.«
Sie lachte und sprach weiter. Aber ich horte nicht mehr zu. Binding – das war mir wie ein Blitz in die Knochen gefahren. Ich dachte nicht daran, da? sie ihn viel langer kannte als mich, ich sah nur uberlebensgro? und strahlend seinen Buick, seinen teuren Anzug und sein Portemonnaie vor mir auftauchen. Meine arme, brave, geschmuckte Bude! Was hatte ich mir da nur eingebildet! Die Hassesche Lampe, die Zalewskischen Sessel! Das Madchen pa?te ja uberhaupt nicht zu mir! Was war ich denn schon? Ein Fu?ganger, der sich mal einen Cadillac geborgt hatte, eine tappische Schnapsdrossel, nichts weiter! So was war an jeder Stra?enecke zu finden. Ich sah bereits den Portier der »Traube« vor Binding salutieren, ich sah helle, warme, gepflegte Raume, Zigarettengewolk und elegante Leute, ich horte Musik und Gelachter, Gelachter uber mich. Zuruck, dachte ich, rasch zuruck! Eine Ahnung, eine Hoffnung – was war schon viel gewesen! Es war sinnlos, sich darauf einzulassen. Nichts wie zuruck!
»Wir konnen uns morgen abend treffen, wenn Sie wollen«, sagte Patrice Hollmann.
»Morgen abend habe ich keine Zeit«, erwiderte ich.
»Oder ubermorgen oder irgendwann in dieser Woche. Ich habe in den nachsten Tagen nichts vor.«
»Es wird schwierig sein«, sagte ich. »Wir haben heute einen eiligen Auftrag bekommen, da mussen wir wahrscheinlich die ganze Woche durch bis nachts arbeiten.«
Es war Schwindel, aber ich konnte nicht anders. Es steckte plotzlich zuviel Wut und Beschamung in mir.
Wir uberquerten den Platz und gingen die Stra?e am Friedhof entlang. Aus der Richtung des International sah ich Rosa herankommen. Ihre hohen Stiefel glanzten. Ich hatte abbiegen konnen und hatte es sonst auch wohl getan – aber jetzt ging ich geradeaus weiter, ihr entgegen. Rosa sah an mir voruber, als waren wir todfremd. Das war selbstverstandlich; keines dieser Madchen kannte einen auf der Stra?e, wenn man nicht allein war. »Tag, Rosa«, sagte ich.
Sie sah erst mich, darauf Patrice Hollmann verdutzt an, nickte dann hastig und ging verwirrt weiter. Ein paar Schritte hinter ihr kam Fritzi, die Handtasche schlenkernd, mit sehr roten Lippen und wiegenden Huften. Sie schaute gleichgultig durch mich hindurch wie durch eine Fensterscheibe. »Gru? Gott, Fritzi«, sagte ich.
Sie neigte den Kopf wie eine Konigin und verriet durch nichts ihr Erstaunen; aber ich horte sie schneller gehen, als sie vorbei war – sie wollte mit Rosa den Fall besprechen. Ich hatte immer noch in eine Nebenstra?e abbiegen konnen, denn ich wu?te, da? auch die andern noch kamen – es war gerade die Zeit des ersten gro?en Patrouillenganges. Aber ich ging in einer Art Trotz geradeaus weiter – warum sollte ich ihnen aus dem Wege gehen; ich kannte sie ja viel besser als das Madchen neben mir mit seinem Binding und seinem Buick. Sollte sie es ruhig sehen – grundlich sogar.