fertigbrachte, im letzten Augenblick das Restaurant der Methodistengemeinde zu vermachen. Da gab ich nach. Fred war ubrigens ziemlich optimistisch. Der Alte hatte sich erkaltet, und Fred meinte, vielleicht sei es Grippe, und die ware doch sehr gefahrlich. Ich mu?te ihm leider sagen, da? Grippe fur Alkoholiker nichts bedeute, im Gegenteil, da? klapprige Saufer manchmal darunter geradezu aufbluhten und Speck ansetzten. Fred meinte, es ware auch egal, vielleicht kame er dann unter irgendein Auto. Ich gab zu, da? besonders auf nassem Asphalt die Moglichkeit bestunde. Fred ging darauf hin und sah nach, ob es schon regnete. Aber es war noch trocken. Es donnerte nur starker. Ich gab ihm ein Glas Zitronensaft zu trinken und ging zum Telefon. Im letzten Augenblick besann ich mich, da? ich ja nicht telefonieren wollte. Ich winkte dem Apparat zu und wollte meinen Hut vor ihm ziehen. Aber dann merkte ich, da? ich ihn gar nicht aufhatte.
Als ich zuruckkam, waren Koster und Lenz da. »Hauch mich mal an«, sagte Gottfried.
Ich hauchte. »Rum, Kirsch und Absinth«, sagte er.
»Absinth, du Ferkel.«
»Wenn du meinst, ich ware besoffen, irrst du dich«, sagte ich. »Wo kommt ihr her?«
»Aus einer politischen Versammlung. Aber es war Otto zu blod. Was trinkt Fred denn da?«
»Zitronensaft.«
»Trink auch mal ein Glas.«
»Morgen«, erwiderte ich. »Jetzt werde ich zunachst mal was essen.« Koster hatte mich die ganze Zeit besorgt angesehen. »Sieh mich nicht so an, Otto«, sagte ich,»ich habe mich aus lauter Lebenslust etwas beschwipst. Nicht aus Kummer.«
»Dann ist's gut«, sagte er. »Aber komm trotzdem mit essen.«
Um elf Uhr war ich wieder nuchtern wie ein Knochen. Koster schlug vor, nach Fred zu sehen. Wir gingen hin und fanden ihn wie tot hinter dem Bartisch.
»Bringt ihn nach nebenan«, sagte Lenz,»ich werde solange die Bedienung ubernehmen.«
Koster und ich machten Fred wieder munter. Wir gaben ihm warme Milch zu trinken. Die Wirkung war prompt. Wir setzten ihn hinterher auf einen Stuhl und sagten ihm, er solle sich noch eine halbe Stunde ausruhen, Lenz wurde vorn schon alles machen.
Gottfried machte es auch. Er kannte samtliche Preise und die gangigen Cocktailrezepte. Er schwang den Mixbecher, als ob er nie etwas anderes getan hatte.
Nach einer Stunde war Fred wieder da. Er hatte einen ausgepichten Magen und erholte sich schnell. »Tut mir leid, Fred«, sagte ich,»wir hatten vorher etwas essen sollen.«
»Ich bin schon wieder in Ordnung«, erwiderte er. »Tut mal ganz gut.«
»Das auf jeden Fall.« Ich ging zum Telefon und rief Pat an. Es war mir vollig gleichgultig, was ich vorher alles zusammengedacht hatte. Sie meldete sich. »In einer Viertelstunde bin ich vor der Haustur«, rief ich und hangte rasch ab. Ich furchtete, sie konnte mude sein. Ich wollte nichts davon horen, wollte sie sehen.
Sie kam. Als sie die Haustur aufschlo?, ku?te ich das Glas da, wo ihr Kopf war. Sie wollte etwas sagen, aber ich lie? sie gar nicht zu Worte kommen. Ich ku?te sie, und wir liefen zusammen die Stra?e hinunter, bis wir ein Taxi fanden. Es donnerte und blitzte. »Rasch, sonst gibt's Regen«, rief ich.
Wir stiegen ein. Die ersten Tropfen klatschten auf das Dach der Droschke. Der Wagen ruttelte auf dem schlechten Pflaster. Es war alles wunderbar, denn bei jedem Rutteln spurte ich Pat. Alles war wunderbar, der Regen, die Stadt, das Trinken, es war alles weit und herrlich. Ich war in der uberwachen, hellen Stimmung, in die man kommt, wenn man getrunken und es schon wieder uberwunden hat. Die Hemmungen waren fort, die Nacht war voll tiefer Kraft und voll Glanz, nichts konnte mehr geschehen, nichts war mehr falsch.
Der Regen begann, als wir ausstiegen. Wahrend ich zahlte, war das Pflaster noch dunkel gesprenkelt von Tropfen wie ein Panther – aber schon bevor wir die Tur erreichten, war es schwarz und silbern spruhend, so scho? das Wasser herab. Ich machte kein Licht. Die Blitze erleuchteten das Zimmer. Das Gewitter war mitten uber der Stadt. Donner rollte in Donner. »Jetzt konnen wir hier wenigstens einmal schreien«, rief ich Pat zu,»ohne Sorge, da? uns jemand hort!« Das Fenster flammte. Sekundenschnell flog die schwarze Silhouette der Friedhofsbaume vor dem wei?blauen Himmel auf und wurde krachend sofort wieder von der Nacht erschlagen – sekundenlang schwebte zwischen Dunkel und Dunkel die biegsame Gestalt Pats phosphoreszierend vor den Scheiben -, ich legte den Arm um ihre Schultern, sie drangte sich an mich, ich fuhlte ihren Mund, ihren Atem, ich dachte nichts mehr.
XII
Unsere Werkstatt stand immer noch leer wie eine Scheune vor der Ernte. Wir hatten deshalb beschlossen, das Taxi, das wir auf der Auktion gekauft hatten, nicht weiterzuverkaufen, sondern es einstweilen selbst als Taxi zu fahren. Lenz und ich sollten es abwechselnd machen. Koster konnte mit Jupp die Werkstatt ganz gut allein besorgen, bis wieder Arbeit kam.
Lenz und ich wurfelten, wer als erster fahren sollte. Ich gewann, steckte mir die Tasche voller Kleingeld, nahm meine Papiere und strich dann mit dem Taxi langsam durch die Stra?en, um mir zunachst einmal einen guten Standplatz auszusuchen. Es war etwas merkwurdig, so das erstemal. Jeder Idiot konnte mich anhalten und mir einen Auftrag geben. Das war kein besonders gro?artiges Gefuhl.
Ich suchte mir einen Halteplatz aus, an dem nur funf Wagen standen. Er war gegenuber dem Hotel Waldecker Hof, mitten im Geschaftsviertel. Das lie? auf raschen Betrieb hoffen. Ich stellte die Zundung ab und stieg aus. Von einem der vorderen Wagen kam ein gro?er Kerl in einem Ledermantel auf mich zu. »Scher dich hier weg«, knurrte er.
Ich sah ihn ruhig an und rechnete mir aus, da? ich ihn am besten von unten mit einem Uppercut umlegen wurde, wenn es sein mu?te. Er konnte wegen seines Mantels nicht schnell genug die Arme hochkriegen.
»Nicht kapiert?« forschte der Ledermantel und spuckte mir seine Zigarette vor die Fu?e. »Sollst dich wegscheren! Sind genug hier! Brauchen keinen mehr!«
Er war argerlich uber den Zuzug, das war klar; aber es war mein Recht, mich herzustellen. »Ich schmei?e ein paar Runden Einstand«, sagte ich.
Damit ware die Sache fur mich erledigt gewesen. Es war die ubliche Art, wenn man neu herankam. Ein junger Chauffeur trat hinzu.
»Schon, Kollege. La? ihn doch, Gustav…«
Aber Gustav gefiel etwas an mir nicht. Ich wu?te, was es war. Er spurte, da? ich neu im Beruf war. »Ich zahle bis drei…«, erklarte er. Er war einen Kopf gro?er als ich, darauf vertraute er.
Ich merkte, da? mit Reden nicht mehr viel zu machen war.
Ich mu?te abfahren oder schlagen. Es war zu deutlich.
»Eins…«, zahlte Gustav und knopfte seinen Mantel auf.
»Mach keinen Unsinn«, sagte ich, um es noch einmal zu versuchen. »Wollen lieber einen Schnaps in die Kehle zischen lassen.«
»Zwei…«, knurrte Gustav.
Ich sah, da? er mich regular hinschlachten wollte. »Und eins ist…« Er schob seine Mutze zuruck.
»Halt's Maul, Idiot!« schnauzte ich plotzlich scharf. Gustav klappte vor Uberraschung den Mund auf und trat einen Schritt naher. Genau dahin, wohin ich ihn haben wollte. Ich schlug sofort zu. Es war ein Schlag wie mit einem Hammer, mit dem ganzen Korperschwung. Koster hatte ihn mir beigebracht. Ich konnte nicht besonders boxen; ich hielt es fur unnotig – es kam meistens nur auf den ersten Schlag an. Dieser war gut. Gustav sackte weg. »Schadet ihm nichts«, sagte der junge Chauffeur. »Alter Radaubruder.« Wir packten ihn auf den Bock seiner Droschke. »Wird schon wieder zu sich kommen.«
Ich war etwas beunruhigt. In der Eile hatte ich den Daumen beim Schlagen falsch gehalten und ihn mir verstaucht. Wenn Gustav wieder aufwachte, konnte er mit mir machen, was er wollte. Ich sagte es dem jungen Chauffeur und fragte, ob ich nicht lieber abhauen sollte. »Unsinn«, sagte er,»die Sache ist erledigt. Komm jetzt in die Kneipe und schmei? deinen Einstand. Du bist kein gelernter Chauffeur, was?«
»Nein…«
»Ich auch nicht. Ich bin Schauspieler.«