haben, als sie dich schuf?«
»Das soll sie mit sich selbst abmachen. Im ubrigen solltest gerade du nicht so abfallig uber solche Dinge reden, Ferdinand. Wenn die Menschen ewig waren, wurdest du arbeitslos, alter guter Parasit des Todes.«
Graus Schultern begannen zu beben. Er lachte. Dann wandte er sich an Pat. »Was sagen Sie zu uns Schwatzern, kleine Blute auf den tanzenden Wassern?«
Spater ging ich mit Pat allein durch den Garten. Der Mond war hoher gestiegen, und die Wiesen schwammen in grauem Silber. Die Schatten der Baume lagen lang und schwarz daruber wie dunkle Wegweiser ins Ungewisse. Wir gingen bis zum See hinunter und kehrten dann um. Unterwegs trafen wir Gottfried Lenz, der sich einen Gartenstuhl mitgenommen und ihn tief in ein Gebusch von Fliederstrauchern geschoben hatte. Da sa? er nun, und nur sein blonder Schopf und seine Zigarette leuchteten heraus. Neben sich auf der Erde hatte er ein Glas und den Rest der Maibowle stehen.
»Das ist ein Platz!« sagte Pat. »Mitten im Flieder.«
»Es la?t sich aushalten.« Gottfried stand auf. »Versuchen Sie es mal.« Pat setzte sich auf den Stuhl. Ihr Gesicht schimmerte zwischen den Bluten. »Ich bin verruckt mit Flieder«, sagte der letzte Romantiker. »Heimweh bedeutet fur mich Flieder. Im Fruhjahr 1924 bin ich einmal Hals uber Kopf aus Rio de Janeiro abgereist, nur weil mir einfiel, da? hier der Flieder bluhen musse. Als ich dann ankam, war es naturlich schon viel zu spat.« Er lachte. »So geht es immer.«
»Rio de Janeiro?« Pat zog einen Zweig mit Bluten zu sich herunter. »Waren Sie zusammen da?«
Gottfried stutzte. Mir lief es plotzlich kalt uber den Rucken. »Seht mal den Mond!« sagte ich rasch. Gleichzeitig trat ich Lenz beschworend auf den Fu?.
Im Aufflammen seiner Zigarette sah ich ein schwaches Lacheln und ein Augenblinzeln. Ich war gerettet. »Nein, wir waren nicht zusammen da«, erklarte Gottfried. »Ich war damals allein. Aber wie ware es mit noch einem letzten Schluck von diesem Waldmeistertrank?«
»Nicht mehr.« Pat schuttelte den Kopf. »Ich kann nicht soviel Wein trinken.«
Wir horten Ferdinand nach uns rufen und gingen hinuber.
Er stand massig unter der Tur. »Kommt herein, Kinder«, sagte er. »Nachts haben Menschen wie wir nichts in der Natur zu suchen. Nachts will sie allein sein. Ein Bauer oder ein Fischer, das ist was anderes; aber wir nicht, wir Bewohner von Stadten mit unsern abgesabelten Instinkten.« Er legte Gottfried die Hand auf die Schulter. »Die Nacht ist der Protest der Natur gegen den Aussatz der Zivilisation, Gottfried! Ein anstandiger Mensch halt das nicht lange aus. Er merkt, da? er ausgesto?en ist aus dem schweigenden Ring der Baume, der Tiere, der Sterne und des unbewu?ten Lebens.« Er lachelte das sonderbare Lacheln, von dem man nie wu?te, ob es nicht traurig war. »Kommt herein, Kinder! Wir wollen uns die Hande an Erinnerungen warmen. Ach, die herrliche Zeit, als wir noch Schachtelhalme und Molche waren, so vor funfzig-, sechzigtausend Jahren, Gott, wie sind wir seitdem heruntergekommen…«
Er nahm Pat an der Hand. »Wenn wir nicht das bi?chen Sinn fur Schonheit noch hatten – dann ware alles verloren.« Mit einer zarten Bewegung seiner riesigen Pranken legte er ihre Hand auf seinen Arm. »Silberne Sternschnuppe uber dem sausenden Abgrund – wollen Sie mit einem uralten Manne ein Glas trinken?«
Pat nickte. »Ja«, sagte sie. »Alles, was Sie wollen.«
Beide gingen hinein. So nebeneinander sahen sie aus, als ware Pat Ferdinands Tochter. Die schlanke, kuhne und junge Tochter eines muden Riesen, der aus der Vorzeit ubriggeblieben war.
Um elf Uhr fuhren wir zuruck. Valentin und Ferdinand hatten das Taxi, das Valentin steuerte. Wir andern fuhren mit Karl. Die Nacht war warm, und Koster machte noch einen Umweg durch ein paar Dorfer, die verschlafen an der Stra?e lagen mit wenigen Lichtern und vereinzeltem Hundegebell. Lenz sa? vorne neben Otto und sang, Pat und ich hockten hinten im Wagen.
Koster fuhr wunderbar. Er nahm die Kurven wie ein Vogel. Es wirkte spielerisch, so sicher war es. Er fuhr nicht hart, wie die meisten Rennfahrer. Man hatte schlafen konnen, wenn er Serpentinen nahm, so ruhig fuhr er den Wagen. Man merkte nie die Geschwindigkeit.
Wir horten am veranderten Ton der Reifen, wenn das Pflaster wechselte. Auf Teerstra?en pfiffen sie, auf Steinpflaster donnerten sie dumpf. Die Scheinwerfer jagten wie fahle Hetzhunde langgestreckt vor uns her und zerrten aus dem Dunkel eine zitternde Birkenallee heran, eine Pappelreihe, vorubersturzende Telegrafenstangen, geduckte Hauser und die stumme Parade der Waldrander. Ungeheuer zog uber uns, begleitet von tausend Sternen, der helle Rauch der Milchstra?e mit.
Das Tempo nahm zu. Ich deckte unsere Mantel uber Pat. Sie lachelte mir zu. »Liebst du mich eigentlich?« fragte ich.
Sie schuttelte den Kopf. »Du mich?«
»Nein. Ein Gluck, was?«
»Ein gro?es Gluck.«
»Dann kann uns ja nichts passieren, wie?«
»Gar nichts -«, erwiderte sie und fa?te unter den Manteln nach meiner Hand.
Die Stra?e fuhrte in einem Bogen an den Bahndamm herunter. Die Schienen schimmerten. Weit vor uns schwankte ein rotes Licht. Karl brullte auf und scho? los. Es war ein Schnellzug mit Schlafwagen und einem hellerleuchteten Speisewagen. Wir holten auf und waren bald auf gleicher Hohe. Aus den Fenstern winkten Leute. Wir winkten nicht zuruck. Wir fuhren vorbei. Ich sah mich um. Die Lokomotive spruhte Rauch und Funken. Sie stampfte schwarz in der blauen Nacht. Wir hatten sie uberholt – aber wir fuhren in die Stadt, zu Taxis, Reparaturwerkstatten und moblierten Zimmern. Sie jedoch stampfte an den Flanken der Walder und Felder und Flusse voruber in die Ferne und das Abenteuer der Weite.
Stra?en und Hauser schwankten heran. Karl wurde leiser, aber sein Rohren war immer noch das eines wilden Tieres.
Koster hielt in der Nahe des Friedhofs. Er fuhr weder zu Pat noch zu mir, hielt einfach irgendwo in der Nahe, er dachte wahrscheinlich, wir wollten allein sein. Wir stiegen aus. Die beiden sausten sofort weiter, ohne sich umzusehen. Ich blickte ihnen nach. Einen Augenblick war das sonderbar. Sie fuhren ab, meine Kameraden fuhren ab, und ich blieb zuruck, blieb zuruck.
Ich schuttelte es ab. »Komm«, sagte ich zu Pat, die mich ansah, als hatte sie etwas gespurt.
»Fahr mit«, sagte sie.
»Nein«, erwiderte ich.
»Du mochtest doch mitfahren…«
»Ach wo -«, sagte ich und wu?te, da? es stimmte. »Komm…«
Wir gingen am Friedhof entlang, noch etwas schwankend vom Wind und vom Fahren. »Robby«, sagte Pat,»ich mochte lieber nach Hause.«
»Warum?«
»Ich will nicht, da? du meinetwegen etwas aufgibst.«
»Was fallt dir ein«, fragte ich,»was gebe ich denn auf?«
»Deine Kameraden…«
»Die gebe ich doch gar nicht auf – die treffe ich ja morgen fruh schon wieder.«
»Du wei?t schon, was ich meine«, sagte sie. »Du warst fruher viel mehr mit ihnen zusammen.«
»Weil du nicht da warst«, erwiderte ich und schlo? die Tur auf.
Sie schuttelte den Kopf. »Das ist etwas ganz anderes.«
»Naturlich ist es anders. Gott sei Dank.«
Ich nahm sie hoch und trug sie den Korridor entlang in mein Zimmer. »Du brauchst Kameraden«, sagte sie dicht an meinem Gesicht.
»Dich brauche ich auch«, erwiderte ich.
»Aber nicht so notig…«
»Das werden wir ja noch sehen…«
Ich stie? die Tur auf und lie? sie zu Boden gleiten. Sie hielt mich fest. »Ich bin nur ein sehr schlechter Kamerad, Robby.«
»Das will ich hoffen«, sagte ich. »Ich will auch keine Frau als Kameraden. Ich will eine Geliebte.«
»Bin ich auch nicht«, murmelte sie.