»Was bist du denn?«
»Nichts Halbes und nichts Ganzes. Ein Fragment…«
»Das ist das Beste«, sagte ich. »Das regt die Phantasie an. Solche Frauen liebt man ewig. Fertige Frauen kriegt man leicht uber. Wertvolle auch. Fragmente nie.«
Es war vier Uhr nachts. Ich hatte Pat nach Hause gebracht und ging zuruck. Der Himmel war schon etwas hell geworden. Es roch nach Morgen.
Ich ging den Friedhof entlang, am Cafe International vorbei, nach Hause. Da offnete sich die Tur einer Chauffeurkneipe neben dem Gewerkschaftshaus, und ein Madchen kam heraus. Eine kleine Kappe, ein schabiges rotes Mantelchen, hohe Lackstiefel – ich war schon fast vorbei, da erkannte ich sie -»Lisa…«
»Sieht man dich auch mal wieder?« sagte sie.
»Wo kommst du denn her?« fragte ich.
Sie machte eine Bewegung. »Habe da gewartet. Dachte, du kamst vorbei. Ist ja so die Zeit, wo du nach Hause kommst.«»Ja, richtig…«»Kommst du mit?« fragte sie. Ich zogerte. »Es geht nicht…«»Du brauchst kein Geld«, sagte sie rasch. »Nicht deshalb«, antwortete ich unbedacht,»ich habe Geld.«»Ach so -«, sagte sie bitter und trat einen Schritt zuruck. Ich griff nach ihrer Hand. »Nein, Lisa…« Schmal und bla? stand sie auf der leeren, grauen Stra?e. So hatte ich sie getroffen, vor Jahren, als ich stumpf und allein dahinlebte, ohne Gedanken und ohne Hoffnung. Sie war erst mi?trauisch gewesen, wie alle diese Madchen, aber dann, als wir ein paarmal miteinander gesprochen hatten, zutraulich und anhanglich. Es war ein sonderbares Verhaltnis gewesen – manchmal sah ich sie wochenlang nicht, und dann stand sie plotzlich irgendwo und wartete. Wir hatten beide nichts und niemand um diese Zeit – da war das bi?chen Warme und Beieinandersein, das wir uns geben konnten, fur jeden wohl mehr gewesen als sonst. Ich hatte sie lange nicht mehr gesehen – seit ich Pat kannte, nicht mehr.
»Wo warst du denn so lange, Lisa?«
Sie zuckte die Achseln. »Ist ja egal. Wollte dich nur mal wiedersehen. Na, dann kann ich ja losziehen.«
»Wie geht's dir denn?«
»La? man -«, sagte sie. »Streng dich nicht an.«
Ihr Mund zitterte. Sie sah verhungert aus. »Ich komme doch noch ein bi?chen mit dir«, sagte ich.
Ihr armes, gleichgultiges Hurengesicht belebte sich und wurde kindlich. Ich kaufte unterwegs in einer der Chauffeurkneipen, die die ganze Nacht offen waren, ein paar Kleinigkeiten, damit sie etwas zu essen hatte. Sie wollte anfangs nicht; erst als ich sagte, ich hatte selbst Hunger, gab sie nach. Aber sie achtete darauf, da? ich nicht betrogen wurde und schlechte Stucke erhielt.
Sie wollte auch kein halbes Pfund Schinken; sie meinte, ein viertel ware genug, wenn wir noch Frankfurter Wurstchen nahmen. Aber ich blieb bei dem halben und zwei Buchsen Wurstchen.
Sie wohnte in einer Dachkammer, die sie sich etwas eingerichtet hatte. Eine Petroleumlampe stand auf dem Tisch und neben dem Bett, auf einer Flasche, eine Kerze. An den Wanden hingen Bilder, die aus Zeitschriften ausgeschnitten und mit Rei?nageln befestigt waren. Auf der Kommode lagen ein paar Detektivromane; daneben ein Packchen schweinischer Fotografien. Manche Besucher, besonders verheiratete, wollten so was sehen. Lisa fegte sie in die Schublade und holte ein zerschlissenes, aber sauberes Tischtuch heraus.
Ich packte die Sachen aus. Lisa zog sich inzwischen um. Zuerst zog sie das Kleid aus, obschon ich wu?te, da? ihr die Fu?e am meisten weh taten. Sie mu?te ja so viel laufen. Sie stand da, in ihren hohen Lackstiefeln bis zum Knie und in schwarzer Wasche.
»Wie findest du meine Beine?« fragte sie.
»Klasse, wie immer.«
Sie war zufrieden und setzte sich erleichtert auf das Bett, um die Schuhe loszuschnuren. »Hundertzwanzig Mark kosten die«, sagte sie und hielt sie mir hin. »Bis man das mal verdient hat, sind sie schon wieder in Bruch.«
Sie nahm einen Kimono aus dem Schrank und ein Paar verblichene Brokathalbschuhe aus besseren Tagen. Dabei lachelte sie fast schuldbewu?t. Sie wollte gefallen. Es wurgte mich plotzlich etwas, so hier oben in der kleinen Bude, als ware mir jemand gestorben.
Wir sa?en, und ich sprach behutsam mit ihr. Aber sie merkte trotzdem, da? sich etwas verandert hatte. Ihre Augen wurden angstlich. Es war nie mehr zwischen uns gewesen als das, was der Zufall gebracht hatte. Aber vielleicht verpflichtete und band das mehr als vieles andere. »Du gehst?« fragte sie, als ich aufstand – als hatte sie es schon lange gefurchtet.
»Ich habe noch eine Verabredung…«
Sie sah mich an. »So spat?«
»Geschaftlich. Wichtig fur mich, Lisa. Mu? versuchen, jemand noch zu treffen. Sitzt um diese Zeit gewohnlich im Astoria.«
Keine Frauen sind verstandiger fur so was als Madchen wie Lisa. Aber keiner Frau kann man auch so wenig vorlugen wie ihnen. Lisas Gesicht wurde leer. »Du hast eine andere Frau…«
»Aber Lisa – wir haben uns doch so wenig gesehen – jetzt fast ein Jahr nicht – du kannst dir doch denken…«
»Nein, nein, das meine ich nicht. Du hast eine Frau, die du liebst! Du hast dich verandert. Ich spure es.«
»Ach, Lisa…«
»Doch, doch. Sag's!«
»Ich wei? es selbst nicht. Vielleicht…«
Sie stand eine Weile. Dann nickte sie. »Jaja – naturlich – ich bin ja auch dumm – wir haben ja auch gar nichts miteinander…« Sie strich sich uber die Stirn. »Ich wei? nicht, wie ich dazu komme…« Ihre schmale Gestalt stand durftig und zerbrechlich vor mir. Die Brokatschuhe – der Kimono – die langen, leeren Abende, die Erinnerung -»Auf Wiedersehen, Lisa…«
»Du gehst – du bleibst nicht noch etwas? Du gehst – schon?«
Ich wu?te, was sie meinte. Aber ich konnte es nicht. Es war merkwurdig, aber ich konnte es nicht, ich spurte das sehr stark. Fruher war das nie so gewesen. Ich hatte keine ubertriebenen Vorstellungen von Treue. Aber es ging einfach nicht mehr. Ich fuhlte plotzlich, wie weit ich von all dem schon weg war.
Sie stand im Turrahmen. »Du gehst…« Sie lief zuruck. »Hier, ich wei?, du hast mir Geld hingelegt – unter die Zeitung – ich will es nicht haben – Da – da – ja, geh nur…«
»Ich mu?, Lisa.«
»Du kommst nicht wieder…«
»Doch, Lisa…«
»Nein, nein, du kommst nicht wieder – ich wei? es! Du sollst auch nicht wiederkommen! Geh nur, so geh doch…« Sie weinte. Ich ging die Treppe hinunter und sah mich nicht um.
Ich ging noch lange durch die Stra?en. Es war eine sonderbare Nacht. Ich war sehr wach und konnte nicht schlafen. Ich ging am International vorbei, ich dachte an Lisa und an die Jahre von fruher, an vieles, was ich schon lange vergessen hatte, aber es war weit weg und schien nicht mehr zu mir zu gehoren. Dann wanderte ich durch die Stra?e, wo Pat wohnte. Der Wind wurde starker, alle Fenster in ihrem Hause waren dunkel, der Morgen schlich auf grauen Fu?en die Turen entlang, und ich ging endlich nach Hause. Mein Gott, dachte ich, ich glaube, ich bin glucklich.
XIII
»Die Dame, die Sie immer verstecken«, sagte Frau Zalewski,»brauchen Sie nicht zu verstecken. Sie kann ruhig offen zu Ihnen kommen. Sie gefallt mir…«
»Sie haben sie ja noch gar nicht gesehen«, erwiderte ich.
»Beruhigen Sie sich nur, ich habe sie gesehen«, erklarte Frau Zalewski mit Nachdruck. »Ich habe sie gesehen und sie gefallt mir – sehr gut sogar -, aber das ist keine Frau fur Sie!«
»So?«
»Nein. Ich hab' mich schon gewundert, wie Sie die in Ihren Kneipen aufgestobert haben. Aber naturlich, die