Frauen wurden jetzt aufmerksam. Pat und Breuer tanzten. Pat sah oft heruber. Ich sah nicht mehr hin. Ich wu?te, da? es unrecht war, aber es war plotzlich uber mich gekommen. Es argerte mich auch, da? die andern auf mein Trinken aufmerksam wurden. Ich hatte keine Lust, ihnen damit zu imponieren wie ein Gymnasiast. Ich stand auf und ging an die Bar. Pat erschien mir ganz fremd. Sollte sie zum Teufel gehen mit ihren Leuten! Sie gehorte dazu. Nein, sie gehorte nicht dazu. Doch!
Der Kahlkopf kam mir nach. Wir tranken mit dem Mixer einen Wodka. Mixer sind immer ein Trost. Man versteht sich in der ganzen Welt mit ihnen, ohne reden zu mussen. Auch dieser war gut. Nur der Kahlkopf war schwach. Er wollte sich aussprechen. Eine gewisse Fifi lag ihm auf der Seele. Aber das gab sich bald. Er erzahlte mir, Breuer sei in Pat seit Jahren verliebt. »So?« sagte ich. Er kicherte. Ich brachte ihn mit einer Prarie Oyster zum Schweigen. Aber mir blieb im Schadel, was er gesagt hatte. Ich argerte mich, da? es mir etwas machte. Und ich argerte mich, da? ich nicht mit der Faust auf den Tisch schlug. Aber irgendwo spurte ich eine kalte Lust zum Zerstoren in mir, die sich nicht gegen andere wendete. Nur gegen mich.
Der Kahlkopf lallte bald und verschwand. Ich blieb sitzen. Plotzlich spurte ich eine harte, feste Brust an meinem Arm. Es war eine der Frauen, die Breuer herangebracht hatte. Sie setzte sich dicht neben mich. Ihre schragen, graugrunen Augen streiften mich langsam. Es war ein Blick, nach dem eigentlich nichts mehr zu sagen war – nur etwas zu tun. »Wunderbar, so trinken zu konnen«, sagte sie nach einer Weile. Ich schwieg. Sie streckte eine Hand nach meinem Glase aus. Die Hand war wie eine Eidechse, glitzernd von Schmuck, trocken und sehnig. Sie bewegte sich sehr langsam, als kroche sie. Ich wu?te, was los war. Mit dir werde ich rasch fertig, dachte ich. Du unterschatzt mich, weil du siehst, da? ich argerlich bin. Aber du irrst dich. Mit Frauen werde ich schon fertig – es ist die Liebe, mit der ich nicht fertig werde. Es ist das Unerfullbare, das mich traurig macht.
Die Frau begann zu sprechen. Sie hatte eine bruchige, etwas glaserne Stimme. Ich merkte, wie Pat herubersah. Ich kummerte mich nicht darum. Aber ich kummerte mich auch nicht um die Frau neben mir. Ich hatte das Gefuhl, durch einen glatten, bodenlosen Schacht zu gleiten. Es hatte nichts mit Breuer und den Leuten zu tun. Es hatte nicht einmal etwas mit Pat zu tun. Es war das finstere Geheimnis, da? die Wirklichkeit die Wunsche weckt, aber sie nie befriedigen kann; da? die Liebe in einem Menschen beginnt, aber nie in ihm endet; und da? alles dasein kann: ein Mensch, die Liebe, das Gluck, das Leben – und da? es auf eine furchtbare Weise immer zuwenig ist und immer weniger wird, je mehr es scheint. Ich blickte verstohlen zu Pat hinuber. Da ging sie in ihrem silbernen Kleid, jung und schon, eine helle Flamme Leben, ich liebte sie, und wenn ich zu ihr sagte: Komm, so kam sie, nichts stand zwischen uns, wir konnten uns so nahe sein, wie es Menschen nur konnen – aber dennoch war alles manchmal auf eine ratselhafte Weise verschattet und qualvoll, ich konnte sie nicht losen aus dem Ring der Dinge, nicht herausrei?en aus dem Kreise des Daseins, der uber uns und in uns war und uns seine Gesetze aufzwang, den Atem und das Vergehen, den fragwurdigen Glanz der immerfort ins Nichts absturzenden Gegenwart, die schimmernde Illusion des Gefuhls, das im Besitzen schon wieder Verlieren war. Nie war es aufzuhalten, nie! Nie war sie zu losen, die klirrende Kette der Zeit, nie wurde aus Rastlosigkeit Rast, aus Suchen Stille, aus Fallen Halt. Nicht einmal vom Zufall konnte ich sie losen, von dem, was vorher war, ehe ich sie kannte, von tausend Gedanken, Erinnerungen, von dem, was sie geformt hatte, bevor ich da war, nicht einmal von diesen Leuten hier konnte ich sie losen – Neben mir sprach die Frau mit ihrer bruchigen Stimme. Sie suchte einen Gefahrten fur eine Nacht, ein Stuck fremdes Leben, um sich aufzupeitschen, um zu vergessen, sich und die allzu schmerzhafte Klarheit, da? nie etwas bleibt, kein Ich und kein Du und am wenigsten ein Wir. Suchte sie im Grunde nicht dasselbe wie ich? Einen Gefahrten, um die Einsamkeit des Lebens zu vergessen, einen Kameraden, um die Sinnlosigkeit des Daseins zu bestechen?
»Kommen Sie«, sagte ich,»wir wollen zuruckgehen. Es ist hoffnungslos – das was Sie wollen – und auch das, was ich will.«
Sie sah mich einen Augenblick an. Dann warf sie den Kopf in den Nacken und lachte.
Wir gingen noch in ein paar andere Lokale. Breuer war erhitzt, redselig und hoffnungsvoll. Pat war stiller geworden. Sie fragte mich nicht, sie machte mir keine Vorwurfe, sie versuchte nichts aufzuklaren, sie war einfach da, manchmal tanzte sie, dann schien es, als glitte sie durch einen Schwarm von Marionetten und Karikaturen wie ein stilles, schones, schmales Schiff, und manchmal lachelte sie mir zu.
Die Dosigkeit der Nachtlokale wischte mit graugelben Handen uber die Wande und die Gesichter. Die Musik schien unter einem glasernen Katafalk zu spielen. Der Kahlkopf trank Kaffee. Die Frau mit den Eidechsenhanden sah starr vor sich hin. Breuer kaufte von einem ubermudeten Blumenmadchen Rosen und verteilte sie an Pat und die beiden Frauen. Auf den halboffenen Knospen standen kleine, klare Wasserperlen. »Wir wollen einmal miteinander tanzen«, sagte Pat zu mir.
»Nein«, sagte ich und dachte an die Hande, die sie heute schon beruhrt hatten,»nein«, und fuhlte mich ziemlich lacherlich und elend.
»Doch«, sagte sie, und ihre Augen wurden dunkel.
»Nein«, erwiderte ich,»nein, Pat.«
Dann gingen wir endlich. »Ich fahre Sie nach Hause«, sagte Breuer zu mir.
»Gut.«
Er hatte eine Decke im Wagen, die er Pat uber die Knie legte. Sie sah auf einmal sehr bla? und mude aus. Die Frau von der Bar schob mir beim Abschied einen Zettel in die Hand. Ich tat, als sei nichts gewesen, und stieg ein. Unterwegs sah ich aus dem Fenster. Pat sa? in der Ecke und regte sich nicht. Ich horte sie nicht einmal atmen. Breuer fuhr zuerst zu ihr. Er wu?te ihre Wohnung, ohne zu fragen. Sie stieg aus. Breuer ku?te ihr die Hand. »Gute Nacht«, sagte ich und sah sie nicht an.
»Wo kann ich Sie absetzen?« fragte Breuer mich.
»An der nachsten Ecke«, sagte ich.
»Ich fahre Sie gern nach Hause«, erwiderte er etwas zu rasch und zu hoflich.
Er wollte verhindern, da? ich zuruckging. Ich uberlegte, ob ich ihm eine herunterhauen sollte. Aber er war mir zu gleichgultig. »Schon, dann fahren Sie mich zur Bar Freddy«, sagte ich.
»Kommen Sie da denn um die Zeit noch 'rein?« fragte er.
»Nett, da? Sie so besorgt sind«, sagte ich,»aber seien Sie versichert, ich komme uberall noch 'rein.«
Als ich es gesagt hatte, tat er mir leid. Er war sich sicher sehr gro?artig und gerissen vorgekommen den ganzen Abend. Man sollte so was nicht zerstoren.
Ich verabschiedete mich freundlicher von ihm als von Pat.
In der Bar war es noch ziemlich voll. Lenz und Ferdinand Grau pokerten mit dem Konfektionar Bollwies und ein paar anderen. »Setz dich 'ran«, sagte Gottfried,»heute ist Pokerwetter.«
»Nein«, erwiderte ich.
»Sieh dir das an«, sagte er und zeigte auf einen Packen Geld. »Ohne Bluff. Die flushs liegen in der Luft.«
»Schon«, sagte ich,»gib her.«
Ich bluffte mit zwei Konigen vier Mann zum Fenster 'raus.
»So was!« sagte ich. »Scheint auch Bluffwetter zu sein.«
»Das immer«, erwiderte Ferdinand und schob mir eine Zigarette 'ruber.
Ich hatte nicht lange bleiben wollen. Doch jetzt spurte ich etwas Boden unter den Fu?en. Es ging mir nicht besonders; aber hier war die alte, ehrliche Heimat. »Stell mir eine halbe Flasche Rum her«, rief ich Fred zu.
»Tu mal Portwein 'rein«, sagte Lenz.
»Nein«, erwiderte ich. »Hab' keine Zeit fur Experimente.
Will mich besaufen.«
»Dann nimm su?e Likore. Krach gehabt?«
»Unsinn.«
»Red nicht, Baby. Quatsch deinem alten Vater Lenz nichts vor, der in den Schluchten des Herzens zu Hause ist. Sag ja und sauf.«
»Mit einer Frau kann man keinen Krach haben. Man kann sich hochstens uber sie argern.«
»Das sind zu feine Unterschiede fur drei Uhr nachts. Ich habe ubrigens mit jeder Krach gehabt. Wenn man keinen Krach mehr hat, ist's bald aus.«
»Schon«, sagte ich,»wer gibt?«
»Du«, sagte Ferdinand Grau. »Schatze, du hast Weltschmerz, Robby. La? dich's nicht anfechten. Das Leben ist bunt, aber unvollkommen. Ubrigens, fur Weltschmerz bluffst du fabelhaft. Zwei Konige sind schon 'ne Frechheit.«