»Ich hab' mal 'ne Partie gesehen, da standen siebentausend Francs gegen zwei Konige«, sagte Fred vom Bartisch her.

»Schweizer oder franzosische?« fragte Lenz.

»Schweizer.«

»Dein Gluck«, erwiderte Gottfried. »Mit franzosischen hattest du das Spiel nicht unterbrechen durfen.«

Wir spielten eine Stunde weiter. Ich gewann ziemlich viel. Bollwies verlor dauernd. Ich trank, aber ich kriegte nur Kopfschmerzen. Die braunen, wehenden Tucher blieben aus. Es wurde alles nur scharfer. Mein Magen brannte.

»So, jetzt hor auf und i? was«, sagte Lenz. »Fred, gib ihm ein Sandwich und ein paar Sardinen. Steck das Geld ein, Robby.«

»Eine Runde noch.«

»Gut. Letzte Runde. Doppelt?«

»Doppelt«, sagten die andern.

Ich kaufte ziemlich sinnlos auf Kreuz zehn und Konig drei Karten. Es waren Bube, Dame und As. Ich gewann damit gegen Bollwies, der einen Achter-Vierling in der Hand hatte und bis zum Mond hoch reizte. Fluchend zahlte er mir einen Haufen Geld aus. »Siehst du«, sagte Lenz,»Flushwetter.«

Wir setzten uns an die Bar. Bollwies fragte nach Karl. Er konnte nicht vergessen, da? Koster seinen Sportwagen geschlagen hatte. Er wollte Karl immer noch kaufen. »Frag Otto«, sagte Lenz. »Aber ich glaube, er verkauft dir lieber eine Hand.«

»Na, na«, sagte Bollwies.

»Das verstehst du nicht«, erwiderte Lenz,»du kommerzieller Sohn des zwanzigsten Jahrhunderts.« Ferdinand Grau lachte.

Fred auch. Schlie?lich lachten wir alle. Wenn man uber das zwanzigste Jahrhundert nicht lachte, mu?te man sich erschie?en. Aber man konnte nicht lange daruber lachen. Es war ja eigentlich zum Heulen.

»Kannst du tanzen, Gottfried?« fragte ich.

»Naturlich. Ich war doch mal Tanzlehrer. Hast du das schon vergessen?«

»Vergessen – la? ihn doch vergessen«, sagte Ferdinand Grau. »Vergessen ist das Geheimnis ewiger Jugend. Man altert nur durch das Gedachtnis. Es wird viel zuwenig vergessen.«

»Nein«, sagte Lenz. »Es wird nur immer das Falsche vergessen.«

»Kannst du mir's beibringen?« fragte ich.

»Tanzen? An einem Abend, Baby. Ist das dein ganzer Kummer?«

»Hab' keinen Kummer«, sagte ich. »Kopfschmerzen.«

»Die Krankheit unserer Zeit, Robby«, sagte Ferdinand.

»Am besten ware es, ohne Kopf geboren zu werden.«

Ich ging noch ins Cafe International. Alois wollte gerade die Laden 'runtermachen. »Noch wer da?« fragte ich.

»Rosa.«

»Komm, wir nehmen alle drei noch einen.«

»Gemacht.«

Rosa sa? neben der Theke und strickte kleine Wollstrumpfe fur ihre Tochter. Sie zeigte mir die Muster. Sie hatte auch schon ein Jackchen fertig. »Wie war's Geschaft?« fragte ich.

»Schlecht. Kein Mensch hat mehr Geld.«

»Soll ich dir was leihen? Hier – hab' beim Pokern gewonnen.«

»Spielgeld bringt Handgeld«, sagte Rosa, spuckte darauf und steckte es ein.

Alois brachte drei Glaser. Nachher, als Fritzi kam, noch eins.

»Feierabend«, sagte er dann. »Bin todmude.«

Er drehte das Licht aus. Wir gingen. Rosa verabschiedete sich an der Tur. Fritzi hangte sich bei Alois ein. Sie ging frisch und leicht neben ihm her. Er schlurfte mit seinen Plattfu?en uber das Pflaster. Ich blieb stehen und sah ihnen nach. Ich sah, wie Fritzi sich zu dem schmutzigen, krummen Kellner niederbeugte und ihn ku?te. Er wehrte sie gleichgultig ab. Und plotzlich, ich wu?te nicht, wie es kam, wahrend ich mich umdrehte und uber die leere Stra?e und die Hauser mit den dunklen Fenstern und den kalten Nachthimmel hinwegblickte, schlug wie mit Fausten eine so irrsinnige Sehnsucht nach Pat auf mich ein, da? ich glaubte zu taumeln. Ich verstand nichts mehr – mich nicht und mein Verhalten nicht und den ganzen Abend nicht, nichts mehr.

Ich lehnte mich an eine Hauswand und starrte vor mich hin. Ich begriff nicht, weshalb ich das alles getan hatte. Ich war da in etwas hineingeraten, das mich durcheinanderri?, das mich unvernunftig und ungerecht machte, das mich hin und her warf und mir zerschlug, was ich muhsam geordnet hatte. Ziemlich hilflos stand ich da und wu?te nicht, was ich tun sollte. Nach Hause wollte ich nicht – dann wurde es ganz schlimm. Schlie?lich erinnerte ich mich, da? Alfons noch offen haben mu?te. Ich ging hin. Ich wollte da bleiben bis zum Morgen.

Alfons sagte nicht viel, als ich kam. Er sah mich kurz an und las seine Zeitung weiter. Ich setzte mich an einen Tisch und doste. Es war niemand sonst da. Ich dachte an Pat. Immer wieder an Pat. Ich dachte daran, wie ich mich benommen hatte. Jede Einzelheit fiel mir auf einmal ein. Alles drehte sich gegen mich. Ich allein war schuld. Ich war verruckt gewesen. Ich starrte auf den Tisch. Das Blut toste in meinem Schadel. Ich war erbittert und wutend auf mich und ganz ratlos. Ich war es, ich allein, der alles kaputtmachte.

Es klirrte und knackte plotzlich. Ich hatte mit aller Kraft mein Glas zerschlagen. »Auch 'ne Unterhaltung«, sagte Alfons und stand auf.

Er zog mir die Splitter aus der Hand. »Tut mir leid«, sagte ich. »Habe es im Moment nicht uberlegt.«

Er holte Watte und Heftpflaster. »Geh ins Puff«, sagte er,»das ist besser.«

»Schon«, erwiderte ich. »Ist schon vorbei. War nur so ein Wutanfall.«

»Wut mu? man wegamusieren, nicht wegargern«, erklarte Alfons.

»Stimmt«, sagte ich,»aber konnen mu? man's, auch.«

»Alles Training. Ihr wollt blo? alle mit dem Kopp durch die Wand. Gibt sich aber mit den Jahren.«

Er legte das »Miserere« aus dem »Troubadour« auf das Grammophon. Es wurde schnell hell.

Ich ging nach Hause. Alfons hatte mir noch ein gro?es Glas Fernet-Branca zu trinken gegeben. Ich merkte, da? jetzt weiche Beile hinter meiner Stirn klopften. Die Stra?e war nicht mehr glatt. In meinen Schultern sa? Blei. Ich hatte genug.

Langsam ging ich die Treppe hinauf und suchte in der Tasche nach meinem Schlussel. Da horte ich im Halbdunkel jemand atmen. Etwas Bleiches, Undeutliches hockte auf der oberen Treppenstufe. Ich machte zwei Schritte. »Pat -«, sagte ich verstandnislos -»Pat – was machst du denn hier?«

Sie bewegte sich. »Ich glaube, ich habe etwas geschlafen…«

»Ja aber, wie kommst du denn hierher?«

»Ich habe doch deinen Hausschlussel…«

»Das meine ich nicht. Ich meine…« Die Trunkenheit wich, ich sah die abgetretenen Stufen der Treppe, die abgeblatterte Wand und das silberne Kleid, die schmalen, leuchtenden Schuhe -»ich meine, da? du uberhaupt hier bist…«

»Das frage ich mich auch schon die ganze Zeit…«

Sie stand auf und dehnte sich, als ware es das Selbstverstandlichste von der Welt, da? sie in der spaten Nacht hier auf der Treppe gesessen hatte. Dann schnupperte sie. »Lenz wurde jetzt sagen – Kognak, Rum, Kirsch, Absinth…«

»Sogar Fernet-Branca«, bekannte ich und fa?te erst jetzt alles richtig.

»Gottverdammt, du bist ein gro?artiges Madchen, Pat, und ich bin ein scheu?licher Idiot!«

Ich nahm sie mit einem Ruck hoch, schlo? die Tur auf und trug sie durch den Korridor. Sie lag an meiner Brust, ein silberner Reiher, ein muder Vogel, ich wandte den Kopf zur Seite, damit sie meinen Schnapsatem nicht spurte, und ich fuhlte, da? sie zitterte, obwohl sie lachelte.

Ich setzte sie in einen Sessel, machte Licht und holte eine Decke.

»Hatte ich doch nur eine Ahnung gehabt, Pat – statt herumzulungern und herumzusitzen, hatte ich – ach, ich elender Schafskopf – angerufen habe ich von Alfons aus bei dir, und gepfiffen vor deinem Hause – und ich dachte, du wolltest nicht, weil du dich nicht meldetest…«

»Weshalb bist du denn nicht zuruckgekommen, als du mich nach Hause gebracht hast?«

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