haben.«
Er hielt mir die Hand hin und ich schlug ein. »Gott sei Dank«, sagte ich aufatmend,»das erste Geschaft seit langer Zeit. Der Cadillac scheint uns Gluck zu bringen.«
»Mir auch«, sagte Blumenthal. »Ich habe ja auch funfhundert Mark dran verdient.«
»Das schon. Aber weshalb haben Sie ihn eigentlich so bald wieder verkauft? Gefallt er Ihnen nicht?«
»Einfacher Aberglaube«, erklarte Blumenthal. »Ich mache jedes Geschaft, bei dem ich verdiene…«
»Fabelhafter Aberglaube«, erwiderte ich.
Er wiegte den glanzenden Schadel. »Sie glauben es nicht – aber es stimmt. Damit mir nichts schiefgeht – bei anderen Sachen. Heute ein Geschaft auslassen, ist eine Herausforderung des Schicksals. Und das kann sich keiner mehr leisten.«
Um halb funf Uhr nachmittags stellte Gottfried Lenz mit ausdrucksvollem Gesicht eine leere Ginflasche vor mich auf den Tisch. »Die mochte ich gerne von dir gefullt haben, Baby! Kostenlos! Du erinnerst dich an unsere Wette?«
»Ich erinnere mich«, sagte ich,»aber du kommst zu fruh.«
Gottfried hielt mir wortlos seine Uhr vor die Nase.
»Halb funf«, sagte ich,»Sternwartezeit sogar wahrscheinlich. Verspaten kann sich jeder mal. Ich biete dir ubrigens die Wette doppelt, zwei zu eins an…«
»Angenommen«, erklarte Gottfried feierlich. »Macht vier Flaschen Gratis-Gin fur mich. So was nennt man Heldenmut auf verlorenem Posten. Ehrenvoll, Baby, aber falsch…«
»Abwarten…«
Ich war langst nicht so sicher, wie ich tat. Im Gegenteil, ich nahm schon ziemlich bestimmt an, da? der Backer nicht mehr kommen wurde. Ich hatte ihn vormittags festhalten mussen. Er war zu unzuverlassig.
Als die Sirene von der Bettfedernfabrik gegenuber funf Uhr tutete, stellte Gottfried schweigend drei weitere leere Ginflaschen vor mich auf den Tisch. Dann lehnte er sich ans Fenster und starrte mich an.
»Ich bin durstig«, sagte er nach einer Weile mit Betonung.
In diesem Augenblick horte ich das unverkennbare Rasseln eines Fordmotors auf der Stra?e, und gleich darauf bog der Wagen des Backers in unsere Einfahrt ein. »Wenn du durstig bist, lieber Gottfried«, erwiderte ich mit gro?er Wurde,»so lauf schnell, die beiden Flaschen Rum einkaufen, die ich mit meiner Wette gewonnen habe. Du darfst einen Gratisschluck daraus nehmen. Siehst du drau?en den Backermeister? Psychologie, mein Junge! Und nun raume die leeren Ginflaschen hier weg! Nachher kannst du dann mit dem Taxi losfahren. Fur das feinere Geschaft bist du noch zu jung. Servus, mein Sohn!«
Ich ging hinaus und erzahlte dem Backer, da? der Wagen wahrscheinlich zu haben sein werde. Der Kunde verlange allerdings noch siebentausendfunfhundert Mark, aber wenn er Bargeld sehe, werde er schon auf siebentausend heruntergehen.
Der Backer horte so zerstreut zu, da? ich stutzte. »Um sechs Uhr werde ich den Mann noch mal anrufen«, sagte ich schlie?lich.
»Um sechs?« Der Backer wachte aus seiner Abwesenheit auf. »Um sechs mu? ich…« Er wandte sich mir plotzlich zu. »Wollen Sie mitgehen?«
»Wohin?« fragte ich erstaunt.
»Zu Ihrem Freund, dem Maler. Das Bild ist fertig.«
»Ach so, zu Ferdinand Grau…«
Er nickte. »Kommen Sie doch mit. Wir konnen dann nachher auch uber den Wagen sprechen.«
Es schien ihm etwas daran zu liegen, nicht allein zu gehen. Mir dagegen lag ebensoviel daran, ihn nicht mehr allein zu lassen. »Gut«, sagte ich deshalb,»es ist ja ziemlich weit – wir fahren am besten gleich los.«
Ferdinand Grau sah schlecht aus. Sein Gesicht war graugrun, verschattet und verquollen. Er begru?te uns an der Tur zum Atelier. Der Backer sah ihn kaum an. Er war merkwurdig unsicher und aufgeregt. »Wo ist es?« fragte er sofort.
Ferdinand zeigte mit der Hand zum Fenster. Das Bild lehnte dort auf einer Staffelei. Der Backer ging rasch hinein und blieb dann ohne Bewegung dicht vor dem Bilde stehen. Nach einer Weile nahm er den Hut ab. Er war so eilig gewesen, da? er das vorher ganz vergessen hatte.
Ferdinand und ich blieben an der Tur stehen. »Wie geht es, Ferdinand?« fragte ich.
Er machte eine vage Handbewegung.
»Ist was los?«-»Was soll los sein?«
»Du siehst schlecht aus…«
»Weiter nichts?«
»Nein«, sagte ich,»weiter nichts…«
Er legte mir seine gro?e Hand auf die Schulter und lachelte mit einem Gesicht wie ein alter Bernhardiner.
Wir warteten noch eine Zeitlang. Dann gingen wir zu dem Backer hinuber. Ich war uberrascht, als ich das Bild sah. Der Kopf war sehr gut geworden. Ferdinand hatte nach dem Foto von der Hochzeit und der zweiten, sehr verharmten Aufnahme eine noch junge Frau gemalt, die mit ernsten, etwas ratlosen Augen vor sich hin schaute.
»Ja«, sagte der Backer, ohne sich umzudrehen,»das ist sie.« Er sagte das mehr fur sich, und es schien mir, als wu?te er nicht einmal, da? er es sagte.
»Haben Sie genug Licht?« fragte Ferdinand.
Der Backer antwortete nicht.
Ferdinand ging heran, um die Staffelei etwas herumzurucken. Dann trat er zuruck und nickte mir zu, mit in das kleine Zimmer neben dem Atelier zu kommen. »Das hatte ich nie gedacht«, sagte er verwundert,»die Rabattmaschine hat's erwischt! Er heult…«
»Einmal erwischt es jeden«, erwiderte ich. »Fur den da ist es nur zu spat…«
»Zu spat«, sagte Ferdinand,»immer zu spat. Das ist nun mal so im Leben, Robby.«
Er ging langsam hin und her. »Wir wollen ihn ruhig eine Zeitlang da druben fur sich lassen. Konnten inzwischen eine Partie Schach spielen.«
»Du hast ein goldenes Gemut«, sagte ich.
Er blieb stehen. »Wieso? Nutzt dem nicht und schadet ihm nicht. Wenn man immer an so was denken wollte, durfte kein Mensch auf der Welt jemals mehr lachen, Robby…«
»Da hast du wieder recht«, sagte ich,»also machen wir rasch eine Partie.«
Wir stellten die Figuren auf und begannen. Ferdinand gewann ziemlich muhelos. Er setzte mich mit Turm und Laufer matt, ohne die Dame zu gebrauchen. »Allerhand«, sagte ich,»du siehst aus, als ob du drei Tage nicht geschlafen hattest. Dabei spielst du wie ein Seerauber.«
»Ich spiele immer gut, wenn ich melancholisch bin«, erwiderte Ferdinand.
»Weshalb bist du denn melancholisch?«
»Ach, nur so. Weil es dunkel wird. Ein ordentlicher Mensch ist immer melancholisch, wenn es Abend wird.
Nicht aus irgendeinem Grunde. Einfach nur so ganz allgemein…«
»Aber nur, wenn er allein ist«, sagte ich.
»Naturlich. Die Stunde der Schatten. Die Stunde der Einsamkeit. Die Stunde, wo der Kognak am besten schmeckt.«
Er holte eine Flasche und zwei Glaser. »Mussen wir nicht zu dem Backer 'rein?« fragte ich.
»Gleich.« Er schenkte ein. »Prost, Robby! Weil wir alle mal krepieren mussen!«
»Prost, Ferdinand! Weil wir einstweilen noch da sind!«
»Na«, sagte er,»manchmal hatte nicht viel gefehlt. Wollen auch darauf noch einen nehmen!«
»Gut.«
Wir gingen zuruck ins Atelier. Es war dunkler geworden. Der Backer stand immer noch mit eingezogenen Schultern vor dem Bilde. Er sah jammerlich verloren aus in dem gro?en, kahlen Raum, und es kam mir vor, als ware er kleiner geworden.
»Soll ich Ihnen das Bild einpacken?« fragte Ferdinand.
Er schreckte auf. »Nein…«
»Dann werde ich es Ihnen morgen schicken.«