Materialismus.«

»Du hast heute einen guten Tag«, erwiderte Pat. »Funfunddrei?ig.«

»Der Mann«, erklarte ich weiter,»wird nur geldgierig durch die Wunsche der Frauen. Wenn es keine Frauen gabe, wurde es auch kein Geld geben, und die Manner waren ein heroisches Geschlecht. Im Schutzengraben gab es keine Frauen – da spielte es auch keine gro?e Rolle, was jemand irgendwo an Besitz hatte -, es kam nur darauf an, was er als Mann war. Das soll nicht fur den Schutzengraben sprechen – es soll nur die Liebe richtig beleuchten. Sie weckt die schlechten Instinkte des Mannes – den Drang nach Besitz, nach Geltung, nach Verdienen, nach Ruhe. Nicht umsonst sehen Diktatoren es gern, wenn ihre Mitarbeiter verheiratet sind – sie sind so weniger gefahrlich. Und nicht umsonst haben die katholischen Priester keine Frauen – sie waren sonst nie so kuhne Missionare geworden.«

»Du hast heute sogar einen fabelhaften Tag«, sagte Pat anerkennend. »Zweiundfunfzig.«

Ich steckte mein Geld wieder in die Tasche und zundete mir eine Zigarette an. »Willst du noch nicht bald mit dem Zahlen aufhoren?« fragte ich. »Du kommst schon weit uber siebzig Jahre.«

»Hundert, Robby! Hundert ist eine gute Zahl. So weit mochte ich kommen.«

»Alle Achtung, das ist Mut! Aber was willst du nur damit anfangen?«

Sie streifte mich mit einem raschen Blick. »Das werde ich schon sehen. Ich habe ja andere Ansichten daruber als du.«

»Das sicher. Ubrigens sollen nur die ersten siebzig die schwierigsten sein. Nachher soll's einfacher werden.«

»Hundert!« verkundete Pat, und wir brachen auf.

Das Meer kam uns entgegen wie ein ungeheures silbernes Segel. Schon lange vorher spurten wir seinen salzigen Hauch – der Horizont wurde immer weiter und heller, und plotzlich lag es vor uns, unruhig, machtig und ohne Ende.

Die Stra?e fuhrte in einem Bogen bis dicht heran. Dann kam ein Wald und hinter ihm ein Dorf. Wir erkundigten uns nach dem Hause, wo wir wohnen sollten. Es lag ein Stuck au?erhalb des Dorfes. Koster hatte uns die Adresse gegeben. Er war nach dem Kriege ein Jahr lang dort gewesen.

Es war eine kleine, alleinstehende Villa. Ich fuhr den Citroen in elegantem Bogen vor und gab Signal. Ein breites Gesicht erschien hinter einem der Fenster, glotzte bleich einen Augenblick und verschwand. »Hoffentlich ist das nicht Fraulein Muller«, sagte ich.

»Ganz egal, wie sie aussieht«, erwiderte Pat.

Die Tur offnete sich. Gottlob, es war nicht Fraulein Muller. Es war das Dienstmadchen. Fraulein Muller, die Besitzerin des Hauses, erschien eine Minute spater. Eine altjungferliche, zierliche Dame mit grauen Haaren. Sie trug ein hochgeschlossenes schwarzes Kleid und ein goldenes Kreuz als Brosche.

»Zieh zur Vorsicht die Strumpfe wieder 'rauf, Pat«, flusterte ich nach einem Blick auf die Brosche und stieg aus.

»Ich glaube, Herr Koster hat uns schon angemeldet«, sagte ich.

»Ja, er hat mir telegrafiert, da? Sie kommen.« Sie musterte mich eingehend. »Wie geht es Herrn Koster denn?«

»Ach, ganz gut – soweit man das heute sagen kann.«

Sie nickte und musterte mich weiter. »Kennen Sie ihn schon lange?« Das wird ja ein Examen, dachte ich und gab Auskunft, wie lange ich Otto schon kannte. Sie schien zufrieden zu sein. Pat kam heran. Sie hatte die Strumpfe heraufgezogen. Fraulein Mullers Blick wurde milder. Pat schien mehr Gnade vor ihr zu finden als ich. »Haben Sie noch Zimmer fur uns?« fragte ich.

»Wenn Herr Koster telegrafiert, bekommen Sie immer ein Zimmer«, erklarte Fraulein Muller und sah mich etwas abfallig an. »Sie bekommen sogar mein schonstes«, sagte sie zu Pat.

Pat lachelte. Fraulein Muller lachelte auch. »Ich werde es Ihnen zeigen«, sagte sie.

Beide gingen nebeneinander einen schmalen Weg entlang, der durch einen kleinen Garten fuhrte. Ich trottete hinterher und schien ziemlich uberflussig zu sein, denn Fraulein Muller wandte sich nur an Pat.

Das Zimmer, das sie uns zeigte, lag im unteren Stock. Es hatte einen eigenen Eingang vom Garten her. Das gefiel mir sehr. Es war ziemlich gro?, hell und freundlich. An einer Seite, in einer Art von Nische, standen zwei Betten.

»Nun?« fragte Fraulein Muller.

»Sehr schon«, sagte Pat. »Prachtvoll sogar«, fugte ich hinzu, um mich einzuschmeicheln. »Und wo ist das andere?«

Fraulein Muller drehte sich langsam zu mir herum. »Das andere? Was fur ein anderes? Wollen Sie denn ein anderes? Gefallt Ihnen dieses nicht?«

»Es ist einfach herrlich«, erwiderte ich,»aber…«

»Aber?« sagte Fraulein Muller etwas spitz -»leider habe ich kein besseres als dieses.«

Ich wollte ihr gerade erklaren, da? wir zwei Einzelzimmer brauchten, da fugte sie schon hinzu:»Ihre Frau findet es doch sehr schon.«

Ihre Frau – ich hatte das Gefuhl, als ware ich einen Schritt zuruckgetreten. Aber ich hatte mich nicht von der Stelle geruhrt. Vorsichtig warf ich einen Blick auf Pat, die am Fenster lehnte und ein Lachen unterdruckte, als sie mich so dastehen sah. »Meine Frau, gewi?…«, sagte ich und starrte auf das goldene Kreuz an Fraulein Mullers Hals. Es war nichts zu machen, ich durfte sie nicht aufklaren. Sie ware mit einem Schrei in Ohnmacht gefallen. »Wir sind nur gewohnt, in zwei Zimmern zu schlafen«, sagte ich. »Jeder in einem, meine ich.«

Mi?billigend schuttelte Fraulein Muller den Kopf,»Zwei Schlafzimmer, wenn man verheiratet ist – das sind so neue Moden…«

»Gar nicht«, sagte ich, bevor sie mi?trauisch werden konnte. »Meine Frau hat nur einen sehr leisen Schlaf. Und ich schnarche leider ziemlich laut.«

»Ach so, Sie schnarchen!« erwiderte Fraulein Muller, als hatte sie sich das langst denken konnen.

Ich furchtete, sie wurde mir jetzt ein Zimmer oben im zweiten Stock geben wollen, aber die Ehe schien ihr heilig zu sein. Sie offnete die Tur zu einem kleinen Zimmer nebenan, in dem nicht viel mehr als ein Bett stand.

»Gro?artig«, sagte ich,»das genugt vollkommen. Aber store ich auch niemanden sonst?« Ich wollte wissen, ob wir hier unten fur uns allein waren.

»Sie storen niemand«, erklarte Fraulein Muller, und die Wurde fiel plotzlich von ihr ab. »Au?er Ihnen wohnt niemand hier. Die anderen Zimmer sind alle leer.« Sie stand einen Augenblick, dann raffte sie sich zusammen. »Wollen Sie hier im Zimmer essen oder im Speisezimmer?«

»Hier«, sagte ich.

Sie nickte und ging.

»Na, Frau Lohkamp«, sagte ich zu Pat. »Da sitzen wir drin. Aber ich habe mich nicht getraut, der alte Teufel hatte so was Kirchliches an sich. Ich schien ihm auch nicht zu gefallen. Komisch, dabei habe ich sonst bei alten Damen immer Gluck.«

»Das war keine alte Dame, Robby. Das war ein sehr nettes, altes Fraulein.«

»Nett?« Ich hob die Achseln. »Aber immerhin, Haltung hatte sie. Kein Mensch im Hause und dieses hoheitsvolle Benehmen!«

»So hoheitsvoll war sie gar nicht…«

»Gegen dich nicht.«

Pat lachte. »Mir hat sie gut gefallen. Aber jetzt wollen wir die Koffer holen und die Badesachen auspacken.«

Ich hatte eine Stunde geschwommen und lag am Strande in der Sonne. Pat war noch im Wasser. Ihre wei?e Badekappe tauchte ab und zu zwischen dem blauen Schwall der Wellen auf. Ein paar Mowen kreischten. Am Horizont zog langsam ein Dampfer mit wehender Rauchfahne voruber.

Die Sonne brannte. Sie zerschmolz jeden Widerstand zu schlafrig gedankenloser Hingabe. Ich schlo? die Augen und streckte mich lang aus. Der hei?e Sand knisterte. Das Gerausch der schwachen Brandung rauschte mir in den Ohren. Es erinnerte mich an etwas, an einen hei?en Tag, wo ich ebenso gelegen hatte – Es war im Sommer 1917 gewesen. Unsere Kompanie lag damals in Flandern, und wir hatten unverhofft ein paar Tage Urlaub

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