»Kann es nicht noch hierbleiben?« fragte der Backer zogernd.
»Warum denn?« erwiderte Ferdinand erstaunt und kam naher. »Gefallt es Ihnen nicht?«
»Doch – aber ich mochte es gern noch hierlassen…«
»Das verstehe ich nicht…«
Der Backer sah mich hilfesuchend an. Ich begriff – er hatte Angst, das Bild zu Hause bei dem schwarzen Luder aufzuhangen. Vielleicht war es auch Scheu vor der Toten, sie dahinzubringen. »Aber Ferdinand«, sagte ich,»das Bild kann doch ruhig noch hier hangenbleiben, wenn es bezahlt ist…«
»Das naturlich…«
Der Backer zog erleichtert sein Scheckbuch aus der Tasche. Die beiden gingen zum Tisch. »Vierhundert Mark Rest?« fragte der Backer.
»Vierhundertzwanzig«, sagte Ferdinand,»einschlie?lich Rabatt. Wollen Sie eine Quittung?«
»Ja«, erwiderte der Backer,»wegen der Ordnung.«
Schweigend schrieben beide den Scheck und die Quittung aus. Ich blieb am Fenster stehen und sah mich um. Im halben Licht der Dammerung schimmerten rings an den Wanden die Gesichter der nicht abgeholten und nicht bezahlten Portrats in ihren goldenen Rahmen. Sie sahen aus wie eine gespenstische Versammlung aus dem Jenseits, und es schien, als waren alle die starren Augen auf das Bild am Fenster gerichtet, das jetzt zu ihnen kommen sollte und uber das der Abend noch einen letzten Glanz von Leben breitete. Es war eine sonderbare Stimmung – die beiden gebuckten, schreibenden Gestalten am Tisch, die Schatten und die vielen stillen Bilder.
Der Backer kam zum Fenster zuruck. Seine rotgeaderten Augen wirkten wie glaserne Kugeln, sein Mund war halb offen, die Unterlippe hing herab, und man sah die fleckigen Zahne – es war lacherlich und traurig, wie er so dastand. In der Etage uber dem Atelier fing jemand an, Klavier zu spielen, irgendeine Fingerubung, immer dieselbe Tonfolge. Es klang dunn und qualend. Ferdinand Grau war am Tisch stehengeblieben. Er zundete sich eine Zigarre an. Das Licht des Streichholzes beleuchtete sein Gesicht. Der halbdunkle Raum erschien ungeheuer gro? und sehr blau durch den kleinen rotlichen Schein.
»Kann man an dem Bild noch etwas andern?« fragte der Backer.
»Was denn?«
Ferdinand kam heran. Der Backer zeigte auf den Schmuck. »Kann man das da wieder wegmachen?«
Es war die machtige goldene Brosche, die er damals, bei der Bestellung, extra verlangt hatte. »Gewi?«, sagte Ferdinand,»sie stort sogar das Gesicht. Das Bild gewinnt, wenn sie wegkommt.«
»Das meine ich auch.« Er druckste eine Weile herum. »Was kostet es denn?«
Ferdinand und ich warfen uns einen Blick zu. »Es kostet gar nichts«, sagte Ferdinand gutmutig,»im Gegenteil, eigentlich bekamen Sie noch etwas heraus. Es ist ja dann weniger drauf.«
Der Backer hob uberrascht den Kopf. Es sah einen Augenblick so aus, als wollte er darauf eingehen. Aber dann sagte er mit einem Entschlu?:»Ach nein, das lassen Sie nur – Sie haben es doch malen mussen…«»Das ist auch wieder wahr…« Wir gingen. Auf der Treppe, als ich den gebeugten Rucken vor mir sah, war ich etwas geruhrt uber den Backer und die Tatsache, da? ihm bei dem Schwindel mit der Brosche das Gewissen geschlagen hatte. Es pa?te mir nicht recht, ihm in dieser Stimmung mit dem Cadillac zu Leibe gehen zu mussen. Doch dann dachte ich daran, da? ein Teil seiner gewi? ehrlichen Trauer um die tote Frau sicher nur daher kam, weil die schwarze Person zu Hause ein solches Luder war, und ich wurde wieder ganz frisch.
»Wir konnen ja bei mir zu Hause die Sache besprechen«, sagte der Backer drau?en.
Ich nickte. Es pa?te mir sehr gut so. Der Backer glaubte zwar, er ware in seinen vier Wanden starker – ich aber rechnete mit der Schwarzen als Unterstutzung.
Sie erwartete uns bereits an der Tur. »Gratuliere herzlichst«, sagte ich, bevor der Backer den Mund auftun konnte.
»Wozu?« fragte sie rasch, mit flinken Augen.
»Zu Ihrem Cadillac -«, erwiderte ich unverfroren.
»Schatzi!« Mit einem Satz hing sie dem Backer am Hals.
»Aber das ist ja noch gar nicht…« Er versuchte sich loszumachen und Erklarungen abzugeben. Sie aber hielt ihn fest und drehte sich zappelnd mit ihm im Kreise, damit er nicht zu Worte kam. Abwechselnd sah ich uber seiner Schulter ihre schlaue, blinzelnde Fratze und uber ihrer Schulter seinen vorwurfsvollen, vergeblich protestierenden Mehlwurmkopf.
Endlich gelang es ihm, sich frei zu machen. »Wir sind ja noch gar nicht soweit«, prustete er.
»Doch«, sagte ich mit gro?er Herzlichkeit,»wir sind so weit! Ich nehme es auf meine Kappe, die letzten funfhundert Mark herunterzuhandeln. Sie zahlen keinen Pfennig mehr als siebentausend Mark fur den Cadillac! Einverstanden?«
»Naturlich!« sagte die Schwarze rasch. »Das ist doch wirklich billig, Schatzi…«
»Halt!« Der Backer hob die Hand.
»Aber was hast du denn jetzt wieder?« fuhr sie auf ihn los,»erst hei?t es, du kriegst den Wagen, und jetzt stehst du wieder da und willst nicht!«
»Er will ja«, warf ich ein,»wir haben ja schon alles besprochen…«
»Na, was… Schatzi… wozu denn…« Sie lehnte sich dicht an ihn. Er versuchte, sich wieder loszumachen, aber sie pre?te ihre vollen Bruste gegen seinen Arm. Er machte ein argerliches Gesicht, aber sein Widerstand wurde schwacher.
»Der Ford…«, sagte er.
»Wird selbstverstandlich in Zahlung genommen…«
»Viertausend Mark…«
»Hat er mal gekostet, wie?« fragte ich freundlich.
»Mit viertausend Mark mu? er in Zahlung genommen werden«, erklarte der Backer fest. Er hatte jetzt den Punkt gefunden zum Gegenangriff nach der Uberrumpelung. »Der Wagen ist ja so gut wie neu…«
»Neu«, sagte ich,»nach der Riesenreparatur…«
»Heute vormittag haben Sie es selbst zugegeben…«
»Heute vormittag war das auch was anderes. Neu und neu ist ein Unterschied, je nachdem, ob man kauft oder verkauft. Fur viertausend Mark mu?te Ihr Ford schon Sto?stangen aus Gold haben.«
»Viertausend Mark, oder es wird nichts«, sagte der Backer halsstarrig. Er war jetzt wieder ganz der alte und schien alle Sentimentalitaten von vorher wiedergutmachen zu wollen.
»Dann auf Wiedersehen!« erwiderte ich und wandte mich an die Schwarze. »Tut mir leid, gnadige Frau – aber Verlustgeschafte kann ich nicht machen. An dem Cadillac verdienen wir ohnehin nichts – da konnen wir nicht noch einen alten Ford zu einem Riesenpreis in Zahlung nehmen.
Leben Sie wohl…«
Sie hielt mich zuruck. Ihre Augen funkelten, und sie fiel jetzt uber den Backer her, da? ihm Horen und Sehen verging. »Du hast ja selbst hundertmal gesagt, da? der Ford nichts mehr wert ist«, zischte sie zum Schlu? mit Tranen in den Augen.
»Zweitausend Mark«, sagte ich,»zweitausend Mark, obschon auch das noch Selbstmord ist.«
Der Backer schwieg.
»Na los, sag doch was! Warum stehst du denn da herum und tust den Mund nicht auf?« fauchte die Schwarze.
»Meine Herrschaften«, sagte ich,»ich werde jetzt mal den Cadillac holen. Vielleicht besprechen Sie die Sache inzwischen noch untereinander.«
Ich hatte das Gefuhl, da? ich gar nichts Besseres tun konnte, als zu verschwinden. Die Schwarze wurde meine Sache schon weiterfuhren.
Eine Stunde spater war ich mit dem Cadillac wieder da. Ich sah sofort, da? der Streit auf die einfachste Weise entschieden worden war. Der Backer machte einen zerknitterten Eindruck und hatte eine Bertfeder am Anzug hangen – die Schwarze dagegen funkelte, wippte mit den Brusten und lachelte satt und verraterisch. Sie hatte sich umgezogen und trug ein dunnes, seidenes, eng anliegendes Kleid. In einem unbeobachteten Moment kniff sie mir ein Auge und nickte, alles sei in Ordnung. Wir machten eine Probefahrt. Die Schwarze kuschelte sich behaglich in den breiten Sitz und schwatzte fortwahrend. Ich hatte sie am liebsten aus dem Fenster geworfen, aber ich