nach Ostende bekommen, Meyer, Holthoff, Breyer, Lutgens, ich und noch einige andere. Die meisten von uns waren noch nie am Meere gewesen, und diese wenigen Tage, diese fast unbegreifliche Pause zwischen Tod und Tod, wurden zu einer wilden Hingabe an Sonne, Sand und Meer. Wir blieben den ganzen Tag am Strande, wir dehnten unsere nackten Korper in der Sonne – denn Nacktsein, nicht Bepacktsein mit den Waffen und der Uniform, das hie? schon soviel wie Frieden -, wir tobten am Strande herum und sturmten immer wieder in das Meer hinein, wir spurten unsere Glieder, unseren Atem, unsere Bewegungen mit der ganzen Starke, die die Dinge des Lebens in dieser Zeit hatten, wir verga?en alles in diesen Stunden und wollten auch alles vergessen. Aber abends, in der Dammerung, wenn die Sonne fort war und die grauen Schatten vom Horizont her uber das erblassende Meer liefen, dann mischte sich langsam in das Brausen der Brandung ein anderer Ton, er wurde starker und ubertonte es schlie?lich wie eine dumpfe Drohung: der Kanonendonner der Front. Dann kam es vor, da? plotzlich ein fahles Schweigen die Gesprache unterbrach, da? die Kopfe sich lauschend hoben und da? aus den frohlichen Gesichtern mude gespielter Knaben jah wieder das harte Antlitz der Soldaten hervorsprang, ergreifend uberweht fur einen Augenblick noch von einem Erstaunen, einer Schwermut, in der alles war, was nie ausgesprochen wurde: Mut und Bitterkeit und Lebensgier, der Wille zur Pflicht, die Verzweiflung, die Hoffnung und die ratselhafte Trauer der fruh Gezeichneten. Ein paar Tage spater begann die gro?e Offensive, und schon am dritten Juli hatte die Kompanie nur noch zweiunddrei?ig Mann, und Meyer, Holthoff und Lutgens waren tot. -»Robby!« rief Pat.
Ich offnete die Augen. Einen Moment mu?te ich mich besinnen, wo ich war. Immer, wenn Erinnerungen aus dem Kriege kamen, war man gleich weit weg. Bei andern nicht.
Ich richtete mich auf. Pat kam aus dem Wasser. Sie ging gerade vor der Bahn der Sonne auf dem Meer, breiter Glanz flo? uber ihre Schultern, und sie war so umflutet von Licht, da? sie fast dunkel davor wirkte. Mit jedem Schritt den Strand hinauf wuchs sie hoher in den starken Schein, bis die Sonne des spaten Nachmittags hinter ihrem Kopfe stand wie eine Gloriole.
Ich sprang auf, so unwirklich, so wie aus einer anderen Welt erschien mir gerade jetzt dieses Bild – der weite blaue Himmel, die wei?en Schaumreihen des Meeres und die schone, schmale Gestalt davor -, als ware ich allein auf der Welt und aus dem Wasser schritte die erste Frau herauf. Einen Augenblick lang empfand ich die ungeheure, stille Gewalt der Schonheit und spurte, da? sie starker war als alle blutige Vergangenheit, da? sie starker sein mu?te, da? die Welt sonst zusammenbrechen wurde, da? sie sonst ersticken mu?te in ihrer furchtbaren Verwirrung. Und mehr als das noch empfand ich, da? ich da war, einfach da war, und da? Pat da war, da? ich lebte, da? ich herausgekommen war aus dem Grauen, da? ich Augen hatte und Hande und Gedanken und die hei?en Wellen des Blutes und da? alles das ein unbegreifliches Wunder war.
»Robby!« rief Pat noch einmal und winkte.
Ich griff ihren Bademantel vom Boden auf und ging ihr rasch entgegen. »Du bist viel zu lange im Wasser gewesen«, sagte ich.
»Ich bin ganz warm«, erwiderte sie atemlos.
Ich ku?te sie auf die feuchte Schulter. »Anfangs mu?t du etwas vernunftiger sein.«
Sie schuttelte den Kopf und sah mich strahlend an. »Ich bin lange genug vernunftig gewesen.«
»So?«
»Naturlich. Viel zu lange! Ich will endlich einmal unvernunftig sein!« Sie lachte und legte ihre Wange an mein Gesicht. »Wir wollen unvernunftig sein, Robby! An nichts denken, an uberhaupt nichts denken, nur an uns und die Sonne und die Ferien und das Meer!«
»Gut«, sagte ich und nahm das Frottiertuch. »Zunachst will ich dich mal trockenreiben. Woher bist du eigentlich schon so braun?«
Sie zog den Bademantel an. »Das stammt noch aus meinem vernunftigen Jahr. Da mu?te ich jeden Tag auf dem Balkon eine Stunde in der Sonne liegen. Und abends um acht Uhr schlafen gehen. Heute abend gehe ich um acht Uhr noch einmal baden.«
»Das werden wir sehen«, sagte ich. »In Vorsatzen ist der Mensch immer gro?. Im Ausfuhren nicht. Darin liegt sein Scharm.«
Mit dem Baden abends wurde es nichts. Wir machten noch einen Gang zum Dorf und eine Fahrt mit dem Citroen durch die Dammerung – dann wurde Pat plotzlich sehr mude und verlangte nach Hause. Ich hatte das schon oft bei ihr gesehen – dieses rasche Abfallen von strahlender Lebendigkeit zu jaher Mudigkeit. Sie hatte nicht viel Kraft und gar keine Reserven – dabei wirkte sie gar nicht so. Sie verbrauchte immer alles, was sie an Lebenskraft in sich hatte, und schien dann unerschopflich zu sein in ihrer geschmeidigen Jugend – aber auf einmal kam dann der Augenblick, wo ihr Gesicht bla? wurde und ihre Augen sich tief verschatteten -, dann war es zu Ende. Sie wurde nicht langsam mude, sie wurde es von einer Sekunde zur andern.
»Fahren wir nach Hause, Robby«, sagte sie, und ihre dunkle Stimme war noch tiefer als sonst.
»Nach Hause? Zu Fraulein Elfriede Muller mit dem goldenen Kreuz auf der Brust? Wer wei?, was sich der Teufel inzwischen wieder ausgedacht hat.«
»Nach Hause, Robby«, sagte Pat und lehnte sich mude an meine Schulter. »Es ist unser Zuhause.«
Ich nahm eine Hand vom Steuerrad und legte sie um ihre Schultern. So fuhren wir langsam durch die blaue, neblige Dammerung, und als wir schlie?lich die erleuchteten Fenster des kleinen Hauses erblickten, das sich in die flache Talmulde einschmiegte wie ein dunkles Tier, war wirklich etwas wie Nachhausekommen dabei.
Fraulein Muller erwartete uns bereits. Sie hatte sich umgezogen und trug jetzt statt des schwarzen Wollkleides ein schwarzes Seidenkleid von gleichem, puritanischem Schnitt. Dazu statt des Kreuzes ein Emblem von Herz, Anker und Kreuz gleichzeitig – das kirchliche Symbol fur Glaube, Hoffnung und Liebe.
Sie war bedeutend freundlicher als nachmittags und fragte, ob es recht sei, da? sie als Abendessen Eier, kaltes Fleisch und geraucherten Fisch vorbereitet habe.
»Na ja«, sagte ich.
»Gefallt es Ihnen nicht?
»Gewi?«, sagte ich kuhl.
»Frisch geraucherte Flundern mussen herrlich schmecken«, erklarte Pat und blickte vorwurfsvoll zu mir heruber. »Ein richtiges Nachtessen, wie man es sich nur wunschen kann am ersten Tag an der See, Fraulein Muller. Wenn es noch ordentlich hei?en Tee dazu gabe…«
»Doch, doch! Ganz hei?en Tee! Gern! Ich lasse alles gleich bringen.« Fraulein Muller raschelte erleichtert eilig in ihrem Seidenkleid davon.
»Magst du wirklich keinen Fisch?« fragte Pat.
»Und wie! Flundern! Davon habe ich schon seit Tagen getraumt.«
»Und dann tust du so erhaben? Das ist aber stark!«
»Ich mu?te ihr doch den Empfang von heute nachmittag heimzahlen.«»Ach du lieber Gott!« Pat lachte. »Da? du auch ja nichts ausla?t! Ich hatte das schon langst vergessen.«»Ich nicht«, sagte ich. »Ich vergesse nicht so leicht.«»Das solltest du aber.« Das Dienstmadchen kam mit dem Tablett. Die Flundern hatten eine Haut wie Goldtopas und rochen wunderbar nach See und Rauch. Es waren auch noch frische Garnelen dabei. »Ich fange an zu vergessen«, sagte ich schwarmerisch. »Au?erdem merke ich, da? ich einen Riesenhunger habe.«
»Ich auch. Aber gib mir erst rasch etwas hei?en Tee. Es ist merkwurdig, aber mich friert. Dabei ist es doch ganz warm drau?en.«
Ich sah sie an. Sie war bla?, obschon sie lachelte. »Kein Wort jetzt uber zu langes Baden«, sagte ich und fragte das Dienstmadchen:»Haben Sie etwas Rum?«
»Was?«
»Rum. Ein Getrank in Flaschen.«
»Rum?«
»Ja.«
»Nee.«
Sie glotzte ausdruckslos mit ihrem Vollmondsgesicht aus Kuchenteig. »Nee«, sagte sie noch einmal. »Gut«, erwiderte ich. »Macht auch nichts. Leben Sie wohl. Gott mit Ihnen.« Sie verschwand. »Welch ein Gluck, Pat, da? wir weitsichtige Freunde haben«, sagte ich. »Lenz hat mir da heute morgen noch rasch beim Wegfahren ein ziemlich schweres Paket in den Wagen gestopft. Wollen mal nachsehen, was drin ist.«
Ich holte das Paket aus dem Wagen. Es war eine kleine Kiste mit zwei Flaschen Rum, einer Flasche Kognak und einer Flasche Portwein. Ich hob sie hoch. »St.-James-Rum sogar! Auf die Jungens kann man sich