Mir war, als hatte ich einen Hammerschlag erhalten. »Ein Blutsturz?« Ich sprang auf und nahm ihr die Schussel mit Wasser aus der Hand. »Holen Sie Eis, holen Sie rasch etwas Eis.«

Ich tauchte das Handtuch in die Schussel und legte es Pat auf die Brust. »Wir haben kein Eis im Hause«, sagte Fraulein Muller.

Ich drehte mich um. Sie wich zuruck. »Holen Sie Eis, um Gottes willen, schicken Sie zur nachsten Kneipe, und telefonieren Sie sofort dem Arzt!«

»Wir haben doch kein Telefon…«

»Verflucht! Wo ist das nachste Telefon?«

»Bei Ma?mann.«

»Laufen Sie hin. Schnell. Telefonieren Sie sofort an den nachsten Arzt. Wie hei?t er? Wo wohnt er?« Ehe sie einen Namen nannte, schob ich sie hinaus.

»Schnell, schnell, laufen Sie rasch! Wie weit ist es?«

»Drei Minuten«, sagte die Frau und hastete los.

»Bringen Sie Eis mit!« rief ich ihr nach.

Sie nickte und lief.

Ich holte Wasser und tauchte das Handtuch wieder ein. Ich wagte nicht, Pat anzuruhren. Ich wu?te nicht, ob sie richtig lag, ich war verzweifelt, weil ich es nicht wu?te, das einzige, was ich wissen mu?te: ob ich ihr das Kissen unter den Kopf schieben oder sie flach hinlegen sollte.

Sie rochelte, dann baumte sie sich, und ein Schu? Blut quoll aus ihrem Munde. Sie atmete hoch und jammernd ein, ihre Augen waren unmenschlich entsetzt, sie verschluckte sich und hustete, und wieder spritzte das Blut, ich hielt sie fest und gab nach, die Hand unter ihrer Schulter, ich spurte die Erschutterungen ihres armen gequalten Ruckens, es schien endlos zu dauern, dann fiel sie schlapp zuruck…

Fraulein Muller trat ein. Sie sah mich an wie ein Gespenst.

»Was sollen wir machen?« rief ich.

»Der Arzt kommt sofort«, flusterte sie,»Eis – auf die Brust, und wenn es geht, in den Mund…«

»Tief oder hoch legen, so reden sie doch, himmelverflucht, rasch.«

»So lassen – er kommt sofort…«

Ich packte Pat die Eisstucke auf die Brust, erlost, da? ich etwas tun konnte, ich schlug Eis klein fur Kompressen und legte sie auf und sah immer nur diesen su?en, geliebten, verzerrten Mund, diesen einzigen Mund, diesen blutenden Mund…

Da rasselte ein Fahrrad. Ich sprang hoch. Der Arzt. »Kann ich helfen?« fragte ich. Er schuttelte den Kopf und packte seine Tasche aus. Ich stand dicht bei ihm am Bett und umklammerte die Pfosten. Er sah auf. Ich ging einen Schritt zuruck und behielt ihn fest im Auge. Er betrachtete die Rippen Pats. Pat stohnte.

»Ist es gefahrlich?« fragte ich.

»Wo war Ihre Frau in Behandlung?« fragte er zuruck.

»Was? In Behandlung?« stotterte ich.

»Bei welchem Arzt?« fragte er ungeduldig.

»Ich wei? nicht -«, antwortete ich -»nein, ich wei? nichts – ich glaube nicht…« Er sah mich an. »Das mussen Sie doch wissen…«»Ich wei? es aber nicht. Sie hat mir nie etwas davon gesagt.« Er beugte sich zu Pat hinunter und fragte. Sie wollte antworten. Aber wieder brach der Husten rot durch. Der Arzt fing sie auf. Sie bi? in die Luft und holte pfeifend Atem. »Jaffe«, stie? sie gurgelnd hervor. »Felix Jaffe? Professor Felix Jaffe?« fragte der Arzt. Sie nickte mit den Augen. Er wendete sich zu mir. »Konnen Sie ihm telefonieren? Es ist besser, ihn zu fragen.«

»Jaja«, antwortete ich,»ich werde sofort. Ich hole Sie dann! Jaffe?«

»Felix Jaffe«, sagte der Arzt,»verlangen Sie bei der Auskunft die Nummer.«

»Kommt sie durch?« fragte ich.

»Sie mu? aufhoren zu bluten«, sagte der Arzt.

Ich fa?te das Madchen und rannte los, den Weg entlang. Sie zeigte mir das Haus mit dem Telefon. Ich klingelte. Eine kleine Gesellschaft sa? bei Kaffee und Bier. Ich umfa?te sie mit einem kreisenden Blick und begriff nicht: da? Menschen Bier tranken, wahrend Pat blutete. Ich verlangte ein dringendes Gesprach und wartete am Apparat. Wahrend ich in die surrende Dunkelheit hineinhorchte, sah ich durch die Portieren den Ausschnitt des anderen Zimmers wolkig und uberdeutlich. Ich sah eine Glatze hin und her schwanken, gelb vom Licht bespiegelt, ich sah eine Brosche auf dem schwarzen Taft eines geschnurten Kleides und ein Doppelkinn mit einem Kneifer und aufgeturmter Frisur daruber – eine knochige, alte Hand mit dicken Adern, die auf den Tisch trommelte -, ich wollte es nicht sehen, aber es war, als ob ich wehrlos sei: Es drang in meine Augen wie uberstarkes Licht.

Endlich meldete sich die Nummer. Ich fragte nach dem Professor.

»Bedaure«, sagte die Schwester,»Professor Jaffe ist ausgegangen.«

Mein Herz horte auf zu schlagen und haute dann wie ein Schmiedehammer los. »Wo ist er denn? Ich mu? ihn sofort sprechen.«

»Ich wei? es nicht. Vielleicht ist er noch einmal in die Klinik gegangen.«

»Bitte, rufen Sie die Klinik an. Ich warte hier. Sie haben doch noch einen zweiten Apparat.«

»Einen Moment.« Das Sausen setzte wieder ein, die bodenlose Dunkelheit, uber der hur der dunne Metallfaden schwebte. Ich zuckte zusammen. Neben mir, in einem verhangten Bauer fing ein Kanarienvogel an zu zirpen. Die Stimme der Schwester kam wieder. »Professor Jaffe ist aus der Klinik schon fortgegangen.«

»Wohin?«

»Ich kann es Ihnen wirklich nicht sagen, mein Herr.«

Aus. Ich lehnte mich an die Wand. »Hallo!« sagte die Schwester,»sind Sie noch da?«»Ja – horen Sie, Schwester, Sie wissen nicht, wann er zuruckkommt?«

»Das ist ganz unbestimmt.«

»Hinterla?t er das denn nicht? Das mu? er doch. Wenn mal was passiert, mu? er doch zu erreichen sein.«

»Es ist ein Arzt in der Klinik.«

»Konnen Sie denn den«- nein, es hatte ja keinen Zweck, der wu?te es ja nicht -»gut, Schwester«, sagte ich todmude,»wenn Professor Jaffe kommt, bitten Sie ihn, sofort dringend hier anzurufen.« Ich sagte ihr die Nummer. »Aber bitte, dringend, Schwester.«

»Sie konnen sich darauf verlassen, mein Herr.« Sie wiederholte die Nummer und hangte ab.

Ich stand da, allein. Die schwankenden Kopfe, die Glatze, die Brosche, das andere Zimmer waren weit weg, glanzender Gummi, der schwankte. Ich sah mich um. Ich war fertig hier. Ich brauchte den Leuten nur noch zu sagen, da? sie mich holten, wenn angerufen wurde. Aber ich konnte mich nicht entschlie?en, das Telefon loszulassen. Es war, als lie?e ich ein Rettungsseil los. Und plotzlich hatte ich es. Ich hob den Horer wieder ab und sagte Kosters Nummer hinein. Er mu?te da sein. Es ging einfach nicht anders.

Und da kam sie, aus dem Gebrodel der Nacht, die ruhige Stimme Kosters. Ich wurde sofort selbst ruhig und sagte ihm alles. Ich fuhlte, er schrieb schon mit.

»Gut«, sagte er,»ich fahre sofort los, ihn zu suchen. Ich rufe an. Sei ruhig. Ich finde ihn.«

Vorbei. Vorbei? Die Welt stand still. Der Spuk war aus. Ich lief zuruck.

»Nun?« fragte der Arzt,»haben Sie ihn erreicht?«

»Nein«, sagte ich,»aber ich habe Koster erreicht.«

»Koster? Kenne ich nicht! Was hat er gesagt? Wie hat er sie behandelt?«

»Behandelt? Behandelt hat er sie nicht. Koster sucht ihn.«

»Wen?«

»Jaffe.«

»Herrgott, wer ist denn dieser Koster?«

»Ach so – entschuldigen Sie. Koster ist mein Freund. Er sucht Professor Jaffe. Ich konnte ihn nicht erreichen.«

»Schade«, sagte der Arzt und wandte sich wieder Pat zu.

»Er wird ihn erreichen«, sagte ich. »Wenn er nicht tot ist, wird er ihn erreichen.«

Der Arzt sah mich an, als ob ich verruckt geworden ware. Dann zuckte er die Achseln.

Das Licht der Lampe brutete im Zimmer. Ich fragte, ob ich helfen konne. Der Arzt schuttelte den Kopf. Ich starrte aus dem Fenster. Pat rochelte. Ich schlo? das Fenster und stellte mich in die Tur. Ich beobachtete den

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