verlassen!«
Ich korkte die Flasche auf und go? Pat einen guten Schu? in den Tee. Dabei sah ich, da? ihre Hand etwas zitterte. »Friert dich wirklich so?« fragte ich.
»Nur einen Augenblick. Jetzt ist es schon besser. Der Rum ist gut. Aber ich geh' bald zu Bett.«
»Tu das gleich, Pat«, sagte ich,»wir schieben den Tisch dann heran und essen so.«
Sie lie? sich uberreden. Ich holte ihr noch eine Decke von meinem Bett und ruckte den Tisch zurecht. »Willst du vielleicht einen ordentlichen Grog haben, Pat? Das ist noch besser. Ich kann rasch einen machen.«
Sie schuttelte den Kopf. »Ich fuhle mich schon wieder wohl.«
Ich blickte sie an. Sie sah wirklich schon besser aus. Ihre Augen hatten wieder Glanz, der Mund war sehr rot, und die Haut schimmerte matt. »Fabelhaft, wie schnell das geht«, sagte ich. »Das ist sicher der Rum.«
Sie lachelte. »Es ist auch das Bett, Robby. Ich erhole mich am besten im Bett. Das ist meine Zuflucht.«
»Merkwurdig. Ich wurde verruckt, wenn ich so fruh im Bett liegen mu?te. Allein, meine ich.«
Sie lachte. »Fur eine Frau ist das etwas anderes.«
»Sag nicht fur eine Frau. Du bist keine Frau.«
»Was denn?«
»Ich wei? nicht. Aber keine Frau. Wenn du eine richtige, normale Frau warest, konnte ich dich nicht lieben.«
Sie sah mich an. »Kannst du uberhaupt lieben?«
»Na«, sagte ich,»das ist allerhand beim Abendessen. Hast du noch mehr solcher Fragen?«
»Vielleicht. Aber wie ist es mit dieser?«
Ich schenkte mir ein Glas Rum ein. »Prost, Pat! Kann sein, da? du recht hast. Vielleicht konnen wir es alle nicht. So wie fruher, meine ich. Aber es ist darum nicht schlechter. Nur anders. Man sieht es nicht so.«
Es klopfte. Fraulein Muller kam herein. Sie hatte einen winzigen Glaskrug in der Hand, in dem ein bi?chen Flussigkeit hin und her schaukelte. »Hier bringe ich Ihnen den Rum.«
»Danke«, sagte ich und betrachtete geruhrt den glasernen Fingerhut.
»Es ist sehr freundlich
»O Gott!« Sie beschaute erschreckt die vier Flaschen auf dem Tisch. »Trinken Sie so viel?«
»Nur als Medizin«, erwiderte ich sanft und vermied es, Pat anzusehen. »Vom Arzt verschrieben. Ich habe eine zu trockene Leber, Fraulein Muller. Aber wollen Sie uns nicht die Ehre geben?«
Ich machte die Portweinflasche auf. »Auf Ihr Wohl! Da? das Haus bald voller Gaste ist.«
»Danke vielmals!« Sie seufzte, machte eine kleine Verbeugung und nippte wie ein Vogel. »Auf gute Ferien!« Dann lachelte sie mir verschmitzt zu. »Der ist aber stark. Und gut.«
Mir fiel vor Erstaunen uber diese Wandlung fast das Glas aus der Hand. Fraulein Muller bekam rote Backchen und blitzende Augen und fing an zu reden von allerlei Dingen, die uns nicht interessierten. Pat hatte eine Engelsgeduld mit ihr. Schlie?lich wandte sie sich an mich. »Herrn Koster geht es also gut?«
Ich nickte.
»Er war immer so ruhig damals«, sagte sie. »Oft sprach er tagelang kein Wort. Tut er das jetzt auch noch?«
»Na, jetzt redet er schon manchmal.«
»Er war fast ein Jahr hier. Immer allein…«
»Ja«, sagte ich. »Dann redet man immer weniger.«
Sie nickte ernsthaft und sah zu Pat hinuber. »Sie sind sicher mude.«
»Etwas«, sagte Pat.
»Sehr«, fugte ich hinzu.
»Dann will ich nur gehen«, erwiderte sie erschreckt. »Gute Nacht also! Schlafen Sie gut!«
Sie ging zogernd.
»Ich glaube, die ware am liebsten noch langer geblieben«, sagte ich.
»Komisch, auf einmal, was?«
»Das arme Geschopf«, erwiderte Pat. »Sitzt sicher jeden Abend allein in ihrem Zimmer und hat Sorgen.«
»Ach so, ja…«, sagte ich. »Aber ich denke, da? ich mich alles in allem doch ganz nett zu ihr benommen habe.«
»Das hast du.« Sie strich mir uber die Hand. »Mach die Tur ein bi?chen auf, Robby.«
Ich ging hin und offnete die Tur. Drau?en war es klarer geworden, und ein Streifen Mondlicht fiel uber den Weg hinweg bis in das Zimmer. Es war, als hatte der Garten nur darauf gewartet, da? die Tur geoffnet wurde – so stark drang sofort der Nachtduft der Blumen herein, der su?e Geruch von Goldlack, Reseda und Rosen. Er erfullte das ganze Zimmer.
»Sieh nur«, sagte ich und zeigte hinaus.
Man konnte im voller werdenden Mondlicht den ganzen Gartenweg entlang sehen. Die Blumen standen mit geneigten Stengeln am Rande, die Blatter hatten die Farbe oxydierten Silbers, und die Bluten, die am Tage bunt geleuchtet hatten, schimmerten jetzt in matten Pastelltonen geisterhaft und zart. Das Mondlicht und die Nacht hatten ihren Farben die Kraft genommen – dafur aber war ihr Duft voller und su?er als jemals am Tage.
Ich sah zu Pat hinuber. Zart und schmal und zerbrechlich lag ihr Kopf mit dem dunklen Haar auf den wei?en Kissen. Sie hatte nicht viel Kraft – aber auch sie hatte das Geheimnis des Zerbrechlichen, das Geheimnis der Blumen in der Dammerung und im schwebenden Licht des Mondes.
Sie richtete sich ein wenig auf. »Ich bin wirklich sehr mude, Robby. Ist das schlimm?«
Ich setzte mich zu ihr an das Bett. »Gar nicht. Du wirst gut schlafen.«
»Aber du willst doch noch nicht schlafen.«
»Ich gehe dann noch etwas an den Strand.«
Sie nickte und legte sich zuruck. Ich blieb noch eine Weile sitzen. »La? die Tur uber Nacht offen«, sagte sie schlaftrunken. »Das ist, als ob man im Garten schlaft…«
Sie begann tiefer zu atmen, und ich stand leise auf und ging in den Garten hinaus. Neben dem Holzzaun blieb ich stehen und rauchte eine Zigarette. Ich konnte von hier in das Zimmer hineinsehen. Pats Bademantel hing uber einem Stuhl, ihr Kleid und ein bi?chen Wasche waren darubergeworfen, und auf dem Boden, vor dem Stuhl, standen ihre Schuhe. Einer war umgekippt. Ich hatte ein merkwurdiges Gefuhl von Heimat, als ich das so sah, und ich dachte daran, da? nun jemand da war und dasein wurde, da? ich nur wenige Schritte zu machen brauchte, um ihn zu sehen und bei ihm zu sein, heute, morgen und auf lange Zeit vielleicht…
Vielleicht, dachte ich, vielleicht – immer dieses Wort, ohne das man nicht mehr auskam! Es war die Sicherheit, die einem fehlte – es war die Sicherheit, die allem und allen fehlte.
Ich ging zum Strand hinunter, zum Meer und zum Wind, zu dem dumpfen Brausen, das wie ferner Kanonendonner heraufscholl.
XVI
Ich sa? am Strande und sah zu, wie die Sonne unterging. Pat war nicht mitgekommen. Sie hatte sich den Tag uber nicht wohl gefuhlt. Als es dunkel wurde, stand ich auf, um nach Hause zu gehen. Da sah ich hinter dem Walde das Dienstmadchen herankommen. Es winkte und rief etwas. Ich verstand es nicht; der Wind und das Meer waren zu laut. Ich winkte zuruck, sie solle stehenbleiben, ich kame schon. Aber sie lief weiter und hob die Hande zum Mund. »Frau…«, verstand ich -»rasch…«
Ich lief. »Was ist los?«
Sie jappte nach Luft. »Rasch – Frau – Ungluck…«
Ich rannte den Sandweg entlang, durch den Wald, dem Hause zu. Das holzerne Gartentor verhedderte sich, ich sprang hinuber und sturzte ins Zimmer. Da lag Pat auf dem Bett, mit blutiger Brust und gekrampften Handen, und Blut lief ihr aus dem Munde. Neben ihr stand Fraulein Muller mit Tuchern und einer Schale Wasser.
»Was ist los?« rief ich und schob sie beiseite.
Sie sagte etwas. »Bringen Sie Verbandzeug!« rief ich. »Wo ist die Wunde?«
Sie sah mich mit zitternden Lippen an. »Es ist keine Wunde -«
Ich richtete mich auf. »Ein Blutsturz«, sagte sie.