verbummeltsten…«

»Wir kommen vom Thema«, unterbrach ich sie.

»Das«, sagte sie und stemmte die Arme auf die Huften,»ist eine Frau fur einen Mann in guten, sicheren Verhaltnissen. Fur einen reichen Mann, mit einem Wort!«

Rums, dachte ich, da hast du ein Ding weg! Genau das, was dir gefehlt hat. »Das konnen Sie von jeder Frau behaupten«, erklarte ich gereizt.

Sie schuttelte die grauen Lockchen. »Warten Sie ab! Die Zukunft wird mir recht geben.«

»Ach, Zukunft!« Ich warf meine Manschettenknopfe argerlich auf den Tisch. »Wer rechnet heute noch mit Zukunft! Wozu soll man sich daruber jetzt schon Gedanken machen!«

Frau Zalewski wiegte bekummert das majestatische Haupt. »Merkwurdige Menschen seid ihr jungen Leute alle miteinander. Die Vergangenheit ha?t ihr, die Gegenwart verachtet ihr, und die Zukunft ist euch gleichgultig. Wie soll das nur ein gutes Ende nehmen!«

»Was nennen Sie eigentlich ein gutes Ende?« fragte ich. »Ein Ende kann doch nur gut sein, wenn alles vorher schlecht war. Da ist ein schlechtes Ende viel besser.«

»Das sind judische Verdrehungen«, erwiderte Frau Zalewski mit Wurde und wandte sich entschlossen zur Tur. Aber als sie die Klinke schon in der Hand hatte, blieb sie wie angenagelt noch einmal stehen.

»Smoking?« hauchte sie erstaunt,»Sie?«

Mit gro?en Augen betrachtete sie den Anzug Otto Kosters, der an der Schranktur hing. Ich hatte ihn mir geliehen, weil ich abends mit Pat ins Theater wollte. »Jawohl, ich!« sagte ich giftig. »Ihre Kombinationsgabe ist unubertrefflich, gnadige Frau…«

Sie sah mich an. Ein ganzes Gewitter von Gedanken ging uber ihr dickes Gesicht. Es endete in einem breiten, mitwisserischen Schmunzeln. »Aha!« sagte sie. Und dann noch einmal:»Aha!« Und, schon drau?en, uber die Schulter hinweg, genie?erisch und pfiffig, ganz verklart, von der ewigen Freude der Frau bei solchen Entdeckungen:»So steht's also!«

»Ja, so steht's, verdammte Hebamme«, knurrte ich hinter ihr her, als ich sicher war, da? sie mich nicht mehr horte. Dann schmi? ich wutend meine neuen Lackschuhe mitsamt dem Karton auf den Boden. Reicher Mann – als ob ich das nicht wu?te!

Ich holte Pat ab. Sie stand in ihrem Zimmer, fertig angezogen, und wartete schon. Es verschlug mir fast den Atem, als ich sie erblickte. Sie trug zum erstenmal, seit ich sie kannte, ein Abendkleid.

Es war ein Kleid aus silbernem Brokat, das von den geraden Schultern schlank und weich herunterfiel. Es schien eng zu sein und war doch so weit, da? es die schonen langen Schritte Pats nicht hinderte. Vorne war es hochgeschlossen, aber der Rucken war tief in einem spitzen Winkel ausgeschnitten. In der matten blauen Dammerung wirkte Pat darin wie eine silberne Fackel, jah und uberraschend verandert, festlich und sehr entfernt. Wie ein Schatten tauchte hinter ihr der Geist Frau Zalewskis mit hocherhobenem Finger auf.

»Gut, da? ich dich in dem Kleide nicht kennengelernt habe«, sagte ich. »Nie hatte ich mich an dich herangetraut.«

»Das glaube ich nicht so ohne weiteres, Robby.« Sie lachelte. »Gefallt es dir?«

»Es ist geradezu unheimlich! Du bist eine ganz neue Frau darin.«

»Das ist doch nicht unheimlich. Dazu sind Kleider doch da.«

»Mag sein. Mich schmettert es etwas nieder. Du mu?test dazu einen andern Mann haben. Einen Mann mit viel Geld.«

Sie lachte. »Manner mit viel Geld sind meistens scheu?lich, Robby.«

»Aber Geld nicht, was?«

»Nein«, sagte sie,»Geld nicht.«

»Das dachte ich mir.«

»Findest du das denn nicht?«

»Doch«, sagte ich. »Geld macht zwar nicht glucklich – aber es beruhigt au?erordentlich.«

»Es macht unabhangig, Liebling, das ist noch mehr. Aber wenn du willst, kann ich auch ein anderes Kleid anziehen.«

»Ausgeschlossen. Es ist prachtvoll. Von heute ab setze ich die Schneider uber die Philosophen! Die Leute bringen Schonheit ins Leben. Das ist hundertmal mehr wert als klaftertiefe Gedanken! Pa? auf, ich werde mich noch in dich verlieben!«

Sie lachte. Vorsichtig sah ich an mir herunter. Koster war etwas gro?er als ich, und ich hatte bei der Hose oben mit Sicherheitsnadeln arbeiten mussen, damit sie einigerma?en sa?. Gottlob, sie sa?.

Wir fuhren in einem Taxi zum Theater. Ich war unterwegs ziemlich schweigsam, ohne recht zu wissen, warum. Als wir ausstiegen und ich bezahlte, sah ich wie unter einem Zwang den Chauffeur an. Er hatte uberwachte, rotgeranderte Augen, war unrasiert und sah sehr mude aus. Gleichgultig nahm er das Geld. »Gute Kasse heute gehabt?« fragte ich leise.

Er blickte auf. »Es geht«, sagte er abweisend. Er hielt mich fur irgendeinen Neugierigen.

Einen Augenblick hatte ich das Gefuhl, ich mu?te mich zu ihm auf den Bock setzen und losfahren – dann drehte ich mich um. Da stand Pat, schmal und biegsam, uber dem silbernen Kleid eine kurze silberne Jacke mit weiten Armeln, schon und erwartungsvoll. »Komm rasch, Robby, es fangt gleich an!«

Vor dem Eingang stauten sich die Leute. Es war eine gro?e Premiere, das Theater war mit Scheinwerfern bestrahlt, Auto auf Auto glitt heran, Frauen in Abendkleidern stiegen aus, glitzernd von Schmuck, Manner in Fracken, mit rosig ausgepolsterten Gesichtern, lachend, frohlich, uberlegen, unbedenklich – und knarrend und achzend rumpelte dazwischen die Droschke mit dem muden Chauffeur davon.

»So komm doch, Robby!« rief Pat und sah mich strahlend und aufgeregt an. »Hast du etwas vergessen?«

Ich warf einen feindseligen Blick auf die Leute ringsum. »Nein -«, sagte ich,»ich habe nichts vergessen.«

Dann ging ich zur Kasse und tauschte die Billetts um. Ich nahm zwei Logenplatze, obschon sie ein Vermogen kosteten. Ich wollte nicht, da? Pat mitten unter diesen sicheren Leuten sa?, denen alles selbstverstandlich war. Ich wollte nicht, da? sie zu ihnen gehorte. Ich wollte mit ihr allein sein.

Es war lange her, da? ich in einem Theater gewesen war. Ich ware auch nicht hingegangen, wenn Pat es nicht gewollt hatte. Theater, Konzerte, Bucher – alle diese burgerlichen Gewohnheiten hatte ich fast verloren. Es war nicht die Zeit danach. Die Politik machte genug Theater – die Schie?ereien jeden Abend gaben ein anderes Konzert -, und das riesenhafte Buch der Not war eindringlicher als alle Bibliotheken.

Die Range und das Parkett waren ganz besetzt. Es wurde sofort dunkel, als wir unsere Platze gefunden hatten. Nur der Widerschein der Rampenlichter wehte durch den Raum. Voll begann die Musik und hob alles auf, da? es schwebte.

Ich schob meinen Stuhl in die Ecke der Loge zuruck. So brauchte ich weder die Buhne noch die bleichen Kopfe der Zuschauer zu sehen. Ich horte nur die Musik und sah Pats Gesicht.

Die Musik verzauberte den Raum. Sie war wie Sudwind, wie eine warme Nacht, wie ein gebauschtes Segel unter Sternen, ganz und gar unwirklich, diese Musik zu »Hoffmanns Erzahlungen«. Sie machte alles weit und farbig, der dunkle Strom des Lebens schien in ihr zu rauschen, es gab keine Schwere mehr, keine Grenzen, es gab nur noch Glanz und Melodie und Liebe, und man konnte einfach nicht begreifen, da? drau?en Not und Qual und Verzweiflung herrschten, zur gleichen Zeit, wo es diese Musik gab.

Pats Gesicht war geheimnisvoll vom Licht der Buhne beschienen. Sie war ganz hingegeben, und ich liebte sie, weil sie sich nicht an mich lehnte und nicht nach meiner Hand griff, ja, mich nicht einmal ansah, sondern gar nicht an mich zu denken und mich ganz vergessen zu haben schien. Ich ha?te es, wenn man die Dinge vermischte, ich ha?te dieses kuhhafte Zueinanderstreben, wenn die Schonheit und die Gewalt eines gro?en Werkes uber einen hereinbrach, ich ha?te die schwimmenden Blicke der Liebespaare, dieses stumpfselige Sichanschmiegen, dieses unanstandige Schafsgluck, das nie uber sich hinaus ergriffen werden konnte, ich ha?te dieses ganze Gerede vom Einswerden in der Liebe, denn ich fand, man konnte gar nicht genug zwei sein und sich gar nicht oft genug voneinander entfernen, um sich wieder zu begegnen. Nur wer immer wieder allein war, kannte das Gluck des Beieinanderseins. Alles andere zerstorte das Geheimnis der Spannung. Und was ri? starker in die magischen Bezirke der Einsamkeit als der Aufruhr des Gefuhls, die Hingabe an eine Erschutterung, die Gewalt der Elemente, der Sturm, die Nacht, die Musik? Und die Liebe.

Вы читаете Drei Kameraden
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату