Er lachelte mich wieder an. »Ich bin im Begriff, meine Messe zu lesen. Da werde ich Ihre Bitte in mein Gebet mit einschlie?en.«
»Danke«, sagte ich uberrascht und verlegen.
»Ist es fur das Seelenheil eines Verstorbenen?« fragte er.
Ich starrte ihn einen Augenblick an, und meine Blumen begannen zu rutschen. »Nein«, sagte ich dann rasch und pre?te den Arm fest gegen den Mantel.
Er blickte mir mit seinen klaren Augen arglos forschend ins Gesicht. Wahrscheinlich wartete er darauf, da? ich ihm sagen wurde, um was es sich handle. Aber mir fiel nichts Rechtes im Moment ein, und ich hatte auch etwas dagegen, ihn mehr zu belugen, als notig war. Deshalb schwieg ich.
»Ich werde also um Hilfe in der Not fur einen Unbekannten beten«, sagte er schlie?lich.
»Ja«, erwiderte ich,»wenn Sie das tun wollen. Ich danke Ihnen auch sehr.«
Er wehrte lachelnd ab. »Sie brauchen mir nicht zu danken. Wir stehen alle in Gottes Hand.« Er sah mich noch einen Augenblick an, den Kopf ein wenig schrag vorgeneigt, und mir schien, als husche irgend etwas uber seine Zuge. »Vertrauen Sie nur«, sagte er. »Der himmlische Vater hilft. Er hilft immer, auch wenn wir es manchmal nicht verstehen.« Dann nickte er mir zu und ging.
Ich blickte ihm nach, bis ich die Tur hinter ihm zuklappen horte. Ja, dachte ich, wenn es so einfach ware! Er hilft, er hilft immer! Aber hat er Bernhard Wiese geholfen, als er mit einem Bauchschu? schreiend im Houtholster Wald lag, hat er Katczinky geholfen, der in Handzaeme fiel und eine kranke Frau zurucklie? und ein Kind, das er noch nicht gesehen hatte, hat er Muller geholfen und Leer und Kemmerich, hat er dem kleinen Friedmann geholfen und Jurgens und Berger und Millionen anderen? Verdammt, es war etwas zuviel Blut geflossen in der Welt fur diese Art von Glauben an den himmlischen Vater!
Ich brachte die Blumen nach Hause, dann fuhr ich den Wagen zur Werkstatt und ging zuruck. Aus der Kuche kam jetzt der Geruch von frisch aufgebruhtem Kaffee, und ich horte Frida herumrumoren. Es war merkwurdig, aber der Kaffeegeruch stimmte mich heiterer. Ich kannte das vom Kriege her – es waren nie die gro?en Dinge, die einen trosteten -; es waren immer die belanglosen, kleinen.
Ich hatte kaum die Korridortur abgeschlossen, da scho? Hasse aus seinem Zimmer hervor. Sein Gesicht war gelb und gedunsen, die Augen uberwach und rot, und er sah aus, als hatte er in seinem Anzug geschlafen. Als er mich erblickte, ging eine ma?lose Enttauschung uber seine Zuge.
»Ach so, Sie sind es«, murmelte er.
Ich sah ihn erstaunt an. »Haben Sie so fruh schon jemand erwartet?«
»Ja«, sagte er leise,»meine Frau. Sie ist noch nicht nach Hause gekommen. Haben Sie sie nicht gesehen?«
Ich schuttelte den Kopf. »Ich war nur eine Stunde fort.«
Er nickte. »Ich dachte nur – es hatte doch sein konnen, da? Sie sie gesehen hatten.«
Ich zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich kommt sie spater. Haben Sie nicht telefoniert?«
Er sah mich etwas scheu an. »Sie ist gestern abend zu ihren Bekannten gegangen. Ich wei? nicht, wo sie genau wohnen.«
»Wissen Sie denn den Namen? Dann kann man doch bei der Auskunft anfragen.«
»Das habe ich schon versucht. Die Auskunft kennt den Namen nicht.«
Er hatte einen Blick wie ein verprugelter Hund. »Sie war immer so geheimnisvoll mit den Leuten, und wenn ich einmal fragte, dann wurde sie sofort argerlich. Da habe ich's gelassen. Ich war froh, da? sie etwas Anschlu? hatte. Sie sagte immer, ich gonnte ihr anscheinend auch den nicht.«
»Vielleicht kommt sie noch«, sagte ich. »Ich bin sogar sicher, da? sie bald kommt. Haben Sie zur Vorsicht mal die Unfallstationen und die Polizei angerufen?«
Er nickte. »Alles. Dort war nichts bekannt.«
»Na also«, sagte ich,»dann brauchen Sie sich noch gar nicht aufzuregen. Vielleicht ist ihr abends nicht ganz wohl gewesen, und sie ist uber Nacht geblieben. So was kommt ja oft mal vor. Wahrscheinlich ist sie in ein, zwei Stunden wieder da.«
»Meinen Sie?«
Die Kuchentur offnete sich und Frida erschien mit einem Tablett.
»Fur wen ist denn das?« fragte ich.
»Fur Fraulein Hollmann«, erwiderte sie, leicht gereizt durch meinen Anblick.
»Ist sie denn schon auf?«
»Das mu? sie doch«, erklarte Frida schlagfertig,»sonst hatte sie doch nicht nach Fruhstuck geklingelt.«
»Gott segne Sie, Frida«, erwiderte ich. »Morgens sind Sie manchmal direkt ein Labsal. Konnten Sie sich uberwinden, auch meinen Kaffee gleich zu machen?«
Sie knurrte etwas und schritt den Gang hinauf, wobei sie verachtlich den Hintern schwenkte. Sie konnte das. Sie war das einzige Wesen, bei dem ich so was je so ausdrucksvoll gesehen hatte.
Hasse hatte gewartet. Ich schamte mich plotzlich, als ich mich umwandte und ihn so ergeben und still wieder neben mir sah. »In ein, zwei Stunden sind Sie sicher Ihre Sorge los«, sagte ich und hielt ihm die Hand hin.
Er nahm sie nicht, sondern blickte mich sonderbar an. »Konnten wir sie nicht suchen?« fragte er leise.
»Aber Sie wissen doch nicht, wo sie ist.«
»Man konnte sie vielleicht doch suchen«, wiederholte er. »Wenn wir Ihren Wagen nahmen – ich will selbstverstandlich alles bezahlen«, fuhr er schnell fort.
»Darum handelt es sich nicht«, erwiderte ich. »Es ist nur ganz aussichtslos. Wohin sollten wir denn fahren? Sie wird auch um diese Zeit nicht auf der Stra?e sein.«
»Ich wei? es nicht«, sagte er, immer noch ebenso leise. »Ich meine nur, da? man sie suchen konnte.«
Frida kam mit ihrem leeren Tablett zuruck. »Ich mu? jetzt fort«, sagte ich,»und ich glaube, Sie machen sich unnotig Sorgen. Trotzdem wurde ich Ihnen gern den Gefallen tun, aber Fraulein Hollmann mu? bald verreisen, und ich mochte gern heute noch mit ihr zusammen sein. Es ist vielleicht ihr letzter Sonntag hier. Das verstehen Sie doch sicher?«
Er nickte.
Er tat mir leid, wie er so dastand, aber ich war ungeduldig, zu Pat zu kommen. »Wenn Sie trotzdem gleich losfahren wollen, konnen Sie ja ein Taxi unten nehmen«, fuhr ich fort,»aber ich rate Ihnen nicht dazu. Warten Sie lieber noch etwas – dann kann ich meinen Freund Lenz anrufen, und er wird mit Ihnen suchen.«
Ich hatte das Gefuhl, da? er gar nicht zuhorte. »Sie haben sie heute morgen nicht gesehen?« fragte er dann plotzlich.
»Nein«, erwiderte ich verwundert. »Sonst hatte ich es Ihnen ja langst gesagt.«
Er nickte wieder und ging dann abwesend, ohne ein Wort in sein Zimmer zuruck.
Pat war schon bei mir gewesen und hatte die Rosen gefunden. Sie lachte, als ich hereinkam. »Robby«, sagte sie,»ich bin doch ziemlich harmlos. Erst Frida hat mich aufgeklart, da? frische Rosen sonntags fruh um diese Zeit zweifellos etwas mit Diebstahl zu tun haben mu?ten. Sie hat mir auch erklart, da? diese Sorte in den umliegenden Blumengeschaften nicht zu kaufen ist.«
»Glaub, was du willst«, erwiderte ich. »Die Hauptsache ist, da? sie dir Freude machen.«
»Jetzt noch mehr als sonst, Liebling. Du hast sie doch unter Gefahren erbeutet!«
»Na, und unter was fur Gefahren!« Ich dachte an den Pastor. »Aber wieso bist du so fruh schon auf?«
»Ich konnte nicht mehr schlafen. Und dann habe ich auch getraumt. Nichts Schones.«
Ich blickte sie aufmerksam an. Sie sah mude aus und hatte Schatten unter den Augen. »Seit wann traumst du so was?« sagte ich. »Ich dachte, das ware bisher meine Spezialitat.«
Sie schuttelte den Kopf. »Hast du gesehen, da? es Herbst wird drau?en?«
»Bei uns nennt man das Spatsommer«, erwiderte ich. »Die Rosen bluhen ja noch. Es regnet, das ist alles, was ich sehe.«
»Es regnet«, wiederholte sie. »Es regnet schon viel zu lange, Liebling. Manchmal nachts, wenn ich aufwache, glaube ich, da? ich ganz begraben bin unter dem vielen Regen.«
»Du mu?t nachts zu mir kommen«, sagte ich. »Dann hast du solche Gedanken nicht mehr. Im Gegenteil, es ist schon, beieinander zu sein, wenn es dunkel ist und wenn es drau?en regnet.«
»Vielleicht«, erwiderte sie und lehnte sich an mich.
»Ich habe es ganz gern, wenn es sonntags regnet«, sagte ich. »Man merkt dann besser, wie gut man es hat.