Er starrte wieder vor sich hin. »Hasse«, sagte ich,»ich glaube, das hat weniger miteinander zu tun, als Sie denken. Sie sollten gar nicht daruber nachgrubeln. Es ist fur Sie nur notig, uber die nachsten paar Tage wegzukommen. Dann werden Sie besser wissen, was Sie tun wollen. Vielleicht ist Ihre Frau heute abend oder morgen schon wieder da. Sie denkt doch ebenso daruber nach wie Sie.«

»Sie kommt nicht wieder«, antwortete er.

»Das wissen Sie nicht.«

»Wenn man ihr sagen konnte, da? ich jetzt mehr Gehalt habe und da? wir Urlaub nehmen und von dem Ersparten eine Reise machen wollten…«

»Das werden Sie ihr alles sagen konnen. Man trennt sich nicht so ohne weiteres.«

Ich war verwundert, da? er uberhaupt nicht daran dachte, da? noch ein anderer Mann da war. Aber er war anscheinend noch nicht soweit; er dachte nur daran, da? seine Frau fort war, und alles andere lag noch wie ein undeutlicher Nebel dahinter. Ich hatte ihm gern gesagt, da? er in einigen Wochen vielleicht froh sein wurde, da? sie weg war – aber es ware mir bei seiner Verstortheit als unnotige Roheit erschienen. Wahrheit ist fur ein verletztes Gefuhl immer roh und fast unertraglich.

Ich sprach noch eine Zeitlang mit ihm – nur damit er sprechen konnte. Ich erreichte nichts – er drehte sich im Kreise herum, aber ich hatte den Eindruck, da? er etwas ruhiger wurde. Er trank auch einen Kognak. Dann horte ich Pat nebenan rufen.

»Einen Augenblick!« sagte ich und stand auf.

»Ja«, erwiderte er wie ein gehorsamer Knabe und erhob sich ebenfalls.

»Bleiben Sie nur, ich bin gleich wieder da.«

»Verzeihen Sie…«

»Ich bin sofort zuruck«, sagte ich und ging zu Pat hinuber.

Sie sa? aufrecht im Bett und sah frisch und wohl aus. »Ich habe wunderbar geschlafen, Robby! Es ist sicher schon Mittag.«

»Du hast genau eine Stunde geschlafen«, sagte ich und hielt ihr die Uhr hin.

Sie sah auf das Zifferblatt. »Um so besser, dann haben wir noch eine Menge Zeit fur uns. Ich stehe gleich auf.«

»Schon. Ich komme in zehn Minuten wieder 'rein.«

»Hast du Besuch?«

»Hasse«, sagte ich. »Aber es dauert nicht lange.«

Ich ging zuruck, aber Hasse war nicht mehr da. Ich offnete die Tur zum Korridor, aber der Gang war leer. Ich ging den Korridor hinunter und klopfte an seine Tur. Er antwortete nicht. Ich offnete die Tur und sah ihn vor dem Schrank stehen. Ein paar Schubfacher waren herausgezogen.

»Hasse«, sagte ich,»nehmen Sie ein Schlafmittel, legen Sie sich zu Bett und uberschlafen Sie die Sache erst einmal. Sie sind jetzt uberreizt.«

Er wendete sich langsam mir zu. »Immer allein, jeden Abend! Immer wie gestern herumsitzen, denken Sie sich das mal aus…«

Ich sagte ihm, da? sich das andern wurde und da? es viele Leute gabe, die abends allein waren. Er gab keine rechte Antwort darauf. Ich sagte ihm nochmals, er solle schlafen gehen, vielleicht stelle sich noch alles als harmlos heraus und die Frau sei abends schon wieder zuruck. Er nickte und gab mir die Hand.

»Ich komme abends noch mal 'rein«, sagte ich und ging. Ich war froh, wegzukommen.

Pat hatte die Zeitung vor sich liegen. »Wir konnten heute morgen ins Museum gehen, Robby«, schlug sie vor.

»Ins Museum?« fragte ich.

»Ja. Da ist eine Ausstellung von persischen Teppichen. Du warst wohl nicht oft im Museum?«

»Nie!« erwiderte ich. »Was sollte ich da auch?«

»Da hast du recht«, sagte sie und lachte.

»Das macht nichts.« Ich stand auf. »Bei Regenwetter kann man ruhig mal was fur seine Bildung tun.«

Wir zogen uns an und gingen. Die Luft drau?en war herrlich. Sie roch nach Wald und Feuchtigkeit. Als wir beim International vorbeikamen, sah ich durch die offene Tur Rosa neben der Theke sitzen. Sie hatte ihre Tasse Schokolade vor sich stehen, weil Sonntag war. Auf dem Tisch lag ein kleines Paket. Wahrscheinlich wollte sie nachher wie immer zu ihrem Kinde hinausfahren. Ich war lange nicht im International gewesen, und es erschien mir merkwurdig, da? Rosa gleichmutig wie stets dasa?. Bei mir hatte sich so vieles geandert, da? ich dachte, es musse auch uberall anderswo so sein.

Wir kamen zum Museum. Ich hatte geglaubt, wir wurden ziemlich allein sein, aber zu meinem Erstaunen waren sehr viele Leute da. Ich fragte einen Warter, was los sei.

»Nichts«, erwiderte er,»das ist doch immer so an den Tagen, wo der Eintritt frei ist.«

»Siehst du«, sagte Pat. »Es gibt noch eine Menge Leute, die sich fur so etwas interessieren.«

Der Warter schob seine Mutze zuruck. »So ist das nun nicht, meine Dame. Das sind fast alles Arbeitslose. Die kommen nicht wegen der Kunst, sondern weil sie nichts zu tun haben. Und hier haben sie wenigstens was zum Ansehen.«

»Das ist eine Erklarung, die ich besser verstehe«, sagte ich.

»Jetzt ist das noch gar nichts«, erwiderte der Warter. »Im Winter mussen Sie mal kommen! Da ist alles proppenvoll. Wegen der Heizung.«

Wir gingen in den Saal, wo die Teppiche hingen. Es war ein stiller, etwas abgelegener Raum. Durch die hohen Fenster konnte man in einen Garten sehen, in dem eine riesige Platane stand. Sie war ganz gelb, und auch das Licht im Raum bekam durch sie einen gedampften gelben Schein.

Die Teppiche waren wundervoll. Es waren zwei Tierteppiche des sechzehnten Jahrhunderts, einige Ispahans und ein paar seidene, lachsfarbene Polenteppiche mit smaragdgrunen Borduren. Das Alter und die Sonne hatten ihren Tonen eine milde Patina verliehen, so da? sie wie gro?e, marchenhafte Pastelle wirkten. Sie gaben dem Raum eine zeitlose Stimmung und Harmonie, wie sie durch Bilder nie hatte erreicht werden konnen. Das Fenster mit dem Herbstlaub der Platane und dem perlgrauen Himmel dahinter fugte sich ein, als ob es auch ein alter Teppich ware.

Wir blieben eine Zeitlang, dann gingen wir zuruck in die ubrigen Sale des Museums. Es waren inzwischen noch mehr Leute hinzugekommen, und man sah jetzt deutlich, da? sie eigentlich nicht hierhergehorten. Mit blassen Gesichtern und abgetragenen Anzugen wanderten sie, die Hande auf dem Rucken, etwas scheu durch die Raume, mit Augen, die etwas ganz anderes sahen als die Bilder der Renaissance und die stillen Marmorfiguren der Antike. Viele sa?en auf den roten, gepolsterten Banken, die ringsum aufgestellt waren. Sie sa?en mude da, in einer Haltung, als waren sie gleich bereit, aufzustehen, wenn jemand kame, um sie fortzuweisen. Man merkte ihnen an, da? gepolsterte Banke etwas fur sie waren, bei dem ihnen nicht ganz begreiflich war, da? es kein Geld kostete, sich darauf auszuruhen. Sie waren gewohnt, da? sie nichts umsonst erhielten.

Es war sehr still in all den Raumen, und man horte trotz der vielen Besucher kaum ein Wort – aber mir schien trotzdem, als sahe ich einem ungeheuren Kampf zu -, dem lautlosen Kampf von Menschen, die niedergeschlagen waren, aber sich noch nicht ergeben wollten. Sie waren ausgesto?en aus den Bezirken ihrer Arbeit, ihres Strebens, ihrer Berufe – jetzt kamen sie in die stillen Raume der Kunst, um nicht der Erstarrung und der Verzweiflung anheimzufallen. Sie dachten an Brot, immer nur an Brot und Beschaftigung; aber sie kamen hierher, um ihren Gedanken fur einige Stunden zu entrinnen – und zwischen den klaren Romerkopfen und der unverganglichen Anmut wei?er, griechischer Frauengestalten wanderten sie umher in dem schleppenden Gang, mit den vorgebeugten Schultern von Menschen, die kein Ziel haben -, ein erschutternder Kontrast, ein trostloses Bild dessen, was die Menschheit in Tausenden von Jahren erreichen und nicht erreichen konnte: den Gipfel ewiger Kunstwerke, aber nicht einmal Brot genug fur jeden ihrer Bruder.

Nachmittags gingen wir in ein Kino. Als wir herauskamen, hatte der Himmel sich aufgeklart. Er war apfelgrun und sehr klar.

In den Stra?en und Laden brannte schon Licht. Wir gingen langsam nach Hause und sahen uns dabei die Schaufenster an.

Vor den hellerleuchteten Scheiben eines gro?en Pelzgeschaftes blieb ich stehen. Es war schon kuhl abends, und in den Fenstern waren dicke Bundel Silberfuchse und warme Mantel fur den Winter ausgestellt. Ich sah Pat an; sie trug immer noch ihre kurze Pelzjacke und war eigentlich viel zu leicht angezogen.

»Wenn ich jetzt der Held aus dem Film ware, wurde ich da hineingehen und dir einen Mantel aussuchen«,

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