Wir sind zusammen, wir haben ein warmes, schones Zimmer und einen freien Tag vor uns – ich finde, das ist eine ganze Menge.«

Ihr Gesicht hellte sich auf. »Ja, wir haben es gut, nicht wahr?«

»Ich finde, da? wir es wunderbar haben. Wenn ich an fruher denke – mein Gott! Ich hatte nie gedacht, da? ich es noch einmal so gut haben wurde.«

»Es ist schon, wenn du das sagst. Ich glaube es dann sofort. Du mu?t es ofter sagen.«

»Sage ich es nicht oft genug?«

»Nein.«

»Kann sein«, sagte ich. »Ich glaube, ich bin nicht sehr zartlich. Ich wei? nicht warum, aber ich kann es einfach nicht sein. Dabei ware ich es sehr gern.«

»Du brauchst es nicht, Liebling, ich verstehe dich auch so. Nur manchmal, da mochte man es trotzdem auch gern horen.«

»Ich werde es dir von jetzt an jedesmal sagen. Auch wenn ich mir albern dabei vorkomme.«

»Ach, albern«, erwiderte sie. »In der Liebe gibt es keine Albernheit.«

»Gottlob nicht«, sagte ich. »Es ware sonst furchtbar, was aus einem wurde.«

Wir fruhstuckten zusammen, dann legte Pat sich wieder zu Bett. Jaffe hatte das so angeordnet. »Bleibst du hier?« fragte sie unter ihrer Decke hervor.

»Wenn du willst«, sagte ich.

»Ich mochte schon, aber du brauchst nicht…«

Ich setzte mich zu ihr ans Bett. »So war es nicht gemeint.

Ich erinnere mich nur, da? du es fruher nicht gern hattest, wenn man dir beim Schlafen zusah.«

»Fruher, ja – aber jetzt habe ich manchmal Angst, allein…«

»Das hatte ich auch mal«, sagte ich. »Im Lazarett, nach einer Operation. Ich furchtete mich damals, nachts zu schlafen. Ich blieb immer wach und las oder dachte an irgend etwas, und erst wenn es hell wurde, schlief ich ein. Aber das vergeht wieder.«

Sie legte ihr Gesicht auf meine Hand. »Man hat Angst, da? man nicht zuruckkommt, Robby…«

»Ja«, sagte ich,»aber man kommt zuruck, und es geht vorbei. Du siehst es an mir. Man kommt immer zuruck – wenn auch nicht gerade an dieselbe Stelle.«

»Das ist es«, erwiderte sie schon ein wenig schlafrig, mit halbgeschlossenen Augen. »Davor habe ich auch Angst. Aber du pa?t auf, nicht wahr?«

»Ich passe auf«, sagte ich und strich uber ihre Stirn und uber ihr Haar, das auch mude zu sein schien.

Sie atmete tiefer und drehte sich etwas zur Seite. Eine Minute spater war sie fest eingeschlafen.

Ich setzte mich wieder ans Fenster und sah in den Regen hinaus. Er wehte jetzt in grauen Schauern vor den Scheiben vorbei, und das Haus wirkte wie eine kleine Insel in der truben Unendlichkeit. Ich war unruhig, denn es kam selten vor, da? Pat morgens mutlos und traurig war. Aber dann dachte ich daran, da? sie vor einigen Tagen noch lebhaft und froh gewesen war und da? vielleicht alles schon anders sein wurde, wenn sie wieder erwachte. Ich wu?te, da? sie viel an ihre Krankheit dachte, und ich wu?te auch von Jaffe, da? es noch nicht besser geworden war – aber ich hatte in meinem Leben so viele Tote gesehen, da? jede Krankheit fur mich immer noch Leben und Hoffnung war. Ich wu?te, da? man an einer Verwundung sterben konnte, und darin hatte ich gro?e Erfahrung – aber es fiel mir gerade deshalb oft schwer, zu glauben, da? auch eine Krankheit, bei der der Mensch doch au?erlich heil blieb, gefahrlich sein konnte. Dadurch kam ich immer rasch uber solche Anfalle von Mutlosigkeit hinweg.

Es klopfte an die Tur. Ich ging hin und offnete. Hasse stand drau?en. Ich legte den Finger an den Mund und trat auf den Korridor.

»Verzeihen Sie«, stammelte er.

»Kommen Sie zu mir herein«, sagte ich und offnete die Tur zu meinem Zimmer.

Hasse blieb an der Schwelle stehen. Sein Gesicht schien kleiner geworden. Es war kreidewei?. »Ich wollte Ihnen nur sagen, da? wir nicht mehr zu fahren brauchen«, sagte er, fast ohne die Lippen zu bewegen.

»Kommen Sie ruhig herein«, erwiderte ich,»Fraulein Hollmann schlaft, ich habe Zeit.«

Er hatte einen Brief in der Hand und sah aus wie jemand, der einen Schu? bekommen hat, aber noch glaubt, es sei nur ein Sto? gewesen.

»Am besten ist, Sie lesen es selbst«, sagte er und gab mir den Brief.

»Haben Sie schon Kaffee getrunken?« fragte ich.

Er schuttelte den Kopf. »Lesen Sie den Brief…«

»Ja, aber inzwischen konnen Sie etwas trinken…«

Ich ging hinaus und sagte Frida Bescheid. Dann las ich den Brief. Er war von Frau Hasse und bestand aus wenigen Zeilen. Sie teilte ihm mit, da? sie noch etwas von ihrem Leben haben wolle. Deshalb kame sie nicht mehr zuruck. Es sei jemand da, der sie besser verstunde als Hasse. Es hatte keinen Zweck, da? er irgend etwas unternahme; sie kame auf keinen Fall zuruck.

Das sei ja auch wohl fur ihn das beste. Er brauche dann keine Sorgen mehr zu haben, ob sein Gehalt reiche oder nicht. Einen Teil ihrer Sachen habe sie mitgenommen; den Rest wurde sie gelegentlich holen lassen.

Es war ein klarer und sachlicher Brief. Ich faltete ihn zusammen und gab ihn Hasse zuruck. Er blickte mich an, als ob alles von mir abhinge. »Was soll man da tun?« fragte er.

»Trinken Sie zuerst einmal diese Tasse aus und essen Sie was«, sagte ich. »Es hat keinen Zweck, da? Sie herumlaufen und sich kaputtmachen. Dann wollen wir uberlegen. Sie mussen versuchen, ganz ruhig zu werden, dann werden Sie den besten Entschlu? fassen.«

Er trank gehorsam die Tasse leer. Seine Hand zitterte, und essen konnte er nichts. »Was soll man tun?« fragte er nochmals.

»Gar nichts«, sagte ich. »Abwarten.«

Er machte eine Bewegung. »Was mochten Sie denn tun?« fragte ich.

»Ich wei? es nicht. Ich kann es nicht begreifen.«

Ich schwieg. Es war schwer, ihm etwas zu sagen. Man konnte ihn nur beruhigen, alles andere mu?te er selbst finden. Er liebte die Frau nicht mehr, das war anzunehmen – aber er war an sie gewohnt, und fur einen Buchhalter konnte Gewohnheit mehr sein als Liebe.

Nach einer Weile begann er zu sprechen, verworrenes Zeug, das nur zeigte, wie er hin und her schwankte. Dann fing er an, sich Vorwurfe zu machen. Er sagte kein Wort gegen die Frau. Er versuchte sich nur klarzumachen, da? er die Schuld hatte.

»Hasse«, sagte ich,»was Sie da reden, ist Unsinn. In diesen Dingen gibt es weder Schuld noch Unschuld. Die Frau ist von Ihnen fortgegangen, nicht Sie von ihr. Sie brauchen sich keine Vorwurfe zu machen.«

»Doch«, erwiderte er und sah auf seine Hande. »Ich habe es nicht geschafft.«

»Was?«

»Ich habe es nicht geschafft. Das ist eine Schuld, wenn man es nicht schafft.«

Ich blickte verwundert auf die kleine, armselige Gestalt in dem roten Pluschsessel. »Herr Hasse«, sagte ich dann ruhig,»so etwas ist hochstens ein Grund, aber keine Schuld. Au?erdem haben Sie es bisher geschafft.«

Er schuttelte heftig den Kopf. »Nein, nein, ich habe die Frau verruckt gemacht mit meiner ewigen Angst vor der Kundigung. Und ich habe es auch nicht geschafft! Was habe ich ihr schon bieten konnen! Nichts…«

Er versank in stumpfes Bruten. Ich stand auf und holte die Kognakflasche. »Trinken wir etwas«, sagte ich. »Es ist ja noch nichts verloren.«

Er hob den Kopf.

»Es ist noch nichts verloren«, wiederholte ich. »Verloren hat man einen Menschen erst, wenn er tot ist.«

Er nickte hastig und griff nach dem Glase. Aber er stellte es wieder hin, ohne zu trinken. »Gestern bin ich Burochef geworden«, sagte er leise. »Oberbuchhalter und Burochef. Der Prokurist hat es mir abends gesagt. Ich bin es geworden, weil ich in den letzten Monaten immer Uberstunden gemacht habe. Man hat zwei Buros zusammengelegt. Der andere Burovorsteher ist entlassen worden. Ich bekomme funfzig Mark Gehalt mehr.« Er sah mich plotzlich verzweifelt an. »Glauben Sie, da? sie dageblieben ware, wenn sie es gewu?t hatte?«

»Nein«, sagte ich.

»Funfzig Mark mehr. Ich hatte sie ihr geben konnen. Sie hatte sich immer etwas kaufen konnen. Und zwolfhundert Mark habe ich doch auf der Sparkasse! Wozu habe ich das nun gespart? Ich wollte etwas fur sie haben, wenn es uns schlecht ginge. Und nun ist sie weggegangen, weil ich dafur gespart habe.«

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