Asphalt und umklammerte meinen Hals. Ich spannte die Muskeln an, damit er mich nicht wurgen konnte, und versuchte, mich zu krummen und herumzurollen, um ihn mit den Fu?en wegzusto?en oder ihm in den Bauch zu treten. Aber Lenz und sein Vogt waren uber meinen Beinen am Ringen, und ich kam nicht frei. Der Atem wurde mir schwer trotz der angespannten Halsmuskeln, weil ich durch die blutende Nase keine Luft bekam. Allmahlich wurde alles glasig um mich her, das Gesicht Vogts zitterte vor meinen Augen wie Gallert, und ich spurte schwarze Schatten hinter meinem Schadel. Mit dem letzten Blick sah ich Jupp plotzlich neben mir; – er kniete im Stra?engraben, verfolgte ruhig und aufmerksam mein Zucken und schlug, als in einer Sekunde der Stille alles fur ihn parat schien, mit einem Hammer gegen Vogts Handgelenk. Beim zweiten Schlag lie? Vogt los und griff vom Boden aus wutend nach Jupp, der einen halben Meter zuruckrutschte und ihm in aller Ruhe einen dritten saftigen Schlag auf die Finger und dann einen auf den Kopf versetzte. Ich kam hoch, rollte mich auf Vogt und begann ihm meinerseits den Hals zuzuschnuren. In diesem Augenblick erscholl ein tierisches Brullen und dann ein Wimmern:»Loslassen – loslassen!«

Es war der alteste Vogt. Koster hatte ihm einen Arm umgedreht und uber den Rucken hochgerissen. Vogt war mit dem Kopf voran zu Boden gegangen, und Koster kniete jetzt auf seinem Rucken und drehte den Arm weiter. Gleichzeitig schob er ihn mit dem Knie naher zum Nacken heran. Vogt heulte, aber Koster wu?te, da? er ihn richtig fertigmachen mu?te, wenn wir Ruhe haben wollten. Er renkte ihm mit einem Ruck den Arm aus und lie? ihn erst dann los. Vogt blieb eine Weile am Boden liegen. Ich sah auf. Einer der Bruder stand noch, aber das Schreien seines Bruders hatte ihn formlich gelahmt.

»Macht euch weg, sonst geht's noch mal los«, sagte Koster zu ihm.

Ich schlug meinem Vogt zum Abschied noch einmal den Schadel auf die Stra?e und lie? dann los. Lenz stand schon neben Koster. Seine Jacke war zerrissen. Er blutete aus dem Mundwinkel. Der Kampf schien unentschieden gewesen zu sein, denn sein Vogt blutete zwar auch, stand aber ebenfalls. Die Niederlage des altesten Bruders hatte alles entschieden. Keiner wagte noch ein Wort. Sie halfen dem altesten auf und gingen zu ihrem Wagen. Der Unverletzte kam noch einmal zuruck und holte den Wagenheber. Er schielte Koster an, als ware er der Teufel. Dann rasselte der Mercedes los.

Auf einmal war der Schmied wieder da. »Die haben genug«, sagte er. »So was ist denen lange nicht passiert. Der alteste hat schon wegen Totschlag gesessen.«

Niemand antwortete ihm. Koster schuttelte sich plotzlich. »Schweinerei«, sagte er. Dann drehte er sich um. »Los!«

»Bin schon da«, erwiderte Jupp und rollte den Schleppesel heran.

»Komm mal her«, sagte ich. »Ab heute bist du Unteroffizier und darfst mit Zigarrenrauchen anfangen.«

Wir bockten den Wagen auf und befestigten ihn mit dem Drahtseil hinter Karl. »Glaubst du, da? es ihm nicht schadet?« fragte ich Koster. »Karl ist schlie?lich ein Rennpferd und kein Packesel.«

Er schuttelte den Kopf. »Ist ja nicht weit. Und ebene Stra?e.« Lenz setzte sich in den Stutz, und wir fuhren langsam los. Ich druckte mein Taschentuch gegen die Nase und schaute uber die abendlichen Felder und in die sinkende Sonne. Es war ein ungeheurer, durch nichts zu erschutternder Friede darin, und man spurte, da? es der Natur vollig gleichgultig war, was dieses bosartige Ameisengewimmel, Menschheit genannt, auf der Welt trieb. Es war viel wichtiger, da? die Wolken jetzt allmahlich zu goldenen Gebirgen wurden, da? die violettfarbenen Schatten der Dammerung lautlos vom Horizont heranwehten, da? die Lerchen aus der grenzenlosen Weite des Himmels heimkehrten in ihre Ackerfurchen und da? es langsam Nacht wurde.

Wir fuhren auf unsern Hof ein. Lenz kletterte aus dem Stutz und nahm feierlich den Hut vor ihm ab. »Sei gegru?t, Gesegneter! Du kommst aus traurigem Anla? hierher, aber uns wirst du, mit liebevollem Auge oberflachlich geschatzt, etwa drei- bis dreieinhalbtausend Mark einbringen. Und jetzt gebt mir ein gro?es Glas Kirschwasser und ein Stuck Seife – ich mu? die Familie Vogt loswerden!«

Wir tranken alle ein Glas, dann gingen wir sofort daran, den Stutz moglichst weit auseinanderzunehmen. Es genugte namlich nicht immer, da? der Besitzer allein den Auftrag zur Reparatur gab; – oft kam nachtraglich noch die Versicherungsgesellschaft um den Wagen anderswohin, in eine ihrer Vertragswerkstatten, zu geben. Je weiter wir deshalb kamen, um so besser war es. Die Kosten fur die Neumontage waren dann schon so hoch, da? es billiger war, den Wagen bei uns zu lassen. Es war dunkel, als wir aufhorten. »Fahrst du heute abend noch Taxi?« fragte ich Lenz.

»Ausgeschlossen«, erwiderte Gottfried. »Man soll das Geldverdienen auf keinen Fall ubertreiben. Der Stutz genugt mir.«

»Mir nicht«, sagte ich. »Wenn du nicht fahrst, werde ich von elf bis zwei die Nachtlokale abgrasen.«

»La? das lieber«, schmunzelte Gottfried. »Sieh statt dessen mal in den Spiegel. Du hast in letzter Zeit Pech mit deiner Nase. Mit der Runkelrube steigt kein Mensch bei dir ein. Geh ruhig nach Hause und leg dir Kompressen drauf.«

Er hatte recht. Es ging wirklich nicht mit meiner Nase. Ich verabschiedete mich deshalb bald und ging nach Hause. Unterwegs traf ich Hasse und ging mit ihm das letzte Stuck zusammen. Er sah verstaubt und elend aus. »Sie sind dunner geworden«, sagte ich.

Er nickte und erzahlte mir, da? er abends nicht mehr richtig a?e. Seine Frau sei fast jeden Tag bei den Bekannten, die sie gefunden hatte, und kame immer erst spat nach Hause. Er sei froh, da? sie Unterhaltung habe, aber abends hatte er keine Lust, sich allein etwas zu essen zu machen. Er hatte auch nicht viel Hunger; er sei viel zu mude dazu.

Ich sah ihn von der Seite an, wahrend er mit hangenden Schultern neben mir herging. Vielleicht glaubte er wirklich, was er sagte, aber es war doch jammervoll, es mit anzuhoren. Es war nur ein bi?chen Sicherheit und ein bi?chen Geld, woran diese Ehe und dieses sanfte, bescheidene Leben scheiterte. Ich dachte daran, da? es Millionen solcher Menschen gab und da? es immer nur das bi?chen Sicherheit und das bi?chen Geld war. Das Dasein war in einer entsetzlichen Weise zusammengeschrumpft zu dem armseligen Kampf um die nackte Existenz. Ich dachte an die Prugelei heute nachmittag, ich dachte an das, was ich in den letzten Wochen gesehen hatte, ich dachte an alles, was ich schon gemacht hatte, und dann dachte ich an Pat und hatte plotzlich das Gefuhl, da? das nie zusammenkommen konnte. Der Sprung war zu gro?, das Leben war zu dreckig geworden fur das Gluck, es konnte nicht dauern, man glaubte nicht mehr daran, es war eine Atempause, aber kein Hafen.

Wir stiegen die Treppe hinauf und schlossen die Tur auf. Auf dem Vorplatz blieb Hasse stehen. »Also dann auf Wiedersehen…«

»Essen Sie heute mal was«, sagte ich.

Er schuttelte den Kopf mit einem schwachen Lacheln, als wollte er um Entschuldigung bitten, und ging in sein leeres dunkles Zimmer. Ich blickte ihm nach. Dann ging ich weiter den Schlauch des Korridors entlang. Plotzlich horte ich leises Singen. Ich blieb stehen und horchte. Es war nicht Erna Bonigs Grammophon, wie ich zuerst glaubte; es war die Stimme Pats. Sie war allein in ihrem Zimmer und sang. Ich sah nach der Tur hinuber, hinter der Hasse verschwunden war, ich beugte mich wieder vor und lauschte, und dann pre?te ich plotzlich die Hande zusammen – verflucht, mochte es tausendmal nur eine Atempause und kein Hafen sein, mochte es tausendmal zu weit auseinanderliegen, so da? man nicht daran glauben konnte – gerade weil man nicht daran glauben konnte, gerade deshalb war es immer und immer wieder besturzend neu und uberwaltigend, das Gluck!

Pat horte mich nicht kommen. Sie sa? auf dem Boden vor dem Spiegel und probierte an einem Hut herum, einer kleinen schwarzen Kappe. Neben ihr auf dem Teppich stand die Lampe. Das Zimmer war voll von einer warmen braungoldenen Dammerung, und nur ihr Gesicht war hell vom Licht bestrahlt. Sie hatte sich einen Stuhl herangeruckt, von dem ein bi?chen Seide herunterhing. Auf dem Sitz lag eine Schere und blitzte.

Ich blieb ruhig an der Tur stehen und sah zu, wie sie ernsthaft an der Kappe arbeitete. Sie liebte es, auf dem Boden zu sitzen, und ich hatte sie manchmal schon abends eingeschlafen in irgendeiner Zimmerecke auf dem Boden gefunden, neben sich ein Buch und den Hund.

Der Hund lag auch jetzt neben ihr und begann zu knurren. Pat blickte auf und sah mich im Spiegel. Sie lachelte, und mir schien, als ob alles in der Welt heller dadurch wurde. Ich ging durch das Zimmer, kniete hinter ihr nieder und legte meinen Mund nach all dem Dreck des Tages auf die warme, weiche Haut des Nackens vor mir.

Sie hob die schwarze Kappe hoch. »Ich habe sie geandert, Liebling. Gefallt sie dir so?«

»Es ist ein ganz herrlicher Hut«, sagte ich.

»Aber du siehst ja gar nicht hin! Ich habe hinten den Rand abgeschnitten und ihn vorn hochgeklappt.«

»Ich sehe ihn ganz genau«, sagte ich mit dem Gesicht in ihrem Haar,»es ist ein Hut, bei dem die Pariser Schneider vor Neid erbleichen wurden, wenn sie ihn sahen.«

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