warten.«
Sie schuttelte den Kopf. »Das verstehst du nicht, Robby. Es ist nur schrecklich, nichts zu haben, auf das man warten kann.«
Sie knipste das Licht vor dem Spiegel an. »Jetzt mu? ich aber anfangen, mich umzuziehen, sonst werde ich nicht fertig. Ziehst du dich auch um?«
»Spater«, sagte ich,»ich bin ja rasch fertig. La? mich noch etwas hierbleiben.«
Ich rief den Hund zu mir und setzte mich in den Sessel neben das Fenster. Ich liebte es, so still dazusitzen und Pat zuzusehen, wahrend sie sich anzog. Nie empfand ich das Geheimnis des ewig Fremden der Frau mehr als bei diesem leisen Hin- und Hergehen vor dem Spiegel, diesem nachdenklichen Prufen, diesem ganz In-sich-Versinken, diesem Zuruckgleiten in den unbewu?ten Spursinn des Geschlechtes. Ich konnte mir nicht gut denken, da? eine Frau sich schwatzend und lachend ankleidete – und wenn sie es tat, dann fehlte ihr das Geheimnis und der undeutbare Zauber des immer wieder Entfliehenden. Ich liebte bei Pat ihre weichen und doch geschmeidigen Bewegungen vor dem Spiegel; es war wunderbar anzusehen, wie sie nach ihrem Haar griff oder einen Augenbrauenstift behutsam und vorsichtig wie einen Pfeil an die Schlafen fuhrte. Sie hatte dann etwas von einem Reh und von einem schmalen Panther und auch etwas von einer Amazone vor dem Kampf. Sie verga? alles um sich her, ihr Gesicht war ernst und gesammelt, sie hielt es aufmerksam und ruhig ihrem Spiegelbild entgegen, und wahrend sie sich ihm ganz dicht zuneigte, schien es, als ware es gar kein Spiegelbild mehr, als sahen sich dort aus der Dammerung der Wirklichkeit und der Jahrtausende zwei Frauen mit uraltem, wissendem Blick kuhn und prufend in die Augen.
Der frische Hauch des Abends wehte vom Friedhof durch das offene Fenster ins Zimmer. Ich sa? still da, ich hatte nichts vergessen vom Nachmittag, ich wu?te alles noch genau – aber wenn ich zu Pat hinubersah, dann spurte ich, wie die dumpfe Traurigkeit, die wie ein Stein in mir heruntergesunken war, immer wieder uberspult wurde von einer wilden Hoffnung, wie sie sich wandelte und sich seltsam damit vermischte, wie eines zum andern wurde, die Traurigkeit, die Hoffnung, der Wind, der Abend und das schone Madchen zwischen den beglanzten Spiegeln und Leuchtern, ja, ich hatte einen Augenblick lang plotzlich das sonderbare Empfinden, als ob erst das wirklich und in einem sehr tiefen Sinne das Leben sei und vielleicht sogar das Gluck: Liebe mit so viel Schwermut, Furcht und schweigendem Wissen.
XIX
Ich stand am Parkplatz und wartete. Gustav kam mit seinem Wagen heran und stellte sich hinter mir auf. »Was macht der Koster, Robert?« fragte er.
»Dem geht's gro?artig«, sagte ich.
»Und dir?«
Ich winkte mi?mutig ab. »Mir wurde es auch gro?artig gehen, wenn ich mehr verdiente. Stell dir vor, zwei ganze Funfzigpfennigfuhren heute.«
Er nickte. »Es wird immer schlechter. Alles wird immer schlechter. Was das blo? noch geben soll!«
»Dabei mu?te ich so notwendig Geld verdienen!« sagte ich. »Gerade jetzt! Viel Geld.«
Gustav kratzte sich am Kinn. »Viel Geld!« Dann sah er mich an. »Reell ist nirgendwo viel Moos zu holen, Robert. Nur durch Spekulationen. Wie ware es mit dem Toto? Heute sind Rennen. Ich wei? da einen erstklassigen Laden. Habe neulich achtundzwanzigfaches Geld gemacht auf Aida.«
»Was, ist mir egal. Hauptsache ist, da? eine Chance da ist.«
»Hast du schon mal getippt?«
»Nein.«
»Dann hast du die Kinderhand! Damit ist was zu machen.« Er sah nach der Uhr. »Wollen wir los? Schaffen's grade noch.«
»Gut!« Seit der Sache mit dem Hund hatte ich starkes Vertrauen zu Gustav.
Das Wettburo war ein ziemlich gro?er Raum. Rechts war ein Zigarrenladen abgeteilt, links befand sich der Totalisator.
Das Schaufenster hing voll von grunen und rosafarbenen Sportzeitungen und mit der Schreibmaschine getippten Rennanzeigen. An einer Wand lief ein Pult mit ein paar Schreibaufsatzen entlang. Dahinter waren drei Manner in wilder Bewegung. Einer schrie am Telefon herum, ein anderer rannte mit Zetteln in den Handen hin und her, und der dritte stand, eine Melone weit auf den Hinterkopf geschoben, eine dicke, schwarze, zerkaute Brasil zwischen den Zahnen rollend, ohne Rock, mit aufgekrempelten Hemdsarmeln hinter einem der Pulte und notierte die Einsatze. Sein Hemd war von intensivstem Violett.
Zu meinem Erstaunen herrschte machtiger Betrieb. Es waren fast nur kleine Leute da, Handwerker, Arbeiter, kleine Beamte, ein paar Huren und Zuhalter. Gleich an der Tur hielt uns ein Mann mit schmutzigen grauen Gamaschen, grauer Melone und abgerissenem grauem Gehrock fest. »Von Bieling, Tips, die Herren? Todsicher!«
»Auf dem Mond«, erwiderte Gustav, der in dem Laden plotzlich ein ganz anderes Gesicht bekam.
»Nur funfzig Pfennig«, drangte Bieling. »Kenne die Trainer personlich. Von fruher«, setzte er auf einen Blick von mir hinzu.
Gustav studierte bereits die Rennlisten. »Wann kommt Auteuil 'raus?« rief er zur Theke hinuber.
»Funf Uhr«, quakte der Gehilfe.
»Philomene, bombiges Luder«, brummte Gustav. »Staatsgaul bei tiefem Gelauf.« Er schwitzte bereits vor Aufregung. »Was ist das nachste?« fragte er.
»Hoppegarten«, sagte jemand neben ihm.
Gustav studierte wieder. »Wir setzen als Anfang jeder zwei Eier auf Tristan, Sieg«, erklarte er mir.
»Hast du denn eine Ahnung davon?« fragte ich.
»Ahnung? Ich kenne jeden Pferdehuf.«
»Und dann setzen Sie auf Tristan?« sagte jemand neben uns. »Flei?iges Lieschen, Mann, die einzige Chance! Ich kenne Johnny Burns personlich.«
»Und ich«, gab Gustav zuruck,»bin der Besitzer des Stalles Flei?iges Lieschen selber. Ich wei? es noch besser.«
Er rief unsere Satze dem Mann am Pult zu. Wir erhielten einen Zettel und setzten uns vorn in das Lokal, wo ein paar Tische und Stuhle standen. Neben uns schwirrten alle moglichen Namen durch die Luft. Ein paar Arbeiter diskutierten uber Rennpferde in Nizza, zwei Postschaffner studierten den Wetterbericht aus Paris, und ein Kutscher renommierte mit seinen Zeiten als Trabrennfahrer. Nur ein dicker Mann mit hochstehenden Haaren sa? teilnahmslos an seinem Tisch und a? ein Brotchen nach dem andern. Zwei andere lehnten an der Wand und sahen gierig zu. Sie hatten jeder ein Ticket in den Handen, aber ihre Gesichter waren so eingefallen, als hatten sie seit Tagen nichts gegessen.
Das Telefon schrillte. Alles spitzte die Ohren. Der Gehilfe rief die Namen aus. Von Tristan war weit und breit nichts zu horen. »Verdammt«, sagte Gustav und lief rot an,»Salomon hat's gemacht. Wer hatte das gedacht, Sie etwa?« fragte er argerlich das Flei?ige Lieschen. »Sie waren auch unter: ferner liefen…«
Von Bieling erschien zwischen uns. »Meine Herrschaften, hatten Sie auf mich gehort – Salomon hatte ich Ihnen gesagt! Nur Salomon! Wollen Sie zum nachsten Rennen?«
Gustav horte gar nicht hin. Er hatte sich beruhigt und war mit dem Flei?igen Lieschen in ein Fachgesprach verwickelt.
»Verstehen Sie was von Pferden?« fragte Bieling mich.
»Nichts«, sagte ich.
»Dann setzen Sie! Setzen Sie! Aber nur heute«, fugte er flusternd hinzu,»und nie wieder. Horen Sie auf mich. Setzen Sie – es ist ganz egal – Konig Lear oder Silbermotte – vielleicht auch L'heure bleue. Ich will nichts verdienen. Geben Sie mir nur etwas, wenn Sie gewinnen.« Er zitterte mit dem Kinn vor Spielleidenschaft. Ich kannte die Regel vom Poker her: Anfanger gewannen oft. »Schon«, sagte ich,»worauf?«
»Was Sie wollen – was Sie wollen…«
»L'heure bleue klingt nicht ha?lich«, sagte ich,»also zehn Mark auf L'heure bleue.«
»Bist du verruckt?« fragte Gustav.