»Nein«, sagte ich.

»Zehn Eier auf diesen Kracher, aus dem sie schon langst Wurst hatten machen mussen?«

Das Flei?ige Lieschen, das eben Gustav noch einen Abdecker genannt hatte, stimmte mit vollen Backen ein. »So was! Laeure blaeue setzt der! Das ist eine Kuh und kein Pferd, Herr! Maientraum vernascht den auf zwei Beinen, wie er will! Sieg?«

Bieling sah mich beschworend an und machte mir Zeichen.

»Sieg«, sagte ich.

»La? dir begraben«, grunzte das Flei?ige Lieschen verachtlich.

»Mensch!« Auch Gustav sah mich an, als ob ich mich in einen Hottentotten verwandelt hatte. »Gipsy II, das wei? doch ein Saugling im Mutterleib schon.«

»Ich bleibe bei meiner L'heure bleue«, erklarte ich. Es ware gegen alle geheimen Glucksrittergesetze gewesen, jetzt noch zu wechseln.

Der Mann mit dem lila Hemd ubergab mir meinen Zettel. Gustav und das Flei?ige Lieschen betrachteten mich, als hatte ich die Beulenpest. Sie ruckten sichtbar von mir ab und drangten zum Pult, um dort mit gegenseitigem Hohngelachter, in dem aber doch der Respekt der Fachleute voreinander steckte, Gipsy II und Maientraum zu tippen.

In diesem Augenblick kippte jemand um. Es war einer der mageren Leute, die vorn neben den Tischen gestanden hatten. Er rutschte an der Wand entlang und schlug hart auf die Erde. Die beiden Postschaffner hoben ihn auf und packten ihn auf einen Stuhl. Sein Gesicht war grauwei?. Der Mund stand offen.

»Jotte doch!« sagte eine der Huren, eine volle schwarze Person mit glattem Haar und niedriger Stirn,»hol mal einer 'n Becher Wasser.«

Ich wunderte mich, wie wenige Leute sich um den Ohnmachtigen kummerten. Die meisten sahen nur fluchtig hin, dann wandten sie sich wieder den Wetten zu. »Kommt alle Augenblicke vor«, sagte Gustav. »Arbeitslose. Verwetten jeden Pfennig. Lauern immer auf das ganz gro?e Geld, tausend zu zehn.«

Der Kutscher kam aus der Zigarrenabteilung mit einem Glas Wasser. Die schwarze Hure tauchte ihr Taschentuch hinein und wischte dem Mann damit uber die Stirn und die Schlafen. Er seufzte und offnete plotzlich die Augen. Es hatte etwas Unheimliches, wie sie auf einmal lautlos wieder da waren in dem ganz erloschenen Gesicht – so, als blickte neugierig und kalt ein anderes, unbekanntes Wesen durch die Schlitze einer starren, grauwei?en Maske.

Das Madchen nahm das Glas Wasser und gab dem Mann zu trinken. Es hielt ihn dabei wie ein Kind im Arm. Dann langte sie dem teilnahmslosen Esser mit den hochstehenden Haaren ein Brotchen vom Tisch. »Komm, i? mal – aber langsam, langsam – bei? mir nicht den Finger ab -; so, und nun trink wieder…«

Der Mann am Tisch schielte seinem Brotchen nach, sagte aber nichts. Der andere bekam langsam wieder Farbe. Er a? noch eine Weile, dann taumelte er hoch. Das Madchen stutzte ihn bis zur Tur. Dann warf sie rasch einen Blick zuruck und knipste ihre Handtasche auf. »Da, nun hau ab und fri? lieber, statt zu wetten.«

Einer der Zuhalter, der ihr die ganze Zeit den Rucken gekehrt hatte, drehte sich um. Er hatte ein Raubvogelgesicht mit abstehenden Ohren und trug Lackschuhe und eine Sportmutze.

»Was hast du ihm gegeben?« fragte er.

»Groschen.«

Er stie? sie mit dem Ellbogen vor die Brust. »Wird schon mehr gewesen sein! Nachstens fragste mich.«

»Mach's halblang, Ede«, sagte ein anderer. Die Hure holte ihre Puderdose heraus und malte sich die Lippen. »Ist doch wahr«, sagte Ede.

Die Hure erwiderte nichts.

Das Telefon klingelte. Ich beobachtete Ede und pa?te nicht auf. »Das nennt die Welt Schwein!« horte ich plotzlich Gustav schmettern,»Herrschaften, das ist schon mehr als Schwein, das ist eine Riesenmuttersau mit zwanzig Ferkeln!« Er schlug mir auf die Schulter. »Hundertachtzig Eier hast du getrudelt, Mann Gottes! Dein Hottehuh mit dem komischen Namen hat's gemacht!«

»Was, tatsachlich?« fragte ich.

Der Mann mit der zerkauten Brasilzigarre und dem farbenprachtigen Hemd nickte sauer und nahm mir meinen Zettel ab. »Wer hat Ihnen den Tip gegeben?«

»Ich«, sagte Bieling eilig mit einem schrecklich demutigen, erwartungsvollen Lacheln und drangte sich mit einer Verbeugung vor. »Ich, wenn Sie gestatten – meine Beziehungen…«

»Na, Mensch…« Der Chef sah ihn gar nicht an und zahlte mir das Geld aus. Einen Augenblick entstand vollige Stille im ganzen Raum. Alles sah zu. Sogar der unentwegte Esser hob den Kopf.

Ich steckte die Scheine ein. »Aufhoren!« flusterte Bieling. »Aufhoren!« Er hatte rote Flecke im Gesicht. Ich schob ihm zehn Mark in die Hand. Gustav schmunzelte und boxte mich in die Rippen. »Siehst du, was habe ich dir gesagt! Mu?t nur auf Gustav horen, dann scheffelst du Geld!«

Ich vermied es, den ehemaligen Sanitatsgefreiten an Gipsy II zu erinnern. Es fiel ihm gleich darauf auch wohl selber ein. »Wollen losgehen«, sagte er,»ist heute kein richtiger Tag fur Kunstler.«

An der Tur zupfte mich jemand am Armel. Es war das Flei?ige Lieschen. »Was wurden Sie beim Maslowski- Gedachtnisrennen tippen?« fragte er mit gierigem Respekt.

»Nur o Tannenbaum«, sagte ich und ging mit Gustav in die nachste Kneipe, um auf die Gesundheit von L'heure bleue ein Glas zu trinken.

Eine Stunde spater hatte ich drei?ig Mark wieder verloren. Ich hatte es doch nicht lassen konnen. Aber dann horte ich auf. Bieling steckte mir beim Fortgehen einen Zettel zu. »Wenn Sie mal irgendwas brauchen! Oder Ihre Bekannten.

Ich habe die Vertretung.« Es war eine Reklame fur Heimkinos. »Ich vermittle auch den Verkauf getragener Garderobe«, rief er mir noch nach. »Barzahlung!«

Um sieben Uhr fuhr ich in die Werkstatt zuruck. Karl stand auf dem Hof und rohrte. »Gut, da? du kommst, Robby«, rief Koster,»wir wollen gerade 'raus und ihn ausprobieren! Steig ein.«

Die ganze Firma stand erwartungsvoll bereit. Otto hatte an Karl einiges verbessert und geandert, weil er in vierzehn Tagen mit ihm zu einem Bergrennen starten wollte. Jetzt sollte die erste Probefahrt erfolgen.

Wir stiegen ein. Jupp sa? neben Koster, seine machtige Rennbrille vor dem Gesicht. Ihm ware das Herz gebrochen, wenn er nicht mitgekonnt hatte. Lenz und ich setzten uns nach hinten.

Karl stob davon. Wir erreichten die lange Ausfallstra?e und gingen auf hundertvierzig Kilometer. Lenz und ich buckten uns dicht auf die Lehnen der Vordersitze; es war ein Wind, da? man meinte, der Kopf wurde einem weggerissen. Die Pappeln zu beiden Seiten der Stra?e sturzten voruber, die Reifen pfiffen, und der wunderbare Ton des Motors ging uns wie der wilde Schrei der Freiheit durch alle Knochen. Eine Viertelstunde spater sahen wir vor uns einen schwarzen Punkt, der rasch gro?er wurde. Es war ein ziemlich schwerer Wagen, der eine Geschwindigkeit von ungefahr achtzig bis hundert Kilometern hatte. Er lag nicht besonders gut auf der Stra?e, sondern schwanzelte hin und her. Die Strecke war ziemlich schmal. Koster ging deshalb mit dem Tempo herunter. Als wir auf hundert Meter heran waren und hupen wollten, sahen wir plotzlich auf einem Seitenweg von rechts einen Motorradfahrer herankommen, der gleich darauf hinter einer Hecke vor der Kreuzung verschwand. »Verflucht! Das gibt was!« rief Lenz.

Im selben Augenblick sahen wir den Motorradfahrer auf der Stra?e auftauchen, zwanzig Meter vor dem Wagen. Er hatte wahrscheinlich dessen Tempo unterschatzt und versuchte deshalb jetzt, im Bogen vorher noch vorbeizukommen. Der Wagen ruckte scharf nach links, um so auszuweichen, aber das Motorrad rutschte jetzt ebenfalls nach links heruber. Der Wagen wurde wieder nach rechts gerissen und streifte mit dem Kotflugel das Motorrad, das herumflog. Der Fahrer sturzte vornuber auf die Stra?e. Der Wagen schleuderte, kam nicht wieder in die Bahn, ri? den Wegweiser um, knickte eine Laterne ab und prallte mit knatterndem Getose gegen einen Baum.

Das alles geschah in wenigen Sekunden. Im nachsten Augenblick waren wir mit unserm immer noch hohen Tempo heran, die Reifen knirschten, Koster warf Karl wie ein Pferd zwischen dem Motorradfahrer, dem Rad und dem querstehenden, dampfenden Wagen hindurch, er beruhrte links fast die Hand des Gesturzten und rechts das Heck des Wagens, dann brullte der Motor auf, zwang Karl wieder in die Gerade, die Bremsen kreischten, und es wurde still. »Gut gemacht, Otto«, sagte Lenz.

Wir liefen zuruck und rissen die Turen des Wagens auf. Der Motor lief noch. Koster griff zum Schaltbrett und zerrte den Schlussel heraus. Das Keuchen der Maschine erstarb, und wir horten Stohnen.

Samtliche Scheiben der schweren Limousine waren zersplittert. Im Halbdunkel des Innern sahen wir das

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