Er nickte und gab mir die Hand.

Ich ging. Der Weg zur Tur erschien mir sehr weit.

Drau?en blieb ich stehen. Ich merkte, da? ich die Briefe noch in der Hand hatte. Der Regen klatschte auf das Papier. Ich wischte die Briefe ab und steckte sie in die Brusttasche. Dann sah ich mich um. Ein Omnibus hielt gerade vor dem Hause. Er war voll besetzt, und ein Schwarm von Leuten drangte hinaus. Ein paar Madchen in schwarzen, glanzenden Regenmanteln lachten mit dem Schaffner. Er war jung, und die wei?en Zahne blitzten in seinem braunen Gesicht. Das geht doch nicht, dachte ich, das kann doch alles nicht stimmen! So viel Leben, und Pat mu? fort!

Der Omnibus fuhr klingelnd ab. Seine Rader spritzten eine Garbe Wasser uber den Burgersteig. Ich ging weiter, um Koster Bescheid zu sagen und die Fahrkarten zu besorgen.

Mittags kam ich nach Hause. Ich hatte alles erledigt und auch dem Sanatorium schon telegrafiert. »Pat«, sagte ich noch in der Tur,»kannst du bis heute abend alles gepackt haben?«

»Mu? ich fort?«

»Ja«, sagte ich. »Ja, Pat.«

»Allein?«

»Nein. Wir fahren zusammen. Ich bringe dich hin.«

Ihr Gesicht bekam wieder Farbe. »Wann mu? ich fertig sein?« fragte sie.

»Der Zug fahrt heute abend um zehn.«

»Und gehst du jetzt noch einmal fort?«

»Nein. Ich bleibe hier, bis wir wegfahren.«

Sie atmete tief. »Dann ist es ganz einfach, Robby«, sagte sie. »Wollen wir gleich anfangen?«

»Wir haben noch Zeit.«

»Ich mochte gleich anfangen. Dann ist es fertig.«

»Gut.«

Ich verstaute die paar Sachen, die ich mitnehmen wollte, rasch und war in einer halben Stunde fertig. Dann ging ich zu Frau Zalewski hinuber und sagte ihr, da? wir abends reisen wurden. Ich machte mit ihr ab, da? das Zimmer zum ersten November frei wurde, wenn sie es nicht fruher vermieten konnte. Sie wollte ein langes Gesprach beginnen, aber ich ging rasch wieder zuruck.

Pat kniete vor ihrem Schrankkoffer, rundum hingen ihre Kleider, auf dem Bett lag Wasche, und sie packte gerade ihre Schuhe ein. Ich erinnerte mich daran, da? sie auch so gekniet hatte, als sie in dieses Zimmer eingezogen war und ausgepackt hatte, und mir schien, als ware das endlos lange her und doch eigentlich erst gestern gewesen. Sie sah auf. »Nimmst du das silberne Kleid auch mit?« fragte ich.

Sie nickte. »Was machen wir nur mit all den andern Sachen, Robby? Mit den Mobeln?«

»Ich habe schon mit Frau Zalewski gesprochen. Soviel ich kann, nehme ich in mein Zimmer hinuber. Das ubrige geben wir einer Speditionsfirma zum Aufbewahren. Da holen wir es dann wieder ab, wenn du zuruckkommst.«

»Wenn ich zuruckkomme«, sagte sie.

»Ja«, erwiderte ich,»im Fruhling, wenn du braun von der Sonne zuruckkommst.«

Ich half ihr packen, und nachmittags, als es schon dunkel drau?en wurde, waren wir fertig. Es war sonderbar: die Mobel standen alle noch am gleichen Platz, nur die Schranke und Schubladen waren geleert, und trotzdem erschien das Zimmer plotzlich kahl und traurig. Pat setzte sich auf ihr Bett. Sie sah mude aus. »Soll ich Licht machen?« fragte ich.

Sie schuttelte den Kopf. »La? es noch etwas so.«

Ich setzte mich neben sie. »Willst du eine Zigarette?«

»Nein, Robby. Nur ein bi?chen so sitzen.«

Ich stand auf und ging zum Fenster. Drau?en brannten die Laternen unruhig im Regen. Der Wind wuhlte in den Baumen. Unten ging Rosa langsam voruber. Ihre hohen Stiefel glanzten. Sie trug ein Paket unter dem Arm und war auf dem Wege zum International. Wahrscheinlich hatte sie ihr Strickzeug bei sich, um fur ihre Kleine wollene Sachen zu stricken. Ihr folgten Fritzi und Marion, beide in neuen wei?en, enganliegenden Regenmanteln, und nach einer Weile schlich Mimi, abgerissen und mude, hinter ihnen her.

Ich drehte mich um. Es war jetzt so dunkel geworden, da? ich Pat nicht mehr sehen konnte. Ich horte sie nur atmen. Langsam und trube begannen hinter den Baumen des Friedhofs die Lichtreklamen emporzuklettern. Die rote Leuchtschrift der Zigarettenreklame zog wie ein buntes Ordensband uber die Hausdacher dahin, die blauen und smaragdgrunen Kreise der Weinfirmen begannen zu spruhen, und die hellen Konturen der Waschereklame leuchteten auf. Ihr Licht warf einen matten, verschwommenen Schein durch die Fenster auf die Wande und die Decke. Er wanderte hin und her, und das Zimmer erschien plotzlich wie eine verlorene, kleine Taucherglocke auf dem Grunde des Meeres, um die die Regenwellen rauschten und zu der aus weiter Ferne noch ein schwacher Abglanz der bunten Welt herabdrang.

Es war acht Uhr abends. Drau?en rohrte ein Klaxon. »Das ist Gottfried mit dem Taxi«, sagte ich,»er will uns zum Essen abholen.«

Ich stand auf, ging zum Fenster und rief hinunter, da? wir kamen. Dann knipste ich die kleine Tischlampe an und ging in mein Zimmer. Es war mir verflucht fremd. Ich holte die Rumflasche und trank rasch ein Glas. Dann setzte ich mich in den Sessel und starrte auf die Tapete. Nach einer Weile stand ich wieder auf und ging zum Waschtisch, um mir die Haare zu bursten. Ich verga? es daruber, weil ich im Spiegel plotzlich mein Gesicht sah. Kalt und neugierig betrachtete ich es. Ich verzog die Lippen und grinste es an. Es grinste gespannt und bla? zuruck. »Du«, sagte ich lautlos. Dann ging ich zu Pat zuruck.

»Wollen wir los, alter Bursche?« fragte ich.

»Ja«, sagte sie,»aber ich will noch einmal in dein Zimmer gehen.«

»Warum?« erwiderte ich. »Die alte Bude…«

»Bleib du hier«, sagte sie. »Ich komme gleich wieder.«

Ich wartete eine Zeitlang, dann ging ich hinuber. Sie stand in der Mitte des Zimmers und fuhr zusammen, als sie mich erblickte. Ich hatte sie noch nie so gesehen. Sie war ganz ausgeloscht. Es war nur eine Sekunde, dann lachelte sie wieder.

»Komm«, sagte sie. »Jetzt wollen wir gehen.«

An der Kuche erwartete uns Frau Zalewski. Ihre grauen Lockchen wogten, und sie trug die Brosche mit dem seligen Zalewski auf dem schwarzen Seidenkleid. »Fassung!« flusterte ich Pat zu,»sie wird dich umarmen.«

Im nachsten Moment verschwand Pat bereits an dem ungeheuren Busen. Das gewaltige Gesicht uber ihr zuckte. Es handelte sich nur noch um Sekunden, und Pat ware unabsehbar uberschwemmt worden; wenn Mutter Zalewski weinte, dann standen ihre Augen unter Druck wie Syphonflaschen.

»Entschuldigen Sie«, sagte ich,»wir mussen eiligst los! Es ist hochste Zeit!«

»Hochste Zeit?« Frau Zalewski ma? mich mit einem vernichtenden Blick. »Der Zug geht erst in zwei Stunden! Inzwischen wollen Sie das arme Kind doch wahrscheinlich nur betrunken machen!«

Pat mu?te lachen. »Nein, Frau Zalewski. Wir wollen uns noch von den andern verabschieden.«

Mutter Zalewski schuttelte unglaubig den Kopf. »Sie sehen bei diesem jungen Mann in einen goldenen Topf, Fraulein Hollmann. Dabei ist er allerhochstens eine goldene Schnapsflasche.«

»Ein schones Bild«, sagte ich.

»Mein Kind…«, Frau Zalewski wurde wieder von Ruhrung gepackt. »Kommen Sie bald wieder! Ihr Zimmer ist immer fur Sie da. Und wenn der Kaiser selbst darin wohnte, er mu?te 'raus, wenn Sie kommen!«

»Danke schon, Frau Zalewski«, sagte Pat. »Vielen Dank fur alles. Auch fur das Kartenlegen. Ich werde mir alles merken.«

»Das ist schon. Und erholen Sie sich gut, und werden Sie ganz gesund!«

»Ja«, erwiderte Pat,»ich werde es versuchen. Auf Wiedersehen, Frau Zalewski. Auf Wiedersehen, Frida.«

Wir gingen. Die Korridortur klappte hinter uns zu. Im Treppenhaus war es halbdunkel; ein paar elektrische Birnen waren ausgebrannt. Pat schwieg, wahrend sie leise und weich die Treppen hinunterstieg. Ich hatte das Gefuhl, als ware ein Urlaub zu Ende und wir gingen jetzt im grauen Morgen zum Bahnhof, um an die Front zu fahren.

Lenz offnete die Tur zum Taxi. »Vorsicht!« sagte er.

Der Wagen war voller Rosen. Zwei riesige Busche wei?er und roter Bluten lagen auf den hinteren Sitzen. Ich

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