erkannte sofort, woher sie kamen – aus dem Domgarten. »Die letzten«, erklarte Gottfried selbstzufrieden. »Haben eine gewisse Muhe gekostet. Mu?te mit einem Pfarrer langere Zeit daruber diskutieren.«

»War das einer mit so hellen blauen Kinderaugen?« fragte ich.

»Aha, also du warst das, Bruder!« erwiderte Gottfried. »Von dir hat er mir also erzahlt. Der Mann war machtig enttauscht, als er merkte, was es mit dem Kreuzwegbeten auf sich hatte. Er hatte schon geglaubt, die Frommigkeit der mannlichen Bevolkerung nahme wieder zu.«

»Hat er dich denn mit den Blumen so losziehen lassen?« fragte ich.

»Er lie? mit sich reden. Zuletzt hat er mir sogar geholfen zu pflucken.«

Pat lachte. »Ist das wahr?«

Gottfried schmunzelte. »Naturlich. Es sah fabelhaft aus, wie der geistliche Herr im Halbdunkel nach den hochsten Zweigen sprang. Er entwickelte direkt Sportgeist. Erzahlte mir, da? er fruher auf dem Gymnasium guter Fu?ballspieler war. Rechter Innensturmer, glaube ich.«

»Du hast einen Pastor zum Diebstahl verleitet«, sagte ich. »Das kostet ein paar hundert Jahre Holle. Aber wo ist Otto?«

»Der ist schon bei Alfons. Wir gehen doch zu Alfons essen?«

»Ja, naturlich«, sagte Pat.

»Also los!«

Es gab bei Alfons gespickten Hasen mit Rotkohl und geschmorten Apfeln. Hinterher spielte er zum Abschlu? auf seinem Grammophon einen Chor der Donkosaken. Es war ein sehr leises Lied, bei dem der Chor nur gedampft wie eine ferne Orgel brummte, wahrend eine einsame, klare Stimme daruber schwebte. Mir schien, als ginge lautlos die Tur auf und ein alter, muder Mann trate herein, setzte sich schweigend an einen Tisch und lauschte dem Lied seiner Jugend.

»Kinder«, sagte Alfons, als der Chor immer leiser und leiser geworden war, bis er schlie?lich wie ein Seufzer verhauchte,»Kinder, wi?t ihr, woran ich immer denken mu?, wenn ich das hore? An Ypern 1917, Gottfried, damals im Marz, an den einen Abend mit Bertelsmann…«

»Ja«, sagte Lenz,»ich wei? es noch, Alfons. Es war der Abend mit den Kirschbaumen…«

Alfons nickte.

Koster stand auf. »Ich glaube, es wird Zeit.« Er sah nach der Uhr.

»Ja, wir mussen los.«

»Noch einen Kognak«, sagte Alfons. »Von dem echten Napoleon! Habe ihn doch extra fur euch mitgebracht!«

Wir tranken den Kognak, dann brachen wir auf.

»Auf Wiedersehen, Alfons!« sagte Pat. »Ich bin immer so gern hier gewesen.« Sie gab ihm die Hand.

Alfons wurde rot. Er hielt ihre Hand fest zwischen seinen beiden Pranken. »Also, wenn mal was ist – einfach nur Bescheid geben.« Er sah sie au?erst verlegen an. »Sie gehoren ja jetzt dazu. Hatte nie gedacht, da? eine Frau mal dazugehoren konnte.«

»Danke«, sagte Pat,»danke, Alfons. Sie hatten mir nichts Schoneres sagen konnen! Auf Wiedersehen und alles Gute!«

»Auf Wiedersehen! Bald!«

Koster und Lenz brachten uns zur Bahn. Vor unserm Hause hielten wir einen Augenblick, und ich holte den Hund herunter. Die Koffer hatte Jupp schon zum Bahnhof gebracht.

Wir kamen gerade rechtzeitig an. Kaum waren wir eingestiegen, da fuhr der Zug schon los. Als die Lokomotive anzog, griff Gottfried in die Tasche und reichte mir eine eingewickelte Flasche hinauf. »Hier, Robby, nimm das mal. So was kann man unterwegs immer gebrauchen.«

»Danke«, sagte ich,»trinkt sie heute abend selbst, Kinder. Ich habe schon was bei mir.«

»Nimm sie«, erwiderte Lenz,»man kann nie genug davon haben!« Er ging neben dem fahrenden Zug her und warf mir die Flasche zu. »Auf Wiedersehen, Pat!« rief er. »Wenn wir hier pleite sind, kommen wir alle zu Ihnen hinauf. Otto als Skilaufer, ich als Tanzlehrer, Robby als Klavierspieler. Dann bilden wir eine Truppe mit Ihnen und ziehen von Hotel zu Hotel!«

Der Zug wurde schneller, und Gottfried blieb zuruck. Pat lehnte aus dem Fenster und winkte, bis der Bahnhof hinter einer Kurve verschwand. Dann wandte sie sich um. Sie war sehr bla?, und ihre Augen glanzten feucht. Ich nahm sie in den Arm. »Komm«, sagte ich,»jetzt trinken wir was. Du hast dich gro?artig gehalten.«

»Mir ist aber gar nicht gro?artig zumute«, erwiderte sie mit einem Versuch zu lacheln.

»Mir auch nicht«, sagte ich. »Deshalb wollen wir ja was trinken.«

Ich machte die Flasche auf und gab ihr einen Becher Kognak. »Gut?« fragte ich.

Sie nickte und lehnte sich an meine Schulter. »Ach, Liebling, was soll das alles werden?«

»Du mu?t nicht weinen«, sagte ich. »Ich war so stolz, da? du nicht geweint hast, den ganzen Tag.«

»Ich weine ja gar nicht«, erwiderte sie und schuttelte den Kopf, und die Tranen liefen ihr uber das schmale Gesicht.

»Komm, trink noch etwas«, sagte ich und hielt sie fest. »Es ist nur immer der erste Moment, dann wird es schon besser.«

Sie nickte. »Ja, Robby. Du mu?t dich auch gar nicht darum kummern. Es ist gleich vorbei, und es ist besser, wenn du es gar nicht siehst. La? mich nur ein paar Minuten hier allein sitzen, dann werde ich schon damit fertig.«

»Warum denn? Du warst den ganzen Tag so tapfer, da kannst du jetzt ruhig so viel weinen, wie du willst.«

»Ich war gar nicht tapfer. Du hast es nur nicht gemerkt.«

»Vielleicht«, sagte ich,»aber das war es dann gerade.«

Sie versuchte zu lacheln. »Warum denn eigentlich, Robby?«

»Weil man sich nicht ergibt.« Ich strich ihr uber das Haar. »Solange man sich nicht ergibt, ist man mehr als das Schicksal.«

»Bei mir ist es kein Mut, Liebling«, murmelte sie. »Bei mir ist es einfach nur Angst. Jammerliche Angst vor der gro?en, letzten Angst.«

»Das ist alles Mut, Pat.«

Sie lehnte sich an mich. »Ach, Robby, du wei?t ja gar nicht, was Angst ist.«

»Doch«, sagte ich.

Die Tur ging auf. Der Schaffner verlangte die Fahrkarten.

Ich gab sie ihm. »Ist die Schlafwagenkarte fur die Dame?« fragte er.

Ich nickte.

»Dann mussen Sie in den Schlafwagen gehen«, sagte er zu Pat. »Die Karte gilt nicht fur die ubrigen Abteile.«

»Gut.«

»Und der Hund mu? in den Packwagen«, erklarte er. »Das Hundeabteil ist im Packwagen.«

»Schon«, sagte ich. »Wo ist denn der Schlafwagen?«

»Rechts der dritte Wagen. Der Packwagen ist ganz vorn.«

Er ging. Auf seiner Brust baumelte eine kleine Laterne.

Das sah aus, als ginge er durch die Schachte eines Bergwerks.

»Dann wollen wir mal umziehen, Pat«, sagte ich. »Billy schmuggle ich schon zu dir 'rein. Der hat im Packwagen nichts zu suchen.«

Ich hatte fur mich keinen Schlafwagenplatz genommen. Es machte mir nichts, in einer Abteilecke die Nacht zu verbringen. Au?erdem war es billiger.

Jupp hatte Pats Gepack schon in den Schlafwagen gebracht. Das Abteil war ein hubscher, kleiner, mit Mahagoniholz getafelter Raum. Pat hatte das untere Bett. Ich fragte den Schaffner, ob auch das obere belegt sei.

»Ja«, sagte er,»ab Frankfurt.«

»Wann sind wir in Frankfurt?«

»Um halb drei.«

Ich gab ihm ein Trinkgeld, und er ging in seine Wagenecke zuruck.

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