gewesen ware.

Ein Schrei weckte mich aus meinem Dahinbruten. Rosa war aus ihren Traumen aufgefahren. Sie stand hinter dem Tisch, der Hut war schief gerutscht, die Augen waren weit aufgerissen, und langsam, ohne da? sie es merkte, lief der Kaffee aus ihrer umgeworfenen Tasse den Tisch herunter in ihre aufgeklappte Handtasche. »Arthur!« stammelte sie,»Arthur, bist du's wirklich?«

Ich horte auf zu spielen. Ein Mann war eingetreten, hager, mit schlenkrigen Bewegungen, eine Melone weit hinten auf dem Kopf. Er hatte eine gelbe, ungesunde Gesichtsfarbe, eine gro?e Nase und einen zu kleinen, eiformigen Kopf.

»Arthur«, stammelte Rosa immer noch. »Du?«

»Na, wer sonst?« knurrte Arthur.

»Mein Gott, wo kommst du her?«

»Wo soll ich denn herkommen? Von der Stra?e durch die Tur.«

Arthur war dafur, da? er nach so langer Zeit heimkehrte, nicht besonders liebenswurdig. Ich betrachtete ihn neugierig. Das also war das sagenhafte Idol Rosas, der Vater ihres Kindes. Er sah aus, als kame er frisch aus dem Gefangnis. Ich konnte gar nichts an ihm entdecken, was einen Anhaltspunkt fur Rosas Affenliebe gegeben hatte. Aber vielleicht war es das gerade. Es war sonderbar, auf was diese diamantharten Mannerkennerinnen hereinfielen.

Arthur griff, ohne jemand zu fragen, nach einem vollen Glas Bier, das in der Nahe Rosas auf dem Tisch stand, und trank es aus. Der Adamsapfel seines dunnen, sehnigen Halses stieg dabei wie ein Fahrstuhl hinauf und herunter. Rosa schaute ihm strahlend zu.

»Willst du noch eins?« fragte sie.

»Naturlich«, brummte Arthur. »Aber gro?er.«

»Alois!« Rosa winkte glucklich dem Kellner. »Er will noch ein Bier!«

»Seh' ich«, erklarte Alois ungeruhrt und zapfte ab.

»Und das Kleine! Arthur, du hast Klein-Elvira ja noch gar nicht gesehen!«

»Du!« Arthur wurde zum erstenmal lebhafter. Er hob die Hand abwehrend in Brusthohe. »Damit meckere mich nicht an! Das geht mich nischt an! Ich wollte dir den Balg wegmachen lassen. War' auch weggekommen, wenn ich nicht…« Er versank in trubes Nachsinnen. »Jetzt kostet der naturlich und kostet.«

»Ist nicht so schlimm, Arthur. Und dann ist's ein Madchen.«

»Kostet auch«, sagte Arthur und go? das zweite Bier hinter den Kragen. »Vielleicht findet man mal so ein verrucktes, reiches Weib, das es als Kind annimmt. Gegen 'ne anstandige Abfindung naturlich. Ware das einzige.«

Er erwachte aus seinen Uberlegungen. »Hast du cash bei dir?«

Rosa holte dienstfertig ihre kaffeebeschmierte Handtasche hervor.

»Funf Mark nur, Arthur, ich konnte ja nicht ahnen, da? du kommst, aber zu Hause hab' ich mehr.«

Arthur lie? das Silber wie ein Pascha in die Westentasche gleiten.

»Kannst auch nichts verdienen, wenn du hier mit dem Hintern im Sofa sitzt«, murrte er mi?mutig.

»Ich geh' ja schon, Arthur. Aber jetzt ist doch nicht viel los. Abendbrotzeit.«

»Kleinvieh macht auch Mist«, erklarte Arthur.

»Ich geh' schon.«

»Na…«, Arthur tippte an die Melone. »Ich komme so um zwolf wieder vorbei.«

Er stakste mit seinen schlenkrigen Bewegungen davon. Rosa blickte ihm selig nach. Er sah sich nicht um und lie? die Tur hinter sich offen. »Kamel«, fluchte Alois und schlo? die Tur.

Rosa schaute uns stolz an. »Ist er nicht fabelhaft? Den kriegt nichts weich. Wo er wohl die ganze Zeit gesteckt haben mag?«

»Das siehst du doch an der Haut«, erwiderte Wally. »In Nummer Sicher. Ein Ekel mit Eichenlaub und Schwertern!«

»Du kennst ihn nicht…«

»Hab' schon genug«, sagte Wally.

»Das verstehst du nicht.« Rosa stand auf. »Ein richtiger Mann ist das. Nicht so ein Tranenbruder. Na, dann will ich mal los. Servus, Kinder!«

Verjungt und beschwingt schaukelte sie hinaus. Jetzt war wieder einer da, dem sie ihr Geld abliefern durfte, damit er es versoff und sie hinterher verprugelte. Sie war glucklich.

Eine halbe Stunde spater gingen auch die andern. Nur Lilly blieb mit ihrem steinernen Gesicht sitzen. Ich klimperte noch etwas auf dem Klavier herum, dann a? ich ein Butterbrot und verschwand ebenfalls. Es war nicht lange auszuhalten, so allein mit Lilly.

Ich schlenderte durch die nassen, dunklen Stra?en. Am Friedhof hatte sich eine Abteilung der Heilsarmee aufgestellt. Sie sang mit Posaunen und Trompeten vom himmlischen Jerusalem. Ich blieb stehen. Ich hatte plotzlich das Gefuhl, da? ich es nicht aushalten konnte, allein, ohne Pat. Ich starrte auf die bleich schimmernden Steine des Friedhofs, ich sagte mir, da? ich vor einem Jahr doch viel mehr allein gewesen sei, da? ich Pat damals gar nicht gekannt hatte und da? sie doch jetzt da war, wenn sie auch nicht bei mir war, aber es half alles nichts – ich war plotzlich ganz verstort und ratlos. Schlie?lich ging ich in mein Zimmer hinauf, um nachzusehen, ob vielleicht Post von ihr da ware. Es war ganz unsinnig, denn es konnte noch' nichts dasein, und es war auch nichts da – aber ich ging trotzdem hinauf.

Als ich wieder fortging, traf ich Orlow an der Tur. Er trug einen Smoking unter dem offenen Mantel und wollte in sein Hotel zum Tanzdienst. Ich fragte ihn, ob er von Frau Hasse inzwischen was gehort hatte.

»Nein«, sagte er. »Sie ist noch nicht wieder dagewesen.

Auch auf der Polizei war sie nicht. Ist auch besser, wenn sie nicht wiederkommt.«

Wir gingen zusammen die Stra?e entlang. An der Ecke stand ein Lastauto mit Kohlensacken. Der Chauffeur hatte die Kuhlerhaube hochgeklappt und arbeitete am Motor herum. Dann kletterte er auf seinen Sitz. Gerade als wir voruberkamen, lie? er den Motor an und gab kraftig im Leerlauf Gas. Orlow zuckte zusammen. Ich sah ihn an. Er war schneewei? geworden. »Sind Sie krank?« fragte ich. Er lachelte mit blassen Lippen und schuttelte den Kopf. »Nein – aber ich erschrecke manchmal, wenn ich das da unvermutet hore. Als mein Vater in Ru?land erschossen wurde, lie? man drau?en auch den Motor eines Lastautos laufen, damit man die Schusse nicht so horte. – Wir horten sie trotzdem.«

Er lachelte wieder, als musse er sich entschuldigen. »Bei meiner Mutter machte man nicht so viele Umstande. Man erscho? sie fruhmorgens in einem Keller. Mein Bruder und ich konnten dann nachts fliehen. Wir hatten noch Diamanten. Aber mein Bruder erfror unterwegs.«

»Weshalb wurden Ihre Eltern erschossen?« fragte ich.

»Mein Vater war vor dem Kriege Kommandeur eines Kosakenregiments, das einen Aufstand unterdrucken half. Er wu?te, da? es so kommen wurde. Er fand es, wie man so sagt, ganz in Ordnung. Meine Mutter nicht.«

»Und Sie?«

Er machte eine mude, wegwischende Bewegung. »Es ist so viel geschehen seitdem.«

»Ja«, sagte ich,»das ist es. Mehr als man verarbeiten kann.«

Wir waren vor dem Hotel angekommen, in dem er arbeitete. Eine Dame stieg gerade aus einem Buick und sturzte mit freudigem Geschrei auf ihn zu. Sie war ziemlich dick und elegant und hatte das verwaschene Gesicht einer vierzigjahrigen Blondine, die nie Sorgen und Gedanken gekannt hat. »Entschuldigen Sie«, sagte Orlow mit einem kaum merkbaren Blick,»das Geschaft…«

Er verbeugte sich vor der Blondine und ku?te ihr die Hand.

In der Bar waren Valentin, Koster und Ferdinand Grau, Lenz kam etwas spater. Ich setzte mich zu ihnen und bestellte mir eine halbe Flasche Rum. Ich fuhlte mich immer noch verdammt schlecht.

Ferdinand hockte in einer Ecke, breit und massig, mit verfallenem Gesicht und ganz klaren blauen Augen. Er hatte schon allerlei getrunken. »Na, kleiner Robby«, sagte er und schlug mir auf die Schulter,»was ist mit dir los?«

»Nichts, Ferdinand«, erwiderte ich,»das ist ja gerade das Schlimme.«

Er betrachtete mich eine Weile. »Nichts?« sagte er dann,»nichts? Das ist viel! Das Nichts ist der Spiegel, in dem man die Welt erkennt.«

»Bravo!« rief Lenz. »Unerhort originell, Ferdinand!«

»Sei du ruhig, Gottfried.« Ferdinand wandte ihm seinen machtigen Schadel zu. »Ein Romantiker wie du ist nur

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