Der Schein eines kleinen, traurigen Lachelns huscht uber ihr Gesicht.

»Das ist das erstemal, da? jemand freundlich zu mir ist, seit es passiert ist. Nicht einmal meine Tochter – sie sagt, die Schande -«

Sie wischt sich die Tranen ab. Ich bin sehr verlegen und komme mir vor wie der Schauspieler Gaston Munch als Graf Trast in der»Ehre«von Sudermann im Stadttheater. Um mir zu helfen, gie?e ich mir, als sie gegangen ist, einen Schluck Korn ein. Dann erinnere ich mich, da? Georg immer noch nicht von seiner Besprechung mit Riesenfeld auf der Bank zuruck ist, und ich werde mi?trauisch gegen mich selbst; vielleicht habe ich das mit der Frau nur getan, um Gott zu bestechen. Eine gute Tat gegen die andere – eine Grabeinfassung und eine Inschrift gegen ein Dreimonatsakzept Riesenfelds und eine fette Ladung Granit. Das frischt mich so auf, da? ich einen zweiten Schnaps trinke. Dann sehe ich drau?en am Obelisken die Spuren des Feldwebels Knopf, hole einen Eimer Wasser, um sie wegzuschwemmen, und ver?uche ihn laut. Knopf aber schlaft in seiner Kammer den Schlaf des Gerechten.

»Nur sechs Wochen«, sage ich enttauscht.

Georg lacht.»Ein Akzept auf sechs Wochen ist nicht zu verachten. Die Bank wollte nicht mehr geben. Wer wei?, wie hoch der Dollar dann schon steht! Dafur hat Riesenfeld versprochen, in vier Wochen wieder vorbeizukommen. Dann konnen wir einen neuen Abschlu? machen.«

»Glaubst du das?«

Georg zuckt die Achseln.»Warum nicht? Vielleicht zieht Lisa ihn wieder her. Er schwarmte auf der Bank noch von ihr wie Petrarca von Laura.«

»Gut, da? er sie nicht bei Tage und aus der Nahe gesehen hat.«

»Das ist bei vielen Dingen gut.«Georg stutzt und sieht mich an.»Wieso bei Lisa? So schlecht sieht sie wahrhaftig nicht aus!«

»Sie hat morgens manchmal schon ganze nette Sacke unter den Augen. Und romantisch ist sie bestimmt nicht. Sie ist ein robuster Feger.«

»Romantisch!«Georg grinst verachtlich.»Was hei?t das schon!

Es gibt viele Sorten von Romantik. Und Robustheit hat auch ihre Reize!«

Ich sehe ihn scharf an. Sollte er etwa selbst ein Auge auf Lisa geworfen haben? Er ist merkwurdig verschwiegen in seinen personlichen Angelegenheiten.»Riesenfeld versteht unter Romantik bestimmt ein Abenteuer in der gro?en Welt«, sage ich.»Nicht eine Affare mit der Frau eines Pferdemetzgers.«

Georg winkt ab.»Was ist der Unterschied? Die gro?e Welt benimmt sich heute oft vulgarer als ein Pferdemetzger.«

Georg ist unser Fachmann fur die gro?e Welt. Er halt das Berliner Tageblatt und liest es hauptsachlich, um den Nachrichten uber Kunst und Gesellschaft zu folgen. Er ist ausgezeichnet informiert. Keine Schauspielerin kann heiraten, ohne da? er es wei?; jede wichtige Scheidung in der Aristokratie ist mit Diamanten in sein Gedachtnis eingeritzt. Er verwechselt nichts, selbst nicht nach drei, vier Ehen; es ist, als fuhre er Buch daruber. Er kennt alle Theaterauffuhrungen, liest die Kritiken, wei? uber die Gesellschaft am Kurfurstendamm Bescheid, und nicht nur das: er verfolgt auch das internationale Leben, die gro?en Stars und die Koniginnen der Gesellschaft – er liest Filmmagazine, und ein Bekannter in England schickt ihm manchmal den»Tatler«und ein paar andere elegante Zeitschriften. Das verklart ihn dann fur Tage. Er selbst ist nie in Berlin gewesen, und im Ausland nur als Soldat, im Kriege in Frankreich. Er ha?t seinen Beruf, aber er mu?te ihn nach dem Tode seines Vaters ubernehmen; Heinrich war zu einfaltig dafur. Die Zeitschriften und Bilder helfen ihm etwas uber die Enttauschungen hinweg; sie sind seine Schwache und seine Erholung.

»Eine vulgare Dame der gro?en Welt ist etwas fur erlesene Kenner«, sage ich.»Nicht fur Riesenfeld. Dieser gu?eiserne Satan hat eine mimosenhafte Phantasie.«

»Riesenfeld!«Georg zieht eine geringschatzige Grimasse. Der Herrscher der Odenwaldwerke mit seiner ober?achlichen Lust auf franzosische Damen ist fur ihn ein trostloser Emporkommling. Was wei? dieser wildgewordene Kleinburger schon uber den deliziosen Skandal bei der Ehescheidung der Gra?n Homburg? Oder uber die letzte Premiere der Elisabeth Bergner? Er kennt nicht einmal die Namen! Georg aber wei? den Gotha und das Kunstler-Lexikon fast auswendig.»Wir mu?ten Lisa eigentlich einen Blumenstrau? schicken«, sagt er.»Sie hat uns geholfen, ohne da? sie es wei?.«

Ich sehe ihn wieder scharf an.»Das tu nur selber«, erwidere ich.»Sage mir lieber, ob Riesenfeld ein allseitig poliertes Kreuzdenkmal in die Bestellung hineingeschmissen hat.«

»Zwei. Das zweite verdanken wir Lisa. Ich habe ihm gesagt, wir wurden es so aufstellen, da? sie es immer sehen konne. Ihm schien etwas daran zu liegen.«

»Wir konnen es hier im Buro ans Fenster stellen. Es wird morgens, wenn sie aufsteht, und wenn die Sonne es bescheint, einen starken Eindruck auf sie machen. Ich konnte Memento mori in Gold draufpinseln. Was gibt es heute bei Eduard?«

»Deutsches Beefsteak.«

»Gehacktes Fleisch also. Warum ist zerhacktes Fleisch deutsch?«

»Weil wir ein kriegerisches Volk sind und sogar im Frieden unsere Gesichter in Duellen zerhacken. Du riechst nach Schnaps. Warum? Doch nicht wegen Erna?«

»Nein. Weil wir alle sterben mussen. Mich erschuttert das manchmal noch, trotzdem ich es schon seit einiger Zeit wei?.«

»Das ist ehrenwert. Besonders in unserem Beruf. Wei?t du, was ich mochte?«

»Naturlich. Du mochtest Matrose auf einem Wal?schfanger sein; oder Koprahandler in Tahiti; oder Nordpolentdecker, Amazonasforscher, Einstein und Scheik Ibrahim mit einem Harem von Frauen zwanzig verschiedener Nationen, einschlie?lich der Zirkassierinnen, die so feurig sein sollen, da? man sie nur mit einer Asbestmaske umarmen kann.

»Das ist selbstverstandlich. Aber au?erdem mochte ich noch dumm sein; strahlend dumm. Das ist das gro?te Geschenk fur unsere Zeit.«

»Dumm wie Parzival?«

»Weniger erloserhaft. Glaubig, friedlich, gesund, bukolisch dumm.«

»Komm«, sage ich.»Du bist hungrig. Unser Fehler ist, da? wir weder wirklich dumm noch wirklich gescheit sind. Immer so dazwischen, wie Affen in den Asten. Das macht mude und manchmal traurig. Der Mensch mu? wissen, wohin er gehort.«

»Tatsachlich?«

»Nein«, erwidere ich.»Das macht ihn auch nur se?haft und dick. Aber wie ware es, wenn wir heute abend ins Konzert gingen, um fur die Rote Muhle einen Ausgleich zu schaffen? Es wird Mozart gespielt.«

»Ich lege mich heute abend fruh schlafen«, erklart Georg.»Das ist mein Mozart. Geh allein hin. Stelle dich mutig und einsam dem Ansturm des Guten. Es ist nicht ohne Gefahr und richtet mehr Zerstorungen an als schlichte Bosheit.«

»Ja«, sage ich und denke an die spatzenhafte Frau vom Vormittag.

Es ist spater Nachmittag. Ich lese die Familiennachrichten der Zeitungen und schneide die Todesanzeigen aus. Das gibt mir immer den Glauben an die Menschheit zuruck – besonders nach Abenden, an denen wir unsere Lieferanten oder Agenten bewirten mu?ten. Wenn es nach den Todesanzeigen ginge, ware der Mensch namlich absolut vollkommen. Es gibt da nur perfekte Vater, makellose Ehemanner, vorbildliche Kinder, uneigennutzige, sich aufopfernde Mutter, allerseits betrauerte Gro?eltern, Geschaftsleute, gegen die Franziskus von Assisi ein hemmungsloser Egoist gewesen sein mu?, gutetriefende Generale, menschliche Staatsanwalte, fast heilige Munitionsfabrikanten – kurz, die Erde scheint, wenn man den Todesanzeigen glaubt, von einer Horde Engel ohne Flugel bewohnt gewesen zu sein, von denen man nichts gewu?t hat. Liebe, die im Leben wahrhaftig nur selten rein vorkommt, leuchtet im Tode von allen Seiten und ist das hau?gste, was es gibt. Es wimmelt nur so von erstklassigen Tugenden, von treuer Sorge, von tiefer Frommigkeit, von selbstloser Hingabe, und auch die Hinterbliebenen wissen, was sich gehort – sie sind von Kummer gebeugt, der Verlust ist unersetzlich, sie werden den Verstorbenen nie vergessen – es ist erhebend, das zu lesen, und man konnte stolz sein, zu einer Rasse zu gehoren, die so noble Gefuhle hat.

Ich schneide die Todesanzeige des Backermeisters Niebuhr aus. Er wird als gutiger, treubesorgter, geliebter Gatte und Vater geschildert. Ich selbst habe Frau Niebuhr mit aufgelosten Flechten aus dem Hause ?iehen sehen,

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