»Was?«
»Klar doch! Wie ein Rasiermesser! Und warum auch nicht?«
Ich wei? nicht, was an einem Rasiermesser eifersuchtig sein kann; aber das Bild uberzeugt.»Wenn dein Mann eifersuchtig ist, wie kannst du dann abends dauernd verschwinden?«frage ich.
»Er schlachtet doch nachts. Das richte ich mir schon ein.«
»Und wenn er nicht schlachtet?«
»Dann habe ich eine Anstellung als Garderobiere in der Roten Muhle.«
»Tatsachlich?«
»Mann, bist du doof«, erwidert Lisa.»Wie mein Alter!«
»Und die Kleider und der Schmuck?«
»Alles billig und unecht.«Lisa grinst.»Glaubt jeder Ehemann glatt. Also hier, nimm das Grunzeug. Schick es an irgendein Milchkalb. Du siehst so aus, als ob du Blumen schicktest.«
»Da kennst du mich aber schlecht.«
Lisa wirft mir einen abgrundigen Blick uber ihre Schulter zu. Dann geht sie auf ihren schonen Beinen, die in schlampigen roten Pantoffeln stecken, uber die Stra?e zuruck. Einer der Pantoffeln ist mit einem Pompon geschmuckt; beim andern ist er abgerissen.
Die Rosen leuchten durch die Dammerung. Es ist ein erheblicher Strau?. Riesenfeld hat sich nicht lumpen lassen. Funfzigtausend Mark, schatze ich, sehe mich vorsichtig um, nehme sie dann wie ein Dieb an mich und gehe auf mein Zimmer.
Oben steht der Abend in blauem Mantel am Fenster. Die Bude ist voll von Re?exen und Schatten, und plotzlich schlagt die Einsamkeit wie mit Keulen aus dem Hinterhalt auf mich ein. Ich wei?, da? es Unsinn ist, ich bin nicht einsamer als ein Ochse in einer Herde Ochsen, aber was soll ich machen? Einsamkeit hat nichts mit Mangel an Gesellschaft zu tun. Mir fallt plotzlich ein, da? ich gestern vielleicht doch zu hastig mit Erna gewesen sein konnte. Es ware ja moglich gewesen, da? sich alles ganz harmlos aufgeklart hatte. Sie war zudem eifersuchtig, das sprach aus jedem ihrer Worte. Und Eifersucht ist Liebe, das wei? jeder.
Ich starre aus dem Fenster und wei?, da? Eifersucht nicht Liebe ist. Aber was hat das damit zu tun? Die Dammerung verdreht einem die Gedanken, und man soll mit Frauen nicht argumentieren, sagt Georg. Genau das aber habe ich getan! Voll Reue spure ich den Duft der Rosen, der das Zimmer in den Venusberg aus dem Tannhauser verwandelt. Ich merke, da? ich zerschmelze in All-Vergebung, All-Versohnung und Hoffnung. Rasch schreibe ich ein paar Zeilen, klebe den Brief zu, ohne ihn noch einmal zu lesen, und gehe ins Buro, um dort das Seidenpapier zu holen, in dem die letzte Sendung von Porzellanengeln angekommen ist. Ich wickle die Rosen hinein und gehe auf die Suche nach Fritz Kroll, dem jungsten Spro? der Firma. Er ist zwolf Jahre alt.»Fritz«, sage ich.»Willst du dir zwei Tausender verdienen?«
»Wei? schon«, erwidert Fritz.»Geben Sie her. Selbe Adresse?«»Ja.«
Er entschwindet mit den Rosen – der dritte klare Kopf heute abend. Alle wissen, was sie wollen, Kurt, Lisa, Fritz – nur ich habe keine Ahnung. Das mit Erna ist es auch nicht, das wei? ich im Moment, als ich Fritz nicht mehr zuruckrufen kann. Aber was ist es? Wo sind die Altare, wo die Gotter und wo die Opfer? Ich beschlie?e, doch zum Mozart-Konzert zu gehen – auch wenn ich allein bin und die Musik es noch schlimmer macht.
Die Sterne stehen hoch am Himmel, als ich zuruckkomme. Meine Schritte hallen durch die Gassen, und ich bin voll Erregung. Rasch offne ich die Tur zum Buro, schalte das Licht an und bleibe stehen. Da liegen die Rosen, und da liegt auch mein Brief, ungeoffnet, und daneben ein Zettel mit einer Botschaft von Fritz.»Die Dame sagt, Sie sollten sich begraben lassen. Gru?, Fritz.«
Sich begraben lassen. Ein sinniger Scherz! Da stehe ich, blamiert bis auf die Knochen, voll Beschamung und Wut. Ich stecke den Zettel in den kalten Ofen. Dann setzte ich mich in meinen Stuhl und brute vor mich hin. Meine Wut uberwiegt die Beschamung, wie immer, wenn man wirklich beschamt ist, und wei?, da? man es sein sollte. Ich schreibe einen neuen Brief, nehme die Rosen und gehe zur Roten Muhle.»Geben Sie dieses doch bitte Fraulein Gerda Schneider«, sage ich zu dem Portier.»Der Akrobatin.«
Der reichbetre?te Mann sieht mich an, als hatte ich ihm einen unsittlichen Antrag gemacht. Dann deutet er mit dem Dauern hoheitsvoll uber die Schulter.»Suchen Sie sich einen Pagen dafur!«
Ich ?nde einen Pagen und instruiere ihn.»Uberreichen Sie den Strau? bei der Vorstellung.«
Er verspricht es. Hoffentlich ist Erna da und sieht es, denke ich. Dann wandere ich eine Zeitlang durch die Stadt, bis ich mude bin, und gehe nach Hause.
Ein melodisches Platschern empfangt mich. Knopf steht gerade wieder vor dem Obelisken und la?t sich gehen. Ich schweige; ich will nicht mehr diskutieren. Ich nehme einen Eimer, fulle ihn mit Wasser und gie?e ihn Knopf vor die Fu?e. Der Feldwebel glotzt darauf.»Uberschwemmung«, murmelt er.»Wu?te gar nicht, da? es geregnet hat.«Und wankt ins Haus.
VI
Uber dem Walde steht ein dunstiger, roter Mond. Es ist schwul und sehr still. Der Mann aus Glas geht lautlos voruber. Er kann jetzt hinaus; die Sonne macht aus seinem Kopf kein Brennglas mehr. Zur Vorsicht tragt er trotzdem dicke Gummihandschuhe – es konnte ein Gewitter geben, und das ist fur ihn noch gefahrlicher als die Sonne. Isabelle sitzt neben mir auf einer Bank im Garten vor dem Pavillon fur die Unheilbaren. Sie tragt ein enges schwarzes Leinenkleid und hockhackige goldene Schuhe an den nackten Fu?en.
»Rudolf«, sagt sie,»du hast mich wieder verlassen. Das letztemal hast du mir versprochen, hierzubleiben. Wo bist du gewesen?«
Rudolf, denke ich, gottlob! Rolf hatte ich heute abend nicht ertragen. Ich habe einen zerrissenen Tag hinter mir und fuhle mich, als hatte jemand aus einer Schrot?inte mit Salzpatronen auf mich geschossen.
»Ich habe dich nicht verlassen«, sage ich.»Ich war fort – aber ich habe dich nicht verlassen.«
»Wo bist du gewesen?«
»Drau?en, irgendwo -«
Drau?en, bei den Verruckten, hatte ich fast gesagt, aber ich unterdrucke es rechtzeitig.
»Warum?«
»Ach, Isabelle, ich wei? es selbst nicht. Man tut so vieles, ohne da? man wei?, warum -«
»Ich habe dich gesucht, diese Nacht. Der Mond war da – nicht der dort druben, der rote, unruhige, der lugt -, nein, der andere, kuhle, klare, den man trinken kann.«
»Es ware sicher besser gewesen, wenn ich hier gewesen ware«, sage ich und lehne mich zuruck und fuhle, wie Ruhe von ihr zu mir heruber?ie?t.»Wie kann man denn den Mond trinken, Isabelle?«
»In Wasser. Es ist ganz einfach. Er schmeckt wie Opal. Du fuhlst ihn nicht sehr im Munde; erst spater – dann fuhlst du, wie er in dir anfangt zu schimmern. Er scheint aus den Augen wieder heraus. Aber du darfst kein Licht machen. Im Licht verwelkt er.«
Ich nehme ihre Hand und lege sie gegen meine Schlafe. Sie ist trocken und kuhl.»Wie trinkt man ihn in Wasser?«frage ich.
Isabelle zieht ihre Hand zuruck.»Du haltst ein Glas mit Wasser nachts hinaus aus dem Fenster – so.«Sie streckt den Arm aus.»Dann ist er darin. Man kann es sehen, das Glas wird hell.«»Du meinst, er spiegelt sich darin.«
»Er spiegelt sich nicht. Er ist darin.«Sie sieht mich an.»Spiegeln – was meinst du mit spiegeln?«
»Spiegeln ist das Bild in einem Spiegel. Man kann sich in vielem spiegeln, das glatt ist. Auch in Wasser. Aber man ist trotzdem nicht darin.«
»Das glatt ist!«Isabelle lachelt ho?ich und unglaubig.»Wirklich? So etwas!«
»Aber naturlich. Wenn du vor dem Spiegel stehst, siehst du dich doch auch.«
Sie zieht einen Schuh aus und betrachtet ihren Fu?. Er ist schmal und lang und nicht mit Druckstellen verunstaltet.»Ja, vielleicht«, sagt sie, immer noch ho?ich und uninteressiert.
»Nicht vielleicht. Bestimmt. Aber das, was du siehst, bist nicht du. Es ist nur ein Spiegelbild. Nicht du.«
»Nein, nicht ich. Aber wo bin ich, wenn es da ist?«»Du stehst vor dem Spiegel. Sonst konnte er dich ja nicht spiegeln.«
Isabelle zieht ihren Schuh wieder an und blickt auf.»Bist du sicher, Rudolf?«