Der Tag ist blau und sehr schon. Der Himmel bauscht sich wie ein riesiges Seidenzelt uber der Stadt. Die feuchte Kuhle des Morgens hangt noch in den Kronen der Baume. Die Vogel zwitschern, als gabe es nur den beginnenden Sommer, die Nester und das junge Leben darin. Es geht sie nichts an, da? der Dollar wie ein ha?licher, schwammiger Pilz auf funfzigtausend angeschwollen ist. Auch nicht, da? in der Morgenzeitung drei Selbstmorde gemeldet worden sind – alle von ehemaligen kleinen Rentnern; alle auf die Lieblingsart der Armen begangen: mit dem offenen Gashahn. Die Rentnerin Kubalke ist mit dem Kopf im Backofen ihres Herdes gefunden worden; der pensionierte Rechnungsrat Hopf frisch rasiert, in seinem letzten, tadellos gebursteten, stark ge?ickten Anzug, vier wertlose rotgestempelte Tausendmarkscheine wie Einla?billette zum Himmel in der Hand; und die Witwe Gla? auf dem Flur ihrer Kuche, ihr Sparkassenbuch, das eine Einlage von funfzigtausend Mark zeigte, zerrissen neben sich. Die rotgestempelten Tausendmarkscheine Hopfs sind eine letzte Fahne der Hoffnung gewesen; seit langem bestand der Glaube, sie wurden irgendwann einmal wieder aufgewertet werden. Woher das Gerucht kam, wei? kein Mensch. Nirgendwo auf ihnen steht, da? sie in Gold auszahlbar sind, und selbst wenn es dastunde: der Staat, dieser immune Betruger, der selbst Billionen unterschlagt, aber jeden, der ihm nur funf Mark veruntreut, einsperrt, wurde schon einen Kniff ?nden, sie nicht auszuzahlen. Erst vorgestern hat in der Zeitung eine Erklarung gestanden, da? sie keine Vorzugsbehandlung genie?en wurden. Dafur steht heute die Todesanzeige Hopfs drin.

Aus der Werkstatt des Sargtischlers Wilke dringt Klopfen, als hause dort ein riesiger frohlicher Specht. Wilkes Geschaft bluht; einen Sarg braucht schlie?lich jeder, sogar ein Selbstmorder – die Zeit der Massengraber und der Beerdigungen in Zeltbahnen ist seit dem Krieg vorbei. Man verfault wieder standesgema?, in langsam morsch werdendem Holz, im Totenhemd oder im Frack ohne Rucken und im Totenkleid aus wei?em Crepe de Chine. Der Backermeister Niebuhr sogar im Schmuck aller seiner Orden und Vereinsabzeichen; seine Frau hat darauf bestanden. Auch eine Kopie der Vereinsfahne des Gesangvereins Eintracht hat sie ihm mitgegeben. Er war dort zweiter Tenor. Jeden Samstag brullte er das»Schweigen im Walde«und»Stolz weht die Flagge schwarzwei?- rot«, trank genug Bier, um fast zu platzen, und ging dann nach Hause, seine Frau zu verprugeln. Ein aufrechter Mann, wie der Pastor am Grabe sagte.

Heinrich Kroll verschwindet zum Gluck um zehn Uhr, mit Fahrrad und gestreifter Hose, um auf die Dorfer zu gehen. So viel frischer Granit macht sein Kaufmannsherz unruhig; er mu? los, ihn an die trauernden Hinterbliebenen zu bringen.

Wir konnen uns jetzt freier entfalten. Zunachst machen wir eine Pause und werden von Frau Kroll mit Leberwurstbutterbroten und Kaffee erquickt. Lisa erscheint am Hoftor. Sie tragt ein knallrotes Seidenkleid. Die alte Frau Kroll verscheucht sie mit einem Blick. Sie kann Lisa nicht ausstehen, obschon sie keine Kirchenlauferin ist.

»Diese dreckige Schlampe«, erklart sie zielsicher.

Georg fallt prompt darauf herein.»Dreckig? Wieso ist sie dreckig?«

»Sie ist dreckig, siehst du das nicht? Ungewaschen, aber einen Seidenfetzen daruber.«

Ich sehe, da? Georg unwillkurlich nachdenklich wird. Dreck hat keiner gern an der Geliebten, wenn er nicht dekadent ist. Seine Mutter hat eine Sekunde lang eine Art Triumphblitz im Auge; dann wechselt sie das Thema. Ich schaue sie bewundernd an; sie ist ein Feldherr mit mobilen Einheiten – schlagt rasch zu, und wenn der Gegner sich langsam zur Wehr anschickt, ist sie schon ganz woanders. Lisa mag schlampig sein; aber auffallend dreckig ist sie bestimmt nicht.

Die drei Tochter des Feldwebels Knopf schwirren aus dem Hause. Sie sind klein, rundlich und ?ink, Naherinnen wie ihre Mutter. Den ganzen Tag surren ihre Maschinen. Jetzt zwitschern sie davon, Pakete mit unerschwinglich teuren seidenen Hemden fur die Schieber in ihren Handen. Knopf, der alte Militar, gibt von seiner Pension keinen Pfennig an den Haushalt ab; dafur haben die vier Frauen zu sorgen.

Vorsichtig packen wir unsere beiden schwarzen Kreuzdenkmaler aus. Eigentlich sollten sie im Eingang stehen, um einen reichen Effekt zu machen, und im Winter hatten wir sie auch dahin gestellt; aber es ist Mai, und so sonderbar es auch sein mag: unser Hof ist ein Tummelplatz der Katzen und der Liebenden. Die Katzen schreien bereits im Februar von den Hugelsteinen herab und jagen sich hinter den Grabeinfassungen aus Zement – die Liebenden aber stellen sich prompt ein, wenn es warm genug ist, im Freien zu lieben – und wann ist es dazu zu kalt? Die Hakenstra?e ist abgelegen und still, unser Hoftor einladend und der Garten alt und gro?. Die etwas makabre Ausstellung stort die Liebespaare nicht; im Gegenteil, sie scheint sie zu besonderem Ungestum anzufachen. Es ist erst zwei Wochen her, da? ein Kaplan aus dem Dorf Halle, der wie alle Gottesmanner mit den Huhnern aufzustehen gewohnt ist, morgens um sieben bei uns erschien, um vier der kleinsten Hugelsteine fur die Graber von im Laufe des Jahres verstorbenen barmherzigen Schwestern zu kaufen. Als ich ihn schlaftrunken in den Garten fuhrte, konnte ich gerade noch rechtzeitig ein rosa Hoschen aus Kunstseide entfernen, das wie eine Fahne am rechten Arm unseres allseitig polierten Kreuzdenkmals ?atterte und von einem begeisterten nachtlichen Paar vergessen worden war. Das Leben zu saen an der Statte des Todes hat sicher etwas im weiten, poetischen Sinne Versohnliches, und Otto Bambuss, der dichtende Schulmeister unseres Klubs, hat, als ich ihm das erzahlte, die Idee sofort gestohlen und zu einer Elegie mit kosmischem Humor verarbeitet – aber sonst kann es doch recht storend wirken, besonders wenn in der Nahe dann noch eine leere Schnaps?asche in der fruhen Sonne glanzt.

Ich ubersehe die Ausstellung. Sie wirkt gefallig, soweit man das von Leichensteinen sagen kann. Die beiden Kreuze stehen schimmernd auf ihren Sockeln in der Morgensonne, Symbole der Ewigkeit, geschliffene Teile der einst gluhenden Erde, erkaltet, poliert und jetzt bereit, fur immer den Namen irgendeines erfolgreichen Geschaftsmannes oder reichen Schiebers fur die Nachwelt aufzubewahren – denn selbst ein Gauner will nicht gern ganz ohne Spur von diesem Planeten verschwinden.

»Georg«, sage ich,»wir mussen aufpassen, da? dein Bruder unser Werdenbrucker Golgatha nicht an ein paar Mistbauern verkauft, die erst nach der Ernte zahlen. La? uns an diesem blauen Tag, unter Vogelgesang und Kaffeegeruch, einen heiligen Schwur schworen: Die beiden Kreuze werden nur gegen Barzahlung verkauft!«

Georg schmunzelt.»Es ist nicht ganz so gefahrlich. Wir haben unsern Wechsel in drei Wochen einzulosen. Solange wir das Geld fruher hereinbekommen, haben wir verdient.«

»Was verdient?«erwidere ich.»Eine Illusion – bis zum nachsten Dollarkurs.«

»Du bist manchmal zu geschaftlich«, Georg zundet sich umstandlich eine Zigarre im Werte von funftausend Mark an.»Anstatt zu jammern solltest du lieber die In?ation als umgekehrtes Symbol des Lebens auffassen. Jeder gelebte Tag ist ein Tag Dasein weniger. Wir leben vom Kapital, nicht von den Zinsen. Jeden Tag steigt der Dollar; aber jede Nacht fallt der Kurs deines Lebens um einen Tag. Wie ware es mit einem Sonett daruber?«

Ich betrachte den selbstgefalligen Sokrates der Hakenstra?e. Leichter Schwei? ziert seinen kahlen Kopf wie Perlen ein helles Kleid.»Es ist erstaunlich, wie philosophisch man sein kann, wenn man nachts nicht allein geschlafen hat«, sage ich.

Georg zuckt nicht mit der Wimper.»Wann sonst?«erklart er ruhig.»Philosophie soll heiter sein und nicht gequalt. Metaphysische Spekulationen damit zu verknupfen ist dasselbe, wie Sinnenfreude mit dem, was die Mitglieder eures Dichterklubs ideale Liebe nennen. Es wird ein unertraglicher Mischmasch.«

»Ein Mischmasch?«sage ich, irgendwo getroffen.»Sieh einmal an, du Kleinburger des Abenteuers! Du Schmetterlingssammler, der alles auf Nadeln spie?en will! Wei?t du nicht, da? man tot ist ohne das, was du Mischmasch nennst?«

»Nicht die Spur. Ich halte nur die Dinge auseinander.«

Georg blast mir den Rauch seiner Zigarre ins Gesicht.

»Ich leide lieber wurdig und mit philosophischer Schwermut an der Fluchtigkeit des Lebens, als da? ich den vulgaren Irrtum mitmache, irgendeine Minna oder Anna mit dem kuhlen Geheimnis des Daseins zu verwechseln und anzunehmen, die Welt ende, wenn Minna oder Anna einen anderen Karl oder Josef bevorzugen. Oder eine Erna einen riesigen Saugling in englischem Kammgarn.«

Er grinst. Ich sehe ihm kalt in sein verraterisches Auge.

»Ein billiger Schu?, Heinrichs wurdig!«sage ich.»Du schlichter Genie?er des Erreichbaren! Willst du mir einmal erklaren, wozu du denn mit Leidenschaft Zeitschriften liest, in denen es von unerreichbaren Sirenen, Skandalen aus der hochsten Gesellschaft, Damen des Theaters und Herzensbrecherinnen im Film nur so wimmelt?«

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