Georg blast mir abermals fur dreihundert Mark Rauch in die Augen.»Das tue ich fur meine Phantasie. Hast du nie etwas von himmlischer und irdischer Liebe gehort? Du hast doch erst kurzlich versucht, sie in deiner Erna zu vereinigen, und eine schone Lehre bekommen, du braver Kolonialwarenhandler der Liebe, der Sauerkraut und Kaviar im selben Laden haben mochte! Wei?t du denn immer noch nicht, da? dann das Sauerkraut nie nach Kaviar, aber der Kaviar immer nach Sauerkraut schmeckt? Ich halte sie weit auseinander, und du solltest das auch tun! Es macht das Leben bequem. Und nun komm, wir wollen Eduard Knobloch peinigen. Er serviert heute Schmorbraten mit Nudeln.«
Ich nicke und hole wortlos meinen Hut. Georg hat mich, ohne es zu merken, schwer angeschlagen – aber der Teufel soll mich holen, wenn ich es ihn merken lasse.
Als ich zuruckkomme, sitzt Gerda Schneider im Buro. Sie tragt einen grunen Sweater, einen kurzen Rock und gro?e Ohrringe mit falschen Steinen. An die linke Seite des Sweaters hat sie eine der Blumen aus Riesenfelds Bukett gesteckt, das au?erordentlich dauerhaft gewesen sein mu?. Sie deutet darauf und sagt:
Ich sehe sie an. Da sitzt wahrscheinlich genau das, was Georg unter irdischer Liebe versteht, denke ich – klar, fest, jung und ohne Phrasen. Ich habe ihr Blumen geschickt, und sie ist gekommen, basta. Sie hat die Blumen so aufgefa?t, wie ein vernunftiger Mensch es tun sollte. Anstatt langes Theater zu machen, ist sie da. Sie hat akzeptiert, und jetzt ist eigentlich nichts mehr zu besprechen.
»Was machst du heute nachmittag?«fragt sie.
»Ich arbeite bis funf. Dann gebe ich einem Idioten eine Nachhilfestunde.«
»Worin? In Idiotie?«
Ich grinse.»Wenn man es richtig ansieht, ja.«
»Das ware bis sechs. Komm nachher in den Altstadter Hof. Ich trainiere da.«
»Gut«, sage ich, bevor ich nachdenke.
Gerda steht auf.»Also dann -«
Sie halt mir ihr Gesicht hin. Ich bin uberrascht. So viel hatte ich mit meiner Blumensendung gar nicht beabsichtigt. Aber warum eigentlich nicht? Georg hat wahrscheinlich recht: Liebesschmerz soll man nicht mit Philosophie bekampfen – nur mit einer anderen Frau. Vorsichtig kusse ich Gerda auf die Wange.»Dummkopf!«sagt sie und ku?t mich herzhaft auf den Mund.»Reisende Artisten haben nicht viel Zeit ubrig fur Firlefanz. In zwei Wochen mu? ich weiter. Also bis heute abend.«
Sie geht aufrecht mit ihren festen, kraftigen Beinen und den kraftigen Schultern hinaus. Auf dem Kopf tragt sie eine rote Baskenmutze. Sie scheint Farben zu lieben. Drau?en bleibt sie neben dem Obelisken stehen und blickt auf unser Golgatha.»Das ist unser Lager«, sage ich.
Sie nickt.»Bringt es was ein?«
»So so – in diesen Zeiten -«
»Und du bist hier angestellt?«
»Ja. Komisch, was?«
»Nichts ist komisch«, sagt Gerda.»Was sollte ich sonst sagen, wenn ich in der Roten Muhle meinen Kopf von ruckwarts durch die Beine stecke? Glaubst du, Gott hatte das gewollt, als er mich erschuf? Also bis sechs.«
Die alte Frau Kroll kommt mit einer Gie?kanne aus dem Garten.»Das ist ein ordentliches Madchen«, sagt sie und blickt Gerda nach.»Was ist sie?«
»Akrobatin.«
»So, Akrobatin!«erwidert sie uberrascht.»Akrobatinnen sind meistens ordentliche Menschen. Sie ist keine Sangerin, was?«
»Nein. Eine richtige Akrobatin. Mit Saltos, Handstanden und Verrenkungen wie ein Schlangenmensch.«
»Sie kennen sie ja ziemlich genau. Wollte sie etwas kaufen?«
»Noch nicht.«
Sie lacht. Ihre Brillenglaser glitzern.»Mein lieber Ludwig«, sagt sie.»Sie glauben nicht, wie narrisch Ihnen Ihr jetziges Leben einmal vorkommen wird, wenn Sie siebzig sind.«
»Dessen bin ich noch gar nicht so sicher«, erklare ich.»Es kommt mir namlich gerade jetzt schon ziemlich narrisch vor. Was halten Sie ubrigens von der Liebe?«
»Wovon?«
»Von der Liebe. Der himmlischen und der irdischen Liebe.«
Frau Kroll lacht herzlich.»Das habe ich langst vergessen. Gott sei Dank!«
Ich stehe in der Buchhandlung Arthur Bauers. Heute ist der Zahlungstag fur die Nachhilfestunden, die ich seinem Sohn erteile. Arthur junior hat die Gelegenheit benutzt, mir zur Begru?ung ein paar Heftzwecken auf meinen Stuhl zu legen. Ich hatte ihm dafur gerne sein Schafsgesicht in das Gold?schglas getunkt, das den Pluschsalon ziert, aber ich mu?te mich beherrschen – Arthur junior wei? das.
»Also Yoga«, sagt Arthur senior jovial und schiebt mir einen Packen Bucher zu.»Ich habe Ihnen hier herausgelegt, was wir haben. Yoga, Buddhismus, Askese, Nabelschau – wollen Sie Fakir werden?«
Ich mustere ihn mi?billigend. Er ist klein, hat einen Spitzbart und ?inke Augen. Noch ein Schutze heute, denke ich, der auf mein ramponiertes Herz anlegt! Aber dich billige Spottdrossel werde ich schon kriegen, du bist kein Georg! Scharf sage ich:»Was ist der Sinn des Lebens, Herr Bauer?«
Arthur sieht mich erwartungsvoll wie ein Pudel an.»Und?«
»Was, und?«
»Wo ist die Pointe? Sie erzahlen doch einen Witz – oder nicht?«
»Nein«, erwidere ich kuhl.»Dies ist eine Rundfrage zum Heile meiner jungen Seele. Ich stelle sie vielen Menschen, besonders solchen, die es wissen sollten.«
Arthur greift in seinen Bart wie in eine Harfe.»Sie fragen doch nicht im Ernst, an einem Montagnachmittag, mitten in der Hauptgeschaftszeit, so etwas Blodsinniges, und wollen auch noch eine Antwort darauf haben?«
»Doch«, sage ich.»Aber bekennen Sie nur gleich! Sie wissen es auch nicht! Sie, trotz aller Ihrer Bucher!«
Arthur gibt seinen Bart frei, um sich in den Locken zu wuhlen.»Herrgott, was manche Menschen fur Sorgen haben! Erortern Sie die Sache doch in Ihrem Dichterklub!«
»Im Dichterklub gibt es nur poetische Verbramungen dafur. Ich aber will die Wahrheit wissen. Wozu existiere ich sonst und bin kein Wurm?«
»Wahrheit!«Arthur meckert.»Das ist was fur Pilatus! Mich geht das nichts an. Ich bin Buchhandler, Gatte und Vater, das genugt mir.«
Ich sehe den Buchhandler, Gatten und Vater an. Er hat einen Pickel rechts neben der Nase.»So, das genugt Ihnen«, sage ich schneidend.
»Das genugt«, erwidert Arthur fest.»Manchmal ist es schon zu viel.«
»Genugte es Ihnen auch, als Sie funfundzwanzig Jahre alt waren?«
Arthur offnet seine blauen Augen, so weit er kann.»Mit funfundzwanzig? Nein. Damals wollte ich es noch werden.«
»Was?«frage ich hoffnungsvoll.»Ein Mensch?«
»Besitzer dieser Buchhandlung, Gatte und Vater. Mensch bin ich sowieso. Fakir noch nicht.«
Er schwanzelt nach diesem harmlosen zweiten Schu? eilig davon, einer Dame mit reichem Hangebusen entgegen, die einen Roman von Rudolf Herzog verlangt. Ich blattere ?uchtig in den Buchern uber das Gluck der Askese und lege sie rasch beiseite. Tagsuber ist man zu diesen Dingen bedeutend weniger aufgelegt als nachts, allein, wenn einem nichts anderes ubrigbleibt.
Ich gehe zu den Regalen mit den Werken uber Religion und Philosophie. Sie sind Arthur Bauers Stolz. Er hat hier so ziemlich alles, was die Menschheit in ein paar tausend Jahren uber den Sinn des Lebens zusammengedacht hat. Es mu?te also moglich sein, fur ein paar hunderttausend Mark ausreichend daruber informiert zu werden – eigentlich bereits fur weniger, sagen wir fur zwanzig- bis drei?igtausend Mark; denn wenn der Sinn des Lebens erkennbar ware, sollte schon ein einziges Buch dazu genugen. Aber wo ist es? Ich blicke die Reihen hinauf und hinab. Die Abteilung ist sehr umfangreich, und das macht mich plotzlich stutzig. Es scheint mit der Wahrheit und dem Sinn des Lebens so zu sein, wie mit den Haarwassern – jede Firma preist ihres als das alleinseligmachende an – aber Georg Kroll, der sie alle probiert hat, hat trotzdem einen kahlen Kopf behalten, und er hatte es von