Triumph, dreht sich um, entschwindet die Treppe hinauf, und Karl Brill kassiert von den erstaunten Kegelbrudern die Wetten ein. Es ist eine streng sportliche Sache; niemand sieht Frau Beckmanns Formen anders als von der rein fachlichen Seite. Und niemand wagt ein loses Wort daruber. Sie wurde ihm eine Ohrfeige kleben, die ihm den Kopf losrisse. Sie ist riesenstark; die beiden Ringerinnen sind blutarme Kinder gegen sie.
»Also, machen Sie Gerda glucklich«, sagt Renee lakonisch.
»Fur vierzehn Tage. Einfach, was?«
Ich stehe etwas verlegen da. Das Vademekum fur guten Ton sieht diese Situation sicher nicht vor. Zum Gluck erscheint Willy. Er ist elegant gekleidet, hat einen leichten grauen Borsalino schief auf dem Kopf und wirkt trotzdem wie ein Zementblock, der mit kunstlichen Blumen besteckt ist. Mit vornehmer Geste ku?t er Renee die Hand; dann greift er in seine Tasche und bringt ein kleines Etui hervor.»Der interessantesten Frau in Werdenbruck«, erklart er mit einer Verbeugung.
Renee sto?t einen Sopranschrei aus und sieht Willy unglaubig an. Dann offnet sie das Kastchen. Ein goldener Ring mit einem Amethyst funkelt ihr entgegen. Sie schiebt ihn auf ihren linken Mittel?nger, starrt ihn entzuckt an und wirft dann ihre Arme um Willy. Willy steht sehr stolz da und lachelt. Er hort sich das Trillern und die Ba?stimme an; Renee verwechselt sie in der Aufregung alle Augenblicke.»Willy!«zirpt und donnert sie.»Ich bin ja so glucklich!«
Gerda kommt im Bademantel aus der Garderobe. Sie hat das Geschrei gehort und will sehen, was los ist.
»Macht euch fertig, Kinder«, sagt Willy.»Wir wollen hier raus.«
Die beiden Madchen verschwinden.»Hattest du Kaffer Renee den Ring nicht spater geben konnen, wenn ihr allein seid?«frage ich.»Was mache ich jetzt mit Gerda?«
Willy bricht in ein gutmutiges Gelachter aus.»Verdammt, daran habe ich nicht gedacht! Was machen wir da wirklich? Kommt mit uns essen.«
»Damit wir alle vier dauernd auf Renees Amethyst starren mussen? Ausgeschlossen.«
»Hor zu«, erwidert Willy.»Die Sache mit Renee und mir ist anders als deine mit Gerda. Ich bin serios. Glaube es oder nicht: Ich bin verruckt nach Renee. Serios verruckt. Sie ist eine Prachtsnummer!«
Wir setzen uns in zwei alte Rohrstuhle an der Wand. Die wei?en Spitze uben jetzt, auf den Vorderpfoten zu gehen.
»Stell dir vor«, erklart Willy.»Was mich verruckt macht, ist die Stimme. Nachts ist das eine tolle Sache. Als ob du zwei verschiedene Frauen hast. Einmal eine zarte und gleich darauf ein Fischweib. Es geht sogar noch weiter. Wenn es dunkel ist und sie auf einmal mit der Kommandostimme loslegt, lauft es mir kalt uber den Rucken. Es ist verdammt sonderbar! Ich bin doch nicht schwul, aber manchmal habe ich das Gefuhl, ich schande einen General oder dieses Aas, den Untero?zier Flumer, der dich ja auch gefoltert hat in unserer Rekrutenzeit – es ist nur so ein Augenblick, dann ist alles wieder in Ordnung, aber – du verstehst, was ich meine?«
»So ungefahr.«
»Schon, also sie hat mich erwischt. Ich mochte, da? sie hierbleibt. Werde ihr eine kleine Wohnung einrichten.«
»Glaubst du, da? sie ihren Beruf aufgeben wird?«
»Braucht sie nicht. Ab und zu kann sie ein Engagement annehmen. Dann gehe ich mit. Mein Beruf ist ja beweglich.«
»Weshalb heiratest du sie nicht? Du hast doch Geld genug.«
»Heiraten ist etwas anderes«, erklart Willy.»Wie kannst du eine Frau heiraten, die jeden Augenblick fahig ist, dich wie ein General anzubrullen? Man erschrickt doch immer wieder, wenn es unvermutet passiert, das liegt uns so im Blut. Nun, heiraten werde ich mal eine kleine, ruhige Dicke, die erstklassig kochen kann. Renee, mein Junge, ist die typische Matresse.«
Ich staune den Weltmann an. Er lachelt uberlegen. Das Brevier fur gute Manieren ist fur ihn uber?ussig. Ich verzichte auf Spott. Spott wird dunn, wenn jemand Amethystringe verschenken kann. Die Ringerinnen erheben sich lassig und machen ein paar Griffe. Willy sieht interessiert zu.»Kapitale Weiber«, ?ustert er, wie ein aktiver Oberleutnant vor dem Kriege.
»Was fallt Ihnen ein? Augen rechts! Stillgestanden!«brullt eine markige Stimme hinter uns.
Willy fahrt zusammen. Es ist Renee, die ringgeschmuckt hinter ihm lachelt.»Siehst du jetzt, was ich meine?«fragt Willy mich.
Ich sehe es. Die beiden ziehen ab. Drau?en wartet Willys Auto, das rote Kabriolett mit den roten Ledersitzen. Ich bin froh, da? Gerda langer braucht, um sich anzuziehen. Sie sieht so wenigstens das Kabriolett nicht. Ich uberlege, was ich ihr heute bieten konnte. Das einzige, was ich au?er dem Brevier fur Weltleute habe, sind die E?marken Eduard Knoblochs, und die sind leider abends nicht gultig. Ich beschlie?e, es trotzdem mit ihnen zu versuchen, indem ich Eduard vorluge, es seien die beiden letzten.
Gerda kommt.»Wei?t du, was ich mochte, Schatz?«sagt sie, bevor ich den Mund offnen kann.»La? uns etwas ins Grune fahren. Mit der Stra?enbahn hinaus. Ich mochte Spazierengehen.«
Ich starre sie an und traue meinen Ohren nicht. Ins Grune spazieren – genau das war es, was Erna, die Schlange, mir in vergifteten Worten vorgeworfen hat. Sollte sie Gerda etwas erzahlt haben? Zuzutrauen ware es ihr.
»Ich dachte, wir konnten zur „Walhalla“ gehen«, sage ich vorsichtig und mi?trauisch.»Man i?t dort gro?artig.«
Gerda winkt ab.»Wozu? Es ist viel zu schon dazu. Ich habe heute nachmittag etwas Kartoffelsalat gemacht. Hier!«Sie halt ein Paket hoch.»Den essen wir drau?en und kaufen uns Wurstchen und Bier dazu. Recht?«
Ich nicke stumm, argwohnischer als vorher. Ernas Vorwurf mit dem billigen Wein ohne Jahrgang ist noch unvergessen.»Ich mu? ja um neun schon zuruck in die ekelhafte Stinkbude, die Rote Muhle«, erklart Gerda.
Ekelhafte Stinkbude? Ich starre sie wieder an. Aber ihre Augen sind klar und unschuldig, ohne jede Ironie. Und plotzlich begreife ich! Ernas Paradies ist fur Gerda nichts anderes als eine Arbeitsstatte! Sie ha?t die Bude, die Erna liebt! Gerettet, denke ich. Gottlob! Die Rote Muhle mit ihren Wahnsinnspreisen versinkt, wie Gaston Munch als Geist Hamlets im Stadttheater, jah in der Versenkung. Kostlich stille Tage mit belegten Butterbroten und selbstgemachtem Kartoffelsalat tauchen vor mir auf! Das einfache Leben! Die irdische Liebe! Der Friede der Seele! Endlich! Sauerkraut meinetwegen, aber Sauerkraut kann auch etwas Herrliches sein! Mit Ananas zum Beispiel, in Champagner gekocht. Ich habe es zwar noch nie so gegessen, aber Eduard Knobloch behauptet, es sei ein Gericht fur regierende Konige und Poeten.
»Gut, Gerda«, sage ich gemessen.»Wenn du es absolut willst, gehen wir im Wald spazieren.«
VIII
Das Dorf Wustringen prangt im Flaggenschmuck. Wir sind alle versammelt – Georg und Heinrich Kroll, Kurt Bach und ich. Das Kriegerdenkmal wird eingeweiht, das wir geliefert haben.
Die Pfarrer beider Bekenntnisse haben morgens in der Kirche zelebriert; jeder fur seine Toten. Der katholische Pfarrer hat den Vorteil dabei gehabt; seine Kirche ist gro?er, sie ist bunt bemalt, hat bunte Fenster, Weihrauch, brokatene Me?gewander und wei? und rot gekleidete Me?diener. Der Protestant hat nur eine Kapelle, nuchterne Wande, einfache Fenster, und jetzt steht er neben dem katholischen Gottesmann wie ein armer Verwandter. Der Katholik ist geschmuckt mit Spitzenuberwurfen und umringt von seinen Chorknaben; der andere hat einen schwarzen Rock an, und das ist seine ganze Pracht. Als Reklamefachmann mu? ich zugeben, da? der Katholizismus Luther in diesen Dingen weit uberlegen ist. Er wendet sich an die Phantasie und nicht an den Intellekt. Seine Priester sind angezogen wie die Zauberdoktoren bei den Eingeborenenstammen; und ein katholischer Gottesdienst mit seinen Farben, seiner Stimmung, seinem Weihrauch, seinen dekorativen Gebrauchen ist als Aufmachung unschlagbar. Der Protestant fuhlt das; er ist dunn und tragt eine Brille. Der Katholik ist rotwangig, voll und hat schones, wei?es Haar.
Jeder von beiden hat fur seine Toten getan, was er konnte. Leider sind unter den Gefallenen auch zwei Juden, die Sohne des Viehhandlers Levi. Fur sie ist kein geistlicher Trost vorhanden. Gegen die Zuziehung des Rabbis haben beide gegnerischen Gottesmanner ihre Stimmen vereint – zusammen mit dem Vorsitzenden des Kriegervereins, Major a. D. Wolkenstein, einem Antisemiten, der fest davon uberzeugt ist, da? der Krieg nur durch