»Ist das wieder eine Beleidigung?«frage ich.
»Nein, eine Feststellung. Nur Idioten glauben, da? eine Nation besser sei als die andere.«
»Bist du keine Knalldeutsche?«
»Ich habe eine tschechische Mutter; das erleichtert mein Los etwas.«
Ich sehe das nackte, unbekummerte Geschopf neben mir an und habe plotzlich das Verlangen, zumindest eine oder zwei tschechische Gro?mutter zu haben.»Schatz«, sagt Gerda.»Liebe kennt keine Wurde. Aber ich furchte, du kannst nicht einmal pissen ohne Weltanschauung.«
Ich greife nach einer Zigarette. Wie kann eine Frau so etwas sagen? denke ich. Gerda hat mich beobachtet.»Wie kann eine Frau so etwas sagen, was?«sagt sie.
Ich hebe die Schultern. Sie dehnt sich und blinzelt mir zu. Dann schlie?t sie langsam ein Auge. Ich komme mir vor dem starren, geoffneten anderen auf einmal wie ein Provinzschulmeister vor. Sie hat recht – wozu mu? man immer alles mit Prinzipien aufblasen? Warum es nicht nehmen, wie es ist? Was geht mich Eduard an? Was ein Wort? Was ein Nerzmantel? Und wer betrugt wen? Eduard mich, oder ich ihn, oder Gerda uns beide, oder wir beide Gerda, oder keiner keinen? Gerda allein ist naturlich, wir aber sind Wichtigtuer und Nachschwatzer abgestandener Phrasen.»Du glaubst, da? ich als Zuhalter hoffnungslos ware?«frage ich.
Sie nickt.»Frauen werden nicht deinetwegen mit einem anderen schlafen und dir das Geld dafur bringen. Aber mach dir nichts daraus; die Hauptsache ist, da? sie mit dir schlafen.«
Ich will es vorsichtig dabei bewenden lassen, frage aber doch:»Und Eduard?«
»Was geht dich Eduard an? Ich habe dir das doch gerade erklart.«
»Was?«
»Da? er ein Freier ist. Ein Mann mit Geld. Du hast keins. Ich aber brauche welches. Verstanden?«
»Nein.«
»Das brauchst du auch nicht, Schafchen. Und beruhige dich – noch ist nichts los, und es wird auch noch lange nichts los sein. Ich sage es dir schon zur Zeit. Und nun mach kein Drama draus. Das Leben ist anders, als du denkst. Merk dir nur eins: Recht hat immer der, der mit der Frau im Bett liegt. Wei?t du, was ich jetzt mochte?«
»Was?«
»Noch eine Stunde schlafen – und dann ein Hammelragout mit Knoblauch fur uns kochen, mit viel Knoblauch -«
»Kannst du das hier?«
Gerda zeigt auf einen alten Gasherd, der auf der Kommode steht.»Ich koche dir darauf ein Diner fur sechs Personen, wenn’s sein mu?. Tschechisch! Du wirst staunen! Dazu holen wir uns Bier vom Fa? aus der Kneipe unten. Geht das mit deiner Illusion uber die Liebe zusammen? Oder zerbricht der Gedanke an Knoblauch etwas Wertvolles in dir?«
»Nichts«, erwidere ich und fuhle mich korrumpiert, aber auch so leicht wie lange nicht.
XVI
So eine Uberraschung!«sage ich.»Und das am fruhen Sonntagmorgen!«
Ich habe geglaubt, einen Rauber in der Dammerung herumrumoren zu horen; aber als ich herunterkomme, sitzt da, um funf Uhr fruh, Riesenfeld von den Odenwalder Granitwerken.»Sie mussen sich geirrt haben«, erklare ich.»Heute ist der Tag des Herrn. Da arbeitet selbst die Borse nicht. Noch weniger wir schlichten Gottesleugner. Wo brennt es? Brauchen Sie Geld fur die Rote Muhle?«
Riesenfeld schuttelt den Kopf.»Einfacher Freundschaftsbesuch. Habe einen Tag zwischen Lohne und Hannover. Bin gerade angekommen. Wozu jetzt noch ins Hotel gehen? Kaffee gibt es ja bei Ihnen auch. Was macht die scharmante Dame von druben? Steht sie fruh auf?«
»Aha!«sage ich.»Die Brunst hat Sie also hergetrieben! Gratuliere zu soviel Jugend. Aber Sie haben Pech. Sonntags ist der Ehemann zu Hause. Ein Athlet und Messerwerfer.«
»Ich bin Weltchampion im Messerwerfen«, erwidert Riesenfeld ungeruhrt.»Besonders, wenn ich zum Kaffee etwas Bauernspeck und einen Korn gehabt habe.«
»Kommen Sie mit nach oben. Meine Bude sieht zwar noch wust aus, aber ich kann Ihnen dort Kaffee machen. Wenn Sie wollen, konnen Sie auch Klavier spielen, bis das Wasser kocht.«
Riesenfeld wehrt ab.»Ich bleibe hier. Die Mischung von Hochsommer, Morgenfruhe und Denkmalern gefallt mir. Macht hungrig und lebenslustig. Au?erdem steht hier der Schnaps.«
»Ich habe viel besseren oben.«
»Mir genugt dieser.«
»Gut, Herr Riesenfeld, wie Sie wollen!«
»Was schreien Sie so?«fragt Riesenfeld.»Ich bin inzwischen nicht taub geworden.«
»Es ist die Freude, Sie zu sehen, Herr Riesenfeld«, erwidere ich noch lauter und lache scheppernd.
Ich kann ihm nicht gut erklaren, da? ich hoffe, Georg mit meinem Geschrei zu wecken und ihn daruber zu orientieren, was los ist. Soviel ich wei?, ist der Schlachter Watzek gestern abend zu irgendeiner Tagung der Nationalsozialisten gefahren, und Lisa hat die Gelegenheit benutzt, heruberzukommen, um einmal durchzuschlafen im Arm ihres Geliebten. Riesenfeld sitzt, ohne da? er es wei?, als Wachter vor der Tur zum Schlafzimmer. Lisa kann nur noch durchs Fenster raus.
»Gut, dann hole ich den Kaffee herunter«, sage ich, laufe die Treppe hinauf, nehme die»Kritik der reinen Vernunft«, schlinge einen Bindfaden darum, lasse sie aus meinem Fenster heraus und pendele damit vor Georgs Fenster. Inzwischen schreibe ich mit Buntstift auf ein Blatt die Warnung:»Riesenfeld im Buro«, mache ein Loch in den Zettel und lasse ihn uber den Bindfaden auf den Band Kant hinunter?attern. Kant klopft ein paarmal, dann sehe ich von oben Georgs kahlen Kopf. Er macht mir Zeichen. Wir vollfuhren eine kurze Pantomime. Ich mache ihm mit den Handen klar, da? ich Riesenfeld nicht loswerden kann. Rauswerfen kann ich ihn nicht; dazu ist er zu wichtig fur unser tagliches Brot.
Ich ziehe die»Kritik der reinen Vernunft«wieder hoch und lasse meine Flasche Schnaps hinab. Ein schoner, gerundeter Arm greift danach, bevor Georg sie fassen kann, und zieht sie hinein. Wer wei?, wann Riesenfeld verschwindet? Die Liebenden sind inzwischen dem scharfen Morgenhunger nach durchwachter Nacht ausgesetzt. Ich lasse deshalb meine Butter, mein Brot und ein Stuck Leberwurst hinunter. Der Bindfaden kommt, mit Lippenstift rot am Ende verschmiert, wieder hoch. Ich hore den seufzenden Laut, mit dem der Kork die Flasche freigibt. Romeo und Julia sind fur den Augenblick gerettet.
Als ich Riesenfeld seinen Kaffee prasentiere, sehe ich Heinrich Kroll uber den Hof kommen. Der nationale Geschaftsmann hat neben seinen ubrigen verwer?ichen Eigenschaften auch noch die, fruh aufzustehen. Er nennt das: die Brust Gottes freier Natur darzubieten. Unter»Gott«versteht er selbstverstandlich nicht ein gutiges Fabelwesen mit einem langen Bart, sondern einen preu?ischen Feldmarschall.
Bieder schuttelt er Riesenfeld die Hand. Riesenfeld ist nicht uberma?ig erfreut.»Lassen Sie sich durch mich von nichts abhalten«, erklart er.»Ich trinke hier nur meinen Kaffee und dose dann ein bi?chen, bis es Zeit fur mich wird.«
»Aber das ware doch! Ein so seltener und lieber Gast!«Heinrich wendet sich mir zu.»Haben wir denn keine frischen Brotchen fur Herrn Riesenfeld?«
»Da mussen Sie die Witwe des Backers Niebuhr oder Ihre Mutter fragen«, erwidere ich.»Anscheinend wird in der Republik sonntags nicht gebacken. Eine unerhorte Schlamperei! Im kaiserlichen Deutschland war das anders.«
Heinrich schie?t mir einen bosen Blick zu.»Wo ist Georg?«fragt er kurz.
»Ich bin nicht der Huter Ihres Bruders, Herr Kroll«, antworte ich bibelfest und laut, um Georg uber die neue Gefahr zu informieren.
»Nein, aber Sie sind Angestellter meiner Firma! Ich ersuche Sie, entsprechend zu antworten.«
»Es ist Sonntag. Sonntags bin ich kein Angestellter. Ich bin heute nur freiwillig, aus uberschaumender Liebe zu meinem Beruf und aus freundschaftlicher Verehrung fur den Beherrscher des Odenwalder Granits, so fruh heruntergekommen. Unrasiert, wie Sie vielleicht bemerken, Herr Kroll.«