eine ewige Frau Niebuhr und wandert von uns zu Hollmann und Klotz und von da weiter zu Steinmeyer und la?t sich uberall alles zeigen und handelt fur Stunden und kauft trotzdem nichts. Wir sind solche Typen gewohnt; es gibt immer wieder Leute, meistens Frauen, die eine sonderbare Lust dabei emp?nden, zu Lebzeiten ihren Sarg, ihr Sterbehemd, ihre Grabstatte und ihr Denkmal zu bestellen – aber Herbert hat es darin zur Weltmeisterschaft gebracht. Seine Grabstelle hat er endlich vor sechs Monaten gekauft. Sie ist sandig, hochgelegen, trocken und hat eine schone Aussicht. Herbert wird langsamer und etwas ordentlicher darin verwesen als in den niedriger gelegenen, feuchten Teilen des Friedhofs, und er ist stolz darauf. Jeden Sonntagnachmittag verbringt er dort mit einer Thermos?asche Kaffee, einem Klappsessel und einem Paket Streuselkuchen genie?erische Stunden und beobachtet, wie der Efeu wachst. Den Denkmalsauftrag aber la?t er immer noch vor den Maulern der Grabstein?rmen pendeln wie ein Reiter die Karotte vor der Schnauze seines Esels. Wir galoppieren, aber wir erwischen sie nie. Herbert kann sich nicht entscheiden. Er hat immer Angst, irgendeine fabelhafte Neuerung zu verpassen, wie elektrische Klingeln zum Sarg, Telefon oder so was.

Ich sehe ihn voll Abneigung an. Er hat mir die Kanonen rasch heimgezahlt.»Haben Sie irgend etwas Neues hereingekriegt?«fragt er herablassend.

»Nichts, was Sie interessieren konnte – abgesehen von – aber das ist ja bereits so gut wie verkauft«, erwidere ich mit der plotzlichen Hellsicht der Rache und des jah au?ammenden Geschaftssinnes.

Herbert bei?t an.»Was?«

»Nichts fur Sie. Etwas ganz Gro?artiges. Und auch so gut wie verkauft.«-»Was?«

»Ein Mausoleum. Ein sehr bedeutendes Kunstobjekt. Schwarzkopf ist au?erst interessiert -«

Scherz lacht.»Haben Sie keinen alteren Verkaufstrick auf Lager?«

»Nein. Nicht bei einem solchen Stuck. Es ist eine Art Post-mortem-Klubhaus. Schwarzkopf denkt daran, am Todestage jahrlich eine kleine intime Feier darin testamentarisch festzulegen. Das ist dann, als hatte er jedes Jahr eine neue Beerdigung. Der Raum des Mausoleums ist stimmungsvoll dafur, mit Banken und bunten Scheiben. Man kann auch kleine Erfrischungen nach jeder Feier reichen. Schwer zu ubertreffen, was? Eine ewige Gedenkfeier, wahrend kein Mensch die alten Graber mehr ansieht!«

Scherz lacht weiter, aber gedankenvoller. Ich lasse ihn lachen. Die Sonne wirft gewichtsloses, bleiches Silber vom Flu? zwischen uns. Scherz hort auf.»So, ein solches Mausoleum haben Sie?«sagt er, bereits mit der leichten Sorge des echten Sammlers, der furchtet, ihm konnte eine gro?e Gelegenheit entgehen.

»Vergessen Sie es! Es ist so gut wie verkauft an Schwarzkopf. Sehen wir lieber die Enten auf dem Flu? an! Was fur Farben!«

»Ich mag keine Enten. Schmecken zu mu?g. Na, ich komme mal, mir Ihr Mausoleum anzuschauen.«

»Beeilen Sie sich nicht. Sehen Sie es sich lieber an, wie es in naturlicher Umgebung wirkt – wenn Schwarzkopf es aufgestellt hat.«

Scherz lacht wieder, aber ziemlich hohl jetzt. Ich lache auch. Keiner glaubt dem anderen; aber jeder hat einen Haken geschluckt. Er Schwarzkopf, und ich, da? ich ihn vielleicht diesmal doch erwischen werde.

Ich gehe weiter. Aus dem Altstadter Hof kommt der Geruch von Tabak und abgestandenem Bier. Ich wandere durch das Tor in den Hinterhof der Kneipe. Dort bietet sich ein Bild des Friedens. Die Schnapsleichen vom Samstagabend liegen da in der fruhen Sonne. Fliegen summen in den rochelnden Atemzugen der Kirsch-, Steinhager- und Korntrinker herum, als waren es aromatische Passatwinde von den Gewurzinseln; Spinnen steigen aus dem Laub des wilden Weins auf ihren Seilen uber den Gesichtern auf und ab wie Trapez-Akrobaten, und im Schnurrbart eines Zigeuners turnt ein Kafer, als ware es ein Bambushain. Da ist es, denke ich, wenigstens im Schlaf, das verlorene Paradies, die gro?e Verbruderung!

Ich blicke zu Gerdas Fenster hinauf. Das Fenster steht offen.

»Hilfe!«sagt plotzlich eine der Gestalten auf dem Boden. Sie sagt es ruhig, leise und resigniert – sie schreit nicht, und gerade das trifft mich wie der Atherschlag eines Strahlenwesens. Es ist ein gewichtsloser Schlag auf die Brust, der durch die Brust geht wie Rontgenlicht, der aber dann den Atem trifft, da? er sich staut. Hilfe! denke ich. Was rufen wir anders, horbar, unhorbar, immerfort?

Die Messe ist vorbei. Die Oberin ubergibt mir mein Honorar. Es lohnt sich nicht, es einzustecken; aber ich kann es nicht zuruckweisen, das wurde sie kranken.»Ich habe Ihnen eine Flasche Wein zum Fruhstuck geschickt«, sagt sie.»Wir haben nichts anderes, um es Ihnen zu geben. Aber wir beten fur Sie.«

»Danke«, erwidere ich.»Aber wie kommen Sie an diese ausgezeichneten Weine? Die kosten doch auch Geld.«

Die Oberin lachelt uber ihr zerknittertes Elfenbeingesicht, das die blutlose Haut hat, die Klosterinsassen, Zuchthausler, Kranke und Bergwerksarbeiter haben.»Wir bekommen sie geschenkt. Es gibt einen frommen Weinhandler in der Stadt. Seine Frau war lange hier. Er schickt uns seitdem jedes Jahr ein paar Kisten.«

Ich frage nicht, warum er sie schickt. Ich erinnere mich daran, da? der Streiter Gottes, Bodendiek, auch nach der Messe sein Fruhstuck i?t, und ich gehe rasch los, um noch etwas zu retten.

Die Flasche ist naturlich schon halb leer. Auch Wernicke ist da; aber er trinkt nur Kaffee.»Die Flasche, aus der Sie sich soeben so freigebig einschenken, Hochwurden«, sage ich zu Bodendiek,»ist von der Oberin fur mich privat als Gehaltszulage heraufgeschickt worden.«

»Das wei? ich«, erwidert der Vikar.»Aber sind Sie nicht der Apostel der Toleranz, Sie munterer Atheist? Gonnen Sie Ihren Freunden also nur ruhig einen Tropfen. Eine ganze Flasche zum Fruhstuck ware fur Sie hochst ungesund.«

Ich antworte nicht. Der Kirchenmann halt das fur Schwache und holt sofort zur Attacke aus.»Was macht die Lebensangst?«fragt er und nimmt einen herzhaften Schluck.

»Was?«

»Die Lebensangst, die Ihnen aus allen Knochen dampft, wie -«

»Wie Ektoplasma«, wirft Wernicke hilfreich ein.

»Wie Schwei?«, sagt Bodendiek, der dem Arzt nicht traut.

»Wenn ich Lebensangst hatte, ware ich glaubiger Katholik«, erklare ich und ziehe die Flasche an mich.

»Unsinn! Wenn Sie glaubiger Katholik waren, hatten Sie keine Lebensangst.«

»Das ist kirchenvaterliche Haarspalterei.«

Bodendiek lacht.»Was wissen denn Sie schon von der exquisiten Geistigkeit unserer Kirchenvater, Sie junger Barbar?«

»Genug, um aufzuhoren bei dem jahrelangen Streit, den die Vater daruber hatten, ob Adam und Eva einen Nabel gehabt hatten oder nicht.«

Wernicke grinst. Bodendiek macht ein angewidertes Gesicht.»Billigste Unwissenheit und platter Materialismus, traut verbundet wie immer«, sagt er in die Richtung von Wernicke und mir.

»Sie sollten nicht mit der Wissenschaft auf einem so hohen Ro? sitzen«, erwidere ich.»Was wurden Sie machen, wenn Sie einen hochentzundeten Blinddarm hatten, und weit und breit ware nur ein einziger, erstklassiger, aber atheistischer Arzt zur Hilfe da? Beten oder sich von einem Heiden operieren lassen?«

»Beides, Sie Anfanger in der Dialektik – es wurde dem heidnischen Arzt eine Gelegenheit geben, sich Verdienst vor Gott zu erwerben.«

»Sie sollten sich uberhaupt nicht von einem Arzt behandeln lassen«, sage ich.»Wenn es Gottes Wille ware, so mu?ten Sie eben sterben, aber nicht versuchen, das zu korrigieren.«

Bodendiek winkt ab.»Jetzt kommt bald die Sache mit dem freien Willen und der Allmacht Gottes. Findige Untersekundaner glauben damit die gesamte Kirchenlehre zu widerlegen.«Er erhebt sich wohlwollend. Sein Schadel leuchtet von Gesundheit. Wernicke und ich sehen schmachtig gegen diesen Glaubensprotz aus.»Gegesegnete Mahlzeit!«sagt er.»Ich mu? noch zu meinen anderen Pfarrkindern.«

Niemand antwortet auf das Wort»andere«. Er rauscht ab.»Haben Sie schon beobachtet, da? Priester und Generale meistens steinalt werden?«frage ich Wernicke.

»Der Zahn des Zweifels und der Sorge nagt nicht an ihnen. Sie sind viel in frischer Luft, sind auf Lebenszeit angestellt und brauchen nicht zu denken. Der eine hat den Katechismus, der andere das Exerzierreglement. Au?erdem genie?en beide gro?tes Ansehen. Der eine ist hoffahig bei Gott, der andere beim Kaiser.«

Wernicke zundet sich eine Zigarette an.»Haben Sie auch bemerkt, wie vorteilhaft der Vikar kampft?«frage ich.

»Wir mussen seinen Glauben respektieren – er unsern Unglauben nicht.«

Wernicke blast den Rauch in meine Richtung.»Er macht Sie argerlich – Sie ihn nicht.«

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