betritt Lisa den Hof. Sie bluht vor Gesundheit und riecht stark nach Kummel.»Herzliche Gru?e von Gerda«, sagt sie zu mir.»Du sollst dich mal melden.«
In diesem Augenblick schie?t ein Liebespaar im Galopp hinter den Kreuzen hervor und heraus. Im Regenmantel und Nachthemd erscheint Wilke; Kurt Bach, der zweite Freidenker, folgt in schwarzem Pyjama mit russischer Bluse und Gurtel. Knopf heult weiter.
Gottlob ist es nicht weit vom Hospital. Der Arzt kommt bald. Er wird in Eile aufgeklart. Es ist unmoglich, Knopf von dem Obelisken zu losen. Deshalb werden ihm von seinen Kameraden die Hosen so weit heruntergezogen, da? seine mageren Arschbacken frei sind. Der Arzt, der aus dem Kriege schwierigere Situationen gewohnt ist, tupft Knopf mit einem Wattebausch ab, der in Alkohol getrankt ist, gibt Georg eine kleine Taschenlampe und jagt eine Spritze in Knopfs grell beleuchtetes Hinterteil. Knopf sieht sich halb um, la?t einen knatternden Furz fahren und gleitet am Obelisken herab. Der Arzt ist zuruckgesprungen, als hatte Knopf ihn erschossen.
Die Begleiter Knopfs heben ihn auf. Er halt den Fu? des Obelisken noch mit den Handen fest; aber sein Widerstand ist gebrochen. Ich verstehe, da? er in seiner Angst auf den Obelisken losgesturmt ist; er hat hier schone, sorglose Augenblicke ohne Nierenkoliken verbracht.
Man bringt ihn ins Haus.»Es war zu erwarten«, sagt Georg zu Bruggemann.»Wie kam es?«
Bruggemann schuttelt den Kopf.»Keine Ahnung. Er hatte gerade eine Wette gegen einen Mann aus Munster gewonnen. Hatte einen Korn vom Spatenbrau und einen vom Restaurant Blume richtig geraten. Der Mann aus Munster hatte sie im Auto geholt. Ich war Vertrauensmann. Wahrend nun der Mann aus Munster seine Brieftasche zuckt, wird Knopf plotzlich schneewei? und fangt an zu schwitzen. Gleich darauf liegt er schon auf der Erde und krummt sich und kotzt und heult. Den Rest haben Sie ja gesehen. Und wissen Sie, was das Schlimmste ist? Der Kerl aus Munster ist in der Aufregung durchgebrannt, ohne die Wette zu bezahlen. Und keiner kennt ihn, und wir haben uns auch in der Aufregung die Autonummer des Kerls nicht gemerkt.«
»Das ist naturlich grauenhaft«, sagt Georg.
»Wie man es nimmt. Schicksal mochte ich sagen.«
»Schicksal«, sage ich.»Wenn Sie etwas gegen Ihr Schicksal tun wollen, Herr Bruggemann, dann gehen Sie nicht uber die Hakenstra?e zuruck. Die Witwe Konersmann kontrolliert dort den Verkehr mit einer starken Taschenlampe, die sie sich ausgeborgt hat, in der einen und einer Bier?asche als Waffe in der anderen Hand. Nicht wahr, Lisa?«
Lisa nickt lebhaft.»Es ist eine volle Bier?asche. Wenn sie an Ihrem Schadel zerspringt, haben Sie gleich etwas Kuhlung.«
»Verdammt!«sagt Bruggemann.»Wie komme ich hier raus? Ist dies eine Sackgasse?«
»Zum Gluck nein«, erwidere ich.»Sie konnen hinten herum durch die Garten zur Bleibtreustra?e entkommen. Ich rate Ihnen, bald aufzubrechen; es wird hell.«
Bruggemann entschwindet. Heinrich Kroll besichtigt den Obelisken auf Schaden und verschwindet ebenfalls.
»So ist der Mensch«, sagt Wilke etwas allgemein, nickt zu den Knopfschen Fenstern empor, zum Garten hinuber, durch den Bruggemann schleicht, und wandert die Treppe zu seiner Werkstatt wieder empor. Er scheint diese Nacht dort zu schlafen und nicht zu arbeiten.
»Haben Sie wieder eine spiritistische Blumen-Manifestation gehabt?«frage ich.
»Nein, aber ich habe Bucher daruber bestellt.«
Frau Kroll hat plotzlich bemerkt, da? sie ihre Zahne vergessen hat, und ist langst ge?uchtet. Kurt Bach verschlingt Lisas nackte braune Schultern mit Kennerblicken, schiebt aber ab, als er keine Gegenliebe ?ndet.
»Stirbt der Alte?«fragt Lisa.
»Wahrscheinlich«, erwidert Georg.»Es ist ein Wunder, da? er nicht schon lange tot ist.«
Der Arzt kommt aus dem Hause Knopf.»Was ist es?«fragt Georg.
»Die Leber. Er ist schon seit langem fallig. Ich glaube nicht, da? er es diesmal schafft. Alles kaputt. Ein, zwei Tage, dann wird es vorbei sein.«
Knopfs Frau erscheint.»Also keinen Tropfen Alkohol!«sagt der Arzt zu ihr.»Haben Sie sein Schlafzimmer kontrolliert?«
»Genau, Herr Doktor. Meine Tochter und ich. Wir haben noch zwei Flaschen von dem Teufelszeug gefunden. Hier!«
Sie holt die Flaschen, entkorkt sie und will sie auslaufen lassen.
»Halt«, sage ich.»Das ist nun nicht gerade notig. Die Hauptsache ist, da? Knopf sie nicht kriegt, nicht wahr, Doktor?«
»Naturlich.«
Ein kraftiger Geruch nach gutem Korn verbreitet sich.
»Was soll ich denn damit im Hause machen?«klagt Frau Knopf.»Er ?ndet sie uberall. Er ist ein kolossaler Spurhund.«
»Die Sorge kann Ihnen abgenommen werden.«
Frau Knopf handigt dem Arzt und mir je eine Flasche aus. Der Arzt wirft mir einen Blick zu.»Was dem einen sein Verderben, ist dem andern seine Nachtigall«, sagt er und geht.
Frau Knopf schlie?t die Tur hinter sich. Nur noch Lisa, Georg und ich stehen drau?en.»Der Arzt glaubt auch, da? er stirbt, was?«fragt Lisa.
Georg nickt. Sein purpurner Pyjama wirkt schwarz in der spaten Nacht. Lisa frostelt und bleibt stehen.»Servus«, sage ich und lasse sie allein.
Von oben sehe ich die Witwe Konersmann als Schatten vor ihrem Hause patrouillieren. Sie lauert immer noch auf Bruggemanu. Nach einer Weile hore ich, wie unten leise die Tur zugezogen wird. Ich starre in die Nacht und denke an Knopf und dann an Isabelle. Gerade als ich schlafrig werde, sehe ich die Witwe Konersmann die Stra?e kreuzen. Sie glaubt wahrscheinlich, da? Bruggemann sich versteckt habe, und leuchtet unsern Hof nach ihm ab. Vor mir am Fenster liegt immer noch das alte Regenrohr, mit dem ich Knopf einst erschreckt habe. Fast bereue ich es jetzt, aber dann erblicke ich den wandernden Lichtkreis auf dem Hof und kann nicht widerstehen. Vorsichtig beuge ich mich vor und hauche mit tiefer Stimme hinein:»Wer stort mich hier?«und fuge einen Seufzer hinzu. Die Witwe Konersmann steht bocksteif. Dann zittert der Lichtkreis frenetisch uber Hof und Denkmaler.»Gott sei auch deiner Seele gnadig -«, hauche ich. Ich hatte gern in Bruggemanns Tonart geredet, beherrsche mich aber – auf das, was ich bis jetzt gesagt habe, kann mich die Konersmann nicht verklagen, wenn sie raus?ndet, was los ist.
Sie ?ndet es nicht heraus. Sie schleicht an der Mauer entlang zur Stra?e und rast zu ihrer Haustur hinuber. Ich hore noch, da? sie einen Schluckauf bekommt, dann ist alles still.
XXI
Ich vertreibe vorsichtig den ehemaligen Brieftrager Roth, einen kleinen Mann, dessen Amtsbezirk wahrend des Krieges unser Stadtteil gewesen ist. Roth war ein emp?ndsamer Mensch und nahm es sich sehr zu Herzen, da? er damals so oft zum Unglucksboten werden mu?te. In all den Jahren des Friedens hatte man ihm immer freudig entgegengesehen, wenn er Post brachte; im Kriege aber wurde er mehr und mehr eine Gestalt, die fast nurmehr Furcht ein?o?te. Er brachte die Einziehungsbefehle der Armee und die gefurchteten amtlichen Kuverts mit dem Inhalt:»Auf dem Felde der Ehre gefallen«, und je langer der Krieg dauerte, um so ofter brachte er sie, und sein Kommen weckte Jammer, Fluche und Tranen. Als er dann eines Tages sich selbst eines der gefurchteten Kuverts zustellen mu?te und eine Woche spater ein zweites, da war es aus mit ihm. Er wurde still und auf eine sanfte Weise verruckt und mu?te von der Postverwaltung pensioniert werden. Damit war er, wie so viele andere, zum langsamen Hungertode wahrend der In?ation verurteilt, da alle Pensionen immer viel zu spat aufgewertet wurden. Ein paar Bekannte nahmen sich des einsamen alten Mannes an, und ein paar Jahre nach dem Kriege begann er wieder auszugehen; doch sein Geist blieb verwirrt. Er glaubt, immer noch Brieftrager zu sein, und geht mit einer alten Berufskappe umher, um den Leuten weiter Nachrichten zu bringen; aber nach all den Unglucksmeldungen will er jetzt gute bringen. Er sammelt alte Briefumschlage und Postkarten, wo er sie ?ndet, und teilt sie dann aus als Nachrichten aus russischen Gefangenenlagern. Die Totgeglaubten seien noch am Leben,