erklart er dazu. Sie seien nicht gefallen. Bald kamen sie heim.

Ich betrachte die Karte, die er mir dieses Mal in die Hand gedruckt hat. Es ist eine uralte Drucksache mit der Aufforderung, an der Preu?ischen Kassenlotterie teilzunehmen; ein blodsinniger Witz heute, in der In?ation. Roth mu? sie irgendwo aus einem Papierkorb ge?scht haben; sie ist an einen Schlachter Sack gerichtet, der lange tot ist.»Danke vielmals«, sage ich.»Das ist eine rechte Freude!«

Roth nickt.»Sie kommen jetzt bald heim aus Ru?land, unsere Soldaten.«

»Ja, naturlich.«

»Sie kommen alle heim. Es dauert nur etwas lange. Ru?land ist so gro?.«

»Ihre Sohne auch, hoffe ich.«

Roths verwaschene Augen beleben sich.»Ja, meine auch. Ich habe schon Nachricht.«

»Noch einmal vielen Dank«, sage ich.

Roth lachelt, ohne mich anzusehen, und geht weiter. Die Postverwaltung hat anfangs versucht, ihn von seinen Gangen abzuhalten, und sogar seine Einsperrung beantragt; doch die Leute haben sich widersetzt, und man la?t ihn jetzt in Ruhe. In einer rechtspolitischen Kneipe sind allerdings ein paar Stammgaste vor kurzem einmal auf die Idee gekommen, Roth mit Briefen, in denen un?atige Beschimpfungen standen, zu politischen Gegnern zu schicken – ebenso mit zweideutigen Briefen zu alleinstehenden Frauen. Sie fanden das zwerchfellerschutternd. Auch Heinrich Kroll fand, es sei kerniger, volkstumlicher Humor. Heinrich ist in der Kneipe, unter seinesgleichen, uberhaupt ein ganz anderer Mann als bei uns; er gilt da sogar als Witzbold.

Roth hat naturlich langst vergessen, in welchen Hausern Leute gefallen sind. Er verteilt seine Karten wahllos, und obschon ein Beobachter der nationalen Biertrinker mitging und aufpa?te, da? die beleidigenden Briefe des Stammtisches an die richtigen Adressen gelangten, indem er Roth die Hauser zeigte und sich dann versteckte, passierte doch ab und zu ein Irrtum, und Roth verwechselte ein paar Briefe. So kam einer, der an Lisa gerichtet war, an den Vikar Bodendiek. Er enthielt eine Aufforderung zum Geschlechtsverkehr um ein Uhr nachts im Gebusch hinter der Marienkirche gegen das Entgelt von zehn Millionen Mark. Bodendiek beschlich die Beobachter wie Indianer, trat plotzlich zwischen sie, schlug zweien, ohne zu fragen, die Schadel zusammen und gab dem ?uchtenden dritten einen so furchtbaren Fu?tritt, da? er in die Luft gehoben wurde und nur mit Muhe entkommen konnte. Erst dann stellte Bodendiek, ein Meister in der Kunst, rasche Beichten zu erzielen, an die beiden Gefangenen seine Fragen, die durch Ohrfeigen mit seinen riesigen Bauernpfoten unterstutzt wurden. Die Bekenntnisse kamen bald, und da die beiden Erwischten katholisch waren, stellte er ihre Namen fest und befahl sie am nachsten Tag entweder zur Beichte oder zur Polizei. Sie kamen naturlich lieber zur Beichte. Bodendiek gab ihnen das Ego te absolvo, befolgte dabei aber das Rezept des Dompastors mit mir – er befahl ihnen, als Bu?e eine Woche nicht zu trinken und dann wieder zum Beichten zu kommen. Da beide furchteten, exkommuniziert zu werden, wenn sie die Bu?e nicht ausfuhrten, und da sie es nicht soweit kommen lassen wollten, mu?ten sie wieder erscheinen, und Bodendiek verdonnerte sie erbarmungslos, jede folgende Woche wieder zu beichten und nicht zu trinken, und machte so aus ihnen zahneknirschende, abstinente, erstklassige Christen. Er erfuhr nie, da? der dritte Sunder der Major Wolkenstein war, der nach dem Fu?tritt eine Prostatakur durchmachen mu?te, dadurch politisch noch bedeutend scharfer wurde und schlie?lich zu den Nazis uberging.

Die Turen zum Hause Knopf stehen offen. Die Nahmaschinen summen. Am Morgen sind Sto?e von schwarzem Tuch hereingeschafft worden, und Mutter und Tochter arbeiten jetzt an ihren Trauerkleidern. Der Feldwebel ist noch nicht tot, aber der Arzt hat erklart, da? es nur noch eine Sache von Stunden oder hochstens Tagen sein konne. Er hat Knopf aufgegeben. Da die Familie es als schweren Reputationsverlust betrachten wurde, in hellen Kleidern dem Tode zu begegnen, wird eilig vorgesorgt. Im Augenblick, wo Knopf den letzten Atemzug tut, wird die Familie gerustet sein mit schwarzen Kleidern, einem Trauerschleier fur Frau Knopf, schwarzen, undurchsichtigen Strumpfen fur alle vier, und sogar mit schwarzen Huten. Der kleinburgerlichen Ehrbarkeit wird Genuge getan sein.

Georgs kahler Kopf schwimmt wie ein halber Kase uber den Fensterrand heran. Er ist begleitet von Tranen-Oskar.

»Wie steht der Dollar?«frage ich, als sie eintreten.

»Genau eine Milliarde heute um zwolf Uhr«, erwidert Georg.»Wir konnen es als Jubilaum feiern, wenn wir wollen.«

»Das konnen wir. Und wann sind wir pleite?«

»Wenn wir ausverkauft haben. Was trinken Sie, Herr Fuchs?«

»Was Sie haben. Schade, da? es hier in Werdenbruck keinen Wodka gibt!«

»Wodka? Waren Sie im Kriege in Ru?land?«

»Und wie! Ich war sogar Friedhofskommandant in Ru?land. Was waren das fur herrliche Zeiten!«

Wir blicken Oskar uberrascht an.»Herrliche Zeiten?«sage ich.»Das behaupten Sie, der Sie so feinfuhlig sind, da? Sie sogar auf Befehl weinen konnen?«

»Es waren herrliche Zeiten«, erklart Tranen-Oskar fest und beriecht seinen Korn, als hatten wir vor, ihn zu vergiften.»Reichlich zu essen, gut zu trinken, angenehmer Dienst, weit hinter der Front – was will man mehr? An den Tod gewohnt der Mensch sich ja wie an eine ansteckende Krankheit.«

Er probiert dandyhaft seinen Korn. Wir sind etwas perplex uber die Tiefe seiner Philosophie.»Manche Leute gewohnen sich an den Tod auch wie an einen vierten Mann beim Skatspielen«, sage ich.»Zum Beispiel der Totengraber Liebermann. Fur den ist es so, als ob er auf dem Friedhof einen Garten bearbeitet. Aber ein Kunstler wie Sie -!«

Oskar lachelt uberlegen.»Da ist noch ein Riesenunterschied! Liebermann fehlt das wirkliche metaphysische Feingefuhl: das ewige Stirb und Werde.«

Georg und ich sehen uns betroffen an. Sollte Tranen-Oskar ein verhinderter Poet sein?»Haben Sie das dauernd?«frage ich.»Dieses Stirb und Werde?«

»Mehr oder minder. Zumindest unbewu?t. Haben Sie es hier denn nicht, meine Herren?«

»Wir haben es mehr sporadisch«, erwidere ich.»Hauptsachlich vor dem Essen.«

»Einmal war der Besuch Seiner Majestat bei uns angesagt«, sagt Oskar traumerisch.»Gott, war das eine Aufregung! Zum Gluck waren noch zwei andere Friedhofe in der Nahe, und wir konnten ausborgen.«

»Was ausborgen?«fragt Georg.»Grabschmuck? Oder Blumen?«

»Ach, das war alles in Ordnung. Echt preu?isch, verstehen Sie? Nein, Leichen.«

»Leichen?«

»Naturlich, Leichen! Nicht als Leichen, selbstverstandlich, sondern als das, was sie vorher gewesen waren. Musketiere hatte jeder Friedhof naturlich ubergenug, Gefreite, Untero?ziere, Vizefeldwebel und Leutnants auch – aber dann, bei den hoheren Chargen, begannen die Schwierigkeiten. Mein Kollege auf dem Nachbarfriedhof hatte zum Beispiel drei Majore; ich hatte keinen. Dafur aber hatte ich zwei Oberstleutnants und einen Oberst. Ich tauschte mit ihm einen Oberstleutnant gegen zwei Majore. Au?erdem bekam ich bei dem Handel noch eine fette Gans dazu, so eine Schande schien es meinem Kollegen zu sein, keinen Oberstleumant zu haben. Er wu?te nicht, wie er Seiner Majestat ohne toten Oberstleutnant entgegentreten sollte.«

Georg bedeckt sein Gesicht mit der Hand.»Ich wage nicht einmal jetzt, daruber nachzudenken.«

Oskar nickt und zundet sich eine dunne Zigarette an.»Das war noch gar nichts gegen den dritten Friedhofskommandanten«, erklart er behaglich.»Der hatte uberhaupt kein hoheres Gemuse. Nicht einmal einen Major. Leutnants naturlich in rauhen Mengen. Er war verzweifelt. Ich war gut assortiert und tauschte schlie?lich einen der Majore, die ich fur meinen Oberstleutnant erhalten hatte, gegen zwei Hauptleute und einen etatsma?igen Feldwebel um, eigentlich mehr aus Kulanz. Hauptleute hatte ich selbst; nur der etatsma?ige Spie? war selten. Sie wissen, diese Schweine sitzen immer weit hinter der Front und kommen fast nie ins Feuer; dafur sind sie dann auch solche Leuteschinder – also ich nahm die drei aus Kulanz und weil es mir Freude machte, einen etatsma?igen Spie? zu haben, der nicht mehr brullen konnte.«

»Hatten Sie keinen General?«frage ich.

Oskar winkt ab.»General! Ein gefallener General ist so selten wie -«er sucht nach einem Vergleich.»Sind Sie Kafersammler?«

»Nein«, erwidern Georg und ich unisono.

»Schade«, sagt Oskar.»Also wie ein Riesenhirschkafer, Lucanus Cervus, oder, wenn Sie Schmetterlingssammler sind, wie ein Totenkopfschwarmer. Wie sollte es sonst Kriege geben? Schon

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