Sie schuttelt den Kopf und versucht, ihre Hande loszumachen.»Doch!«sage ich.»Es war falsch! Es war Hochmut, es waren Worte, es war Gerede -«

»Mach es doch nicht kaputt, Rudolf! Warum mu?t du etwas, was du haben willst, immer gleich kaputtmachen, wenn du es hast?«

»Ja«, sage ich.»Warum?«

»Das Feuer ohne Rauch und Asche. Mach es nicht kaputt. Leb wohl, Rudolf.«

Was ist das? denke ich. Es ist wie auf dem Theater, aber es kann doch nicht sein! Ist das ein Abschied? Aber wir haben doch schon so oft Abschied genommen, jeden Abend! Ich halte Isabelle fest.»Wir bleiben zusammen«, sage ich.

Sie nickt und legt den Kopf an meine Schulter, und ich fuhle plotzlich, da? sie weint.»Wozu weinst du?«frage ich.»Wir sind doch glucklich!«

»Ja«, sagt sie und ku?t mich und macht sich los.»Lebe wohl, Rudolf.«

»Wozu sagst du Lebewohl? Dies ist doch kein Abschied! Ich komme morgen wieder.«

Sie sieht mich an.»Ach, Rudolf«, sagt sie, als konne sie mir wieder etwas nicht klarmachen.»Wie soll man denn sterben konnen, wenn man nicht Abschied nehmen kann?«

»Ja«, sage ich.»Wie? Ich verstehe das auch nicht. Weder das eine noch das andere.«

Wir stehen vor dem Pavillon, in dem sie wohnt. Niemand ist in der Halle. Auf einem der Korbsessel liegt ein sehr buntes Tuch.

»Komm«, sagt Isabelle plotzlich.

Ich zogere einen Augenblick, aber ich kann um nichts in der Welt jetzt wieder nein sagen und gehe mit ihr deshalb die Treppe hinauf. Sie geht, ohne sich umzusehen, in ihr Zimmer. Ich bleibe in der Tur stehen. Sie schleudert mit einer raschen Bewegung die leichten goldenen Schuhe von ihren Fu?en und legt sich aufs Bett.»Komm!«sagt sie.»Rudolf!«

Ich setze mich zu ihr. Ich will sie nicht noch einmal enttauschen, aber ich wei? auch nicht, was ich tun soll, und ich wu?te nicht, was ich sagen sollte, wenn eine Schwester oder Wernicke hereinkame.»Komm«, sagt Isabelle.

Ich lege mich zuruck, und sie legt sich in meinen Arm.

»Endlich«, murmelt sie.»Rudolf«, und schlaft nach wenigen tiefen Atemzugen ein.

Es wird dunkel im Zimmer. Bleich steht das Fenster in der beginnenden Nacht. Ich hore Isabelle atmen und ab und zu Murmeln aus den Nachbarzimmern. Plotzlich wacht sie mit einem Ruck auf. Sie sto?t mich von sich, und ich spure, wie ihr Korper steif wird. Sie halt den Atem an.»Ich bin es«, sage ich.»Ich, Rudolf.«

»Wer?«

»Ich, Rudolf. Ich bin bei dir geblieben.«

»Du hast hier geschlafen?«

Ihre Stimme ist verandert. Sie ist hoch und atemlos.»Ich bin hiergeblieben«, sage ich.

»Geh!«?ustert sie.»Geh sofort!«

Ich wei? nicht, ob sie mich erkennt.»Wo ist das Licht?«

»Kein Licht! Kein Licht! Geh! Geh!«

Ich stehe auf und taste mich zur Tur.»Habe keine Angst, Isabelle«, sage ich.

Sie regt sich auf ihrem Bett, als versuche sie, die Decke uber sich zu ziehen.»So geh doch!«?ustert sie mit ihrer hohen, veranderten Stimme.»Sie sieht dich sonst, Ralph! Rasch!«

Ich ziehe die Tur hinter mir zu und gehe die Treppe hinunter. Unten sitzt die Nachtschwester. Sie wei?, da? ich Erlaubnis habe, Isabelle zu besuchen.»Ist sie ruhig?«fragt sie.

Ich nicke und gehe durch den Garten dem Tor zu, durch das die Gesunden herein- und hinausgehen. Was war nun das wieder? denke ich. Ralph, wer mag das sein? Sie hat mich noch nie so genannt. Und was meinte sie damit, da? man mich nicht sehen sollte? Ich bin doch schon ofter abends in ihrem Zimmer gewesen.

Ich gehe zur Stadt hinunter. Liebe, denke ich, und meine hochtrabenden Redensarten fallen mir wieder ein. Ich fuhle eine fast unertragliche Sehnsucht und ein fernes Grauen und etwas wie Flucht und gehe schneller und schneller, der Stadt entgegen mit ihrem Licht, ihrer Warme, ihrer Vulgaritat, ihrem Elend, ihrer Alltaglichkeit und ihrer gesunden Abkehr von Geheimnissen und vom Chaos, was fur einen Namen man ihm auch geben mag.

Nachts erwache ich von vielen Stimmen. Ich offne das Fenster und sehe, da? der Feldwebel Knopf nach Hause gebracht wird. Das ist bisher noch nie geschehen; er ist bisher immer noch mit eigener Kraft zuruckgekommen, wenn ihm der Schnaps auch aus den Augen lief. Er stohnt stark. Rundum werden einige Fenster hell.

»Ver?uchter Saufbold!«kreischt es aus dem einen. Es ist die Witwe Konersmann, die dort auf der Lauer liegt. Sie hat nichts zu tun und ist die Klatschtante der Stra?e. Ich habe sie in Verdacht, da? sie auch Georg und Lisa langst beobachtet.

»Halten Sie die Schnauze!«antwortet von der dunklen Stra?e ein anonymer Held.

Ich wei? nicht, ob er die Witwe Konersmann kennt. Auf jeden Fall ergie?t sich nach einer Sekunde stummer Emporung ein solches Schimpfspulwasser uber den Mann, uber Knopf, uber die Sitten der Stadt, des Landes und der Menschheit, da? die Stra?te widerhallt. Endlich schweigt die Witwe. Ihre letzten Worte sind, da? sie Hindenburg, den Bischof, die Polizei und die Arbeitgeber des unbekannten Helden informieren werde.»Halten Sie die Schnauze, Sie ekelhafte Bei?zange!«erwidert der Mann, der ungewohnlich widerstandsfahig zu sein scheint, unter dem Schutz der Dunkelheit.»Herr Knopf ist schwer krank. Es ware besser, Sie waren es.«

Die Witwe tobt sofort wieder los, mit doppelter Kraft, was keiner fur moglich gehalten hatte. Sie versucht, mit einer elektrischen Taschenlampe den Missetater vom Fenster aus zu erkennen; aber das Licht ist zu schwach.

»Ich wei?, wer Sie sind!«zetert sie.»Sie sind Heinrich Bruggemann! Zuchthaus werden Sie dafur bekommen, eine schutzlose Witwe zu beleidigen, Sie Morder! Schon Ihre Mutter -«

Ich hore nicht weiter zu. Die Witwe hat ein gutes Publikum. Fast alle Fenster sind jetzt offen. Grunzen und Beifall tonen heraus. Ich gehe nach unten.

Knopf wird gerade hereingeschleppt. Er ist wei?, Wasser lauft ihm uber das Gesicht, und der Nietzsche- Schnauzbart hangt feucht uber die Lippen. Mit einem Schrei macht er sich plotzlich frei, torkelt ein paar Schritte vorwarts und springt unversehens auf den Obelisken zu. Er umklammert ihn mit beiden Armen und Beinen wie ein Frosch, pre?t sich gegen den Granit und heult.

Ich sehe mich um. Hinter mir steht Georg in seinem purpurnen Pyjama, dahinter die alte Frau Kroll ohne Zahne, in einem blauen Schlafrock, mit Lockenwicklern im Haar, dahinter Heinrich, der zu meinem Erstaunen im Pyjama, ohne Stahlhelm und Orden auftaucht. Immerhin, der Pyjama ist in den preu?ischen Farben gestreift, schwarz und wei?.

»Was ist los?«fragt Georg.»Delirium tremens? Wieder mal?«

Knopf hat es schon ein paarmal gehabt. Er kennt wei?e Elefanten, die aus der Wand kommen, und Luftschiffe, die durch Schlussellocher fahren.»Schlimmer«, sagt der Mann, der der Witwe Konersmann standgehalten hat. Es ist tatsachlich Heinrich Bruggemann, der Installateur.

»Die Leber und die Nieren. Er glaubt, sie waren geplatzt.«

»Warum schleppt ihr ihn dann hierher? Warum nicht zum Marienhospital?«

»Er will nicht ins Hospital.«

Die Familie Knopf erscheint. Voran Frau Knopf, hinter ihr die drei Tochter, alle vier zerzaust, verschlafen und erschreckt. Knopf heult unter einem neuen Anfall auf.

»Habt ihr einem Arzt telefoniert?«fragt Georg.

»Noch nicht. Wir hatten alle Hande voll zu tun, ihn hierherzubringen. Er wollte in den Flu? springen.«

Die vier weiblichen Knopfs bilden einen Klagechor um den Feldwebel. Heinrich ist ebenfalls zu ihm herangetreten und versucht, ihn als Mann, Kameraden, Soldaten und Deutschen zu beein?ussen, den Obelisken loszulassen und zu Bett zu gehen, um so mehr, als der Obelisk unter Knopfs Gewicht schwankt. Nicht nur Knopf sei in Gefahr durch den Obelisken, erklart Heinrich, sondern die Firma musse umgekehrt auch Knopf dafur verantwortlich machen, wenn dem Obelisken etwas passiere. Es sei wertvoller, hochpolierter S.-S.-Granit, der beim Fallen bestimmt beschadigt wurde.

Knopf versteht ihn nicht; er wiehert mit aufgerissenen Augen wie ein Pferd, das Geister sieht. Ich hore Georg aus dem Buro nach einem Arzt telefonieren. In einem Abendkleid aus leicht zerknittertem wei?en Satin

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