Wir sitzen im Zimmer des Dichterklubs. Ich bin hingegangen, um an etwas anderes zu denken als an Isabelle; aber plotzlich widert mich alles hier an. Wozu das Reimgeklingel? Die Welt dampft von Angst und Blut. Ich wei?, da? das eine verdammt billige Folgerung ist, und uberdies ist sie noch falsch – aber ich bin mude, mich selbst dauernd bei dramatisierten Banalitaten zu erwischen.»Also, was ist los?«frage ich.

Otto Bambuss sieht mich an wie eine Eule, die mit Buttermilch gefuttert ist.»Ich war dort«, sagt er vorwurfsvoll.»Noch einmal. Zuerst jagt ihr einen hin, und dann wollt ihr nichts mehr davon wissen!«

»Das ist immer so im Leben. Wo warst du?«

»In der Bahnstra?e. Im Bordell.«

»Was ist daran Neues?«frage ich, ohne recht hinzuhoren.

»Wir waren alle zusammen dort, wir haben fur dich bezahlt, und du bist ausgerissen. Sollen wir dir dafur ein Standbild setzen?«

»Ich war noch einmal dort«, sagt Otto.»Allein. Hor doch endlich einmal zu!«

»Wann?«

»Nach dem Abend in der Roten Muhle.«

»Na, und?«frage ich lustlos.»Bist du wieder vor den Tatsachen des Lebens ge?uchtet?«

»Nein«, erklart Otto.»Dieses Mal nicht.«

»Alle Achtung! War es das Eiserne Pferd?«

Bambuss errotet.»Das ist doch egal.«

»Gut«, sage ich.»Wozu redest du denn daruber? Es ist keine einzigartige Erfahrung. Ziemlich viele Leute in der Welt schlafen mit Frauen.«

»Du verstehst mich nicht. Es sind die Folgen.«

»Was fur Folgen? Ich bin uberzeugt, da? das Eiserne Pferd nicht krank ist. Man bildet sich so etwas immer leicht ein, besonders im Anfang.«

Otto macht ein gequaltes Gesicht.»So meine ich das nicht! Du kannst dir doch denken, weshalb ich es getan habe. Es ging alles ganz gut mit meinen beiden Zyklen, besonders mit dem „Weib in Scharlach“, aber ich dachte, ich brauchte noch mehr Inspiration. Ich wollte den Zyklus beenden, bevor ich aufs Dorf zuruck mu?. Deshalb ging ich noch einmal in die Bahnstra?e. Dieses Mal richtig. Und stell dir vor, seitdem: nichts! Nicht eine Zeile. Es ist wie abgeschnitten! Das Gegenteil sollte doch der Fall sein.«

Ich lache, obschon mir nicht danach zumute ist.»Das ist aber verdammtes Kunstlerpech!«

»Du kannst gut lachen«, sagt Bambuss aufgeregt.»Aber ich sitze da! Elf Sonette tadellos fertig, und beim zwolften dieses Ungluck! Es geht einfach nicht mehr! Die Phantasie setzt aus! Schlu?! Fertig!«

»Es ist der Fluch der Erfullung«, sagt Hungermann, der herangekommen ist und anscheinend die Sache schon kennt.»Sie la?t nichts ubrig. Ein hungriger Mann traumt vom Fressen. Einem satten ist es zuwider.«

»Er wird wieder hungrig werden, und die Traume werden wiederkommen«, erwidere ich.

»Bei dir; nicht bei Otto«, erklat Hungermann sehr zufrieden.

»Du bist ober?achlich und normal, Otto ist tief. Er hat einen Komplex durch einen anderen ersetzt. Lach nicht – es ist vielleicht sein Ende als Schriftsteller. Es ist, konnte man sagen, ein Begrabnis im Freudenhaus.«

»Ich bin leer«, sagt Otto verloren.»So leer wie noch nie. Ich habe mich ruiniert. Wo sind meine Traume? Erfullung ist der Feind der Sehnsucht. Ich hatte das wissen sollen!«

»Schreib was daruber«, sage ich.

»Keine schlechte Idee!«Hungermann zieht sein Notizbuch hervor.»Ich hatte sie ubrigens zuerst. Es ist auch nichts fur Otto; sein Stil ist dazu nicht hart genug.«

»Er kann es als Elegie schreiben. Oder als Lament. Kosmische Trauer, Sterne tropfen wie goldene Tranen, Gott selbst schluchzt, weil er die Welt so verpfuscht hat, Herbstwind harft ein Requiem dazu -«

Hungermann schreibt eifrig.»Welch ein Zufall«, sagt er zwischendurch.»Genau dasselbe mit fast denselben Worten habe ich vor einer Woche gesagt. Meine Frau ist Zeuge.«

Otto hat leicht die Ohren gespitzt.»Dazu kommt noch die Angst, da? ich mir was geholt habe«, sagt er.»Wie lange dauert es, bis man es erkennen kann?«

»Bei Tripper drei Tage, bei Lues vier Wochen«, erwidert der Ehemann Hungermann prompt.

»Du wirst dir nichts geholt haben«, sage ich.»Sonette kriegen keine Lues. Aber du kannst die Stimmung ausnutzen. Wirf das Steuer herum! Wenn du nicht dafur schreiben kannst, schreibe dagegen! Anstatt einer Hymne auf das Weib in Scharlach und Purpur eine atzende Klage. Eiter trauft aus den Sternen, in Geschwuren liegt Hiob, anscheinend der erste Syphilitiker, auf den Scherben des Weltalls, das Janusgesicht der Liebe, su?es Lacheln auf der einen, eine zerfressene Nase auf der anderen Seite -«

Ich sehe, da? Hungermann wieder schreibt.»Hast du das auch deiner Frau vor einer Woche erzahlt?«frage ich.

Er nickt strahlend.

»Weshalb schreibst du es dann auf?«

»Weil ich es wieder vergessen hatte. Kleinere Einfalle vergesse ich oft.«

»Ihr habt es leicht, euch uber mich lustig zu machen«, sagt Bambuss gekrankt.»Ich kann doch gar nicht gegen etwas schreiben. Ich bin Hymniker.«

»Schreib eine Hymne dagegen.«

»Hymnen kann man nur auf etwas schreiben«, belehrt mich Otto.»Nicht dagegen.«

»Dann schreib Hymnen auf die Tugend, die Reinheit, das monchische Leben, die Einsamkeit, die Versenkung in das Nachste und Fernste, was es gibt: das eigene Selbst.«

Otto horcht einen Augenblick mit schragem Kopf wie ein Jagdhund.» Hab‘ ich schon«, sagt er dann niedergeschlagen.»Es ist auch nicht ganz meine Art.«

»Zum Teufel mit deiner Art! Mach nicht so viele Anspruche!«

Ich stehe auf und gehe in den Nebenraum. Valentin Busch sitzt dort.»Komm«, sagt er.»Trink mit mir eine Flasche Johannisberger. Das wird Eduard argern.«

»Ich will heute keinen Menschen argern«, erwidere ich.

Als ich auf die Stra?e komme, steht Otto Bambuss schon da und starrt schmerzlich auf die Gipswalkuren, die den Eingang des»Walhalla«zieren.»So etwas«, sagt er ziellos.

»Weine nicht«, erklare ich, um ihn mir vom Halse zu schaffen.»Du gehorst offenbar zu den Fruhvollendeten, Kleist, Burger, Rimbaud, Buchner – den schonsten Gestalten im Dichterhimmel -, nimm es dir also nicht zu Herzen.«

»Aber die sind doch auch fruh gestorben!«

»Du kannst das auch noch, wenn du willst. Rimbaud hat ubrigens noch viele Jahre gelebt, nachdem er aufhorte zu schreiben. Als Abenteurer in Abessinien. Wie ware das?«

Otto sieht mich an wie ein Reh mit drei Beinen. Dann starrt er wieder auf die dicken Hintern und Bruste der Gipswalkuren.»Hor zu«, sage ich ungeduldig.»Schreib doch einen Zyklus:,Die Versuchungen des heiligen Antonius! Da hast du beides, Lust und Entsagung, und noch einen Haufen nebenbei.«

Ottos Gesicht belebt sich. Gleich darauf wird es konzentriert, soweit das bei einem Astralschaf mit sinnlichen Ambitionen moglich ist. Die deutsche Literatur scheint fur den Augenblick gerettet zu sein, denn ich bin ihm bereits bedeutend gleichgultiger. Abwesend winkt er mir zu und strebt die Stra?e hinab, dem heimatlichen Schreibtisch zu. Neidisch sehe ich ihm nach.

Das Buro liegt in schwarzem Frieden. Ich knipse das Licht an und ?nde einen Zettel:»Riesenfeld abgereist. Du bist also heute abend dienstfrei. Benutze die Zeit zum Knopfeputzen, Gehirnappell, Nagelschneiden und Gebet fur Kaiser und Reich, gez. Kroll, Feldwebel und Mensch. PS.: Wer schlaft, sundigt auch.«

Ich gehe hinauf zu meiner Bude. Das Klavier bleckt mich mit wei?en Zahnen an. Kalt starren die Bucher der Toten von den Wanden. Ich werfe eine Garbe von Septimen-Akkorden uber die Stra?e. Lisas Fenster offnet sich. Sie steht vor dem warmen Licht in einem Frisiermantel, der offen hangt, und halt ein Wagenrad von einem Blumenstrau? hoch.»Von Riesenfeld«, krachzt sie.»Was fur ein Idiot! Kannst du das Gemuse brauchen?«

Ich schuttle den Kopf. Isabelle wurde glauben, ihre Feinde beabsichtigen damit irgend etwas Niedertrachtiges, und Gerda habe ich so lange nicht gesehen, da? auch sie es falsch auffassen wurde. Sonst wei? ich niemand.

»Tatsachlich nicht?«fragt Lisa.

»Tatsachlich nicht.«

»Unglucksrabe! Aber sei froh! Ich glaube, du wirst erwachsen!«

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