Dreck, und damals sa?en wir im Fett. Die Schlu?folgerung werden ja wohl auch Sie ziehen konnen, wie?«
»Ich bin nicht sicher. Was ist sie?«
»Das ist doch verdammt einfach! Da? wir wieder einen Kaiser und eine anstandige nationale Regierung haben mussen!«
»Halt!«sage ich.»Sie haben etwas vergessen. Sie haben das wichtige Wort „weil“ vergessen. Das aber ist der Kern des Ubels. Es ist der Grund dafur, da? heute Millionen wie Sie mit hocherhobenen Russeln wieder solchen Unsinn herumtrompeten. Das kleine Wort „weil“.«
»Was?«fragt Heinrich verstandnislos.
»Weil!«wiederhole ich.»Das Wort: „weil“! Wir haben heute funf Millionen Arbeitslose, eine In?ation, und wir sind besiegt worden,
»Blodsinn!«poltert Heinrich aufgebracht.»Sie Kommunist!«
Georg bricht in ein wildes Gelachter aus.»Fur Heinrich ist jeder ein Kommunist, der nicht stramm rechts ist.«
Heinrich wolbt die Brust zu einer geharnischten Antwort. Das Bild seines Kaisers hat ihn stark gemacht. In diesem Augenblick tritt Kurt Bach ein.»Herr Kroll«, fragt er,»soll der Engel rechts oder links vom Text: „Hier ruht Spenglermeister Quartz“ stehen?«
»Was?«
»Der Engel im Relief auf dem Grabstein Quartz.«
»Rechts naturlich«, sagt Georg.»Engel stehen immer rechts.«
Heinrich wird aus einem nationalen Propheten wieder ein Grabsteinverkaufer.»Ich komme mit Ihnen«, erklart er mi?mutig und legt das Goldstuck zuruck auf den Tisch. Kurt Bach sieht es und greift danach.»Das waren Zeiten«, sagt er schwarmerisch.
»Fur Sie also auch«, erwidert Georg.»Was fur Zeiten waren es denn fur Sie?«
»Die Zeiten der freien Kunst! Brot kostete Pfennige, ein Schnaps einen Funfer, das Leben war voller Ideale, und mit ein paar solcher Goldfuchse konnte man ins gelobte Land Italia reisen, ohne Furcht, da? sie bei der Ankunft nichts mehr wert seien.«
Bach ku?t den Adler, legt ihn zuruck und wird wieder zehn Jahre alter. Heinrich und er entschwinden. Heinrich ruft zum Abschied, dustere Drohung auf seinem verfetteten Gesicht:»Kopfe werden noch rollen!«
»Was war das?«frage ich Georg erstaunt.»Ist das nicht eine der vertrauten Phrasen Watzeks? Stehen wir etwa vor einer Verbruderung der feindlichen Cousins?«
Georg sieht nachdenklich hinter Heinrich her.»Vielleicht«, sagt er.»Dann wird es gefahrlich. Wei?t du, was so hoffnungslos ist? Heinrich war 1918 ein rabiater Kriegsgegner. Inzwischen hat er alles vergessen, was ihn dazu machte, und der Krieg ist fur ihn wieder ein frischfrohliches Abenteuer geworden.«Er steckt das Zwanzigmarkstuck in die Westentasche.»Alles wird zum Abenteuer, was man uberlebt. Das ist so zum Kotzen! Und je schrecklicher es war, um so abenteuerlicher wird es in der Erinnerung. Wirklich uber den Krieg konnten nur die Toten urteilen; sie allein haben ihn ganz erlebt.«
Er sieht mich an.»Erlebt?«sage ich,»erstorben.«
»Sie und die, die das nicht vergessen«, erwidert er.»Aber das sind wenige. Unser verdammtes Gedachtnis ist ein Sieb. Es will uberleben. Und uberleben kann man nur durch Vergessen.«
Er setzt seinen Hut auf.»Komm«, sagt er.»Wir wollen sehen, was fur Zeiten unser goldener Vogel in Eduard Knoblochs Gedachtnis hervorruft.«
»Isabelle!«sage ich tief erstaunt.
Ich sehe sie auf der Terrasse vor dem Pavillon fur die Unheilbaren sitzen. Nichts ist mehr da von der zuckenden, gequalten Kreatur, die ich das letztemal gesehen habe. Ihre Augen sind klar, ihr Gesicht ist ruhig, und sie scheint mir schoner, als ich sie je vorher gekannt habe – aber das kann auch durch den Gegensatz zum letzten Mal kommen.
Es hat nachmittags geregnet, und der Garten blinkt von Feuchtigkeit und Sonne. Uber der Stadt schwimmen Wolken vor einem reinen, mittelalterlichen Blau, und ganze Fensterfronten sind in Spiegelgalerien verwandelt. Isabelle tragt ein Abendkleid, unbekummert um die Zeit, aus einem sehr weichen schwarzen Stoff, und ihre goldenen Schuhe. Am rechten Arm hangt eine Kette aus Smaragden – sie mu? mehr wert sein als unsere gesamte Firma, einschlie?lich des Lagers, der Hauser und des Einkommens der nachsten funf Jahre. Sie hat sie vorher noch nie getragen. Es ist ein Tag der Kostbarkeiten, denke ich. Zuerst der goldene Wilhelm II., und jetzt dieses! Aber die Kette ruhrt mich nicht.
»Horst du sie?«fragt Isabelle.»Sie haben getrunken, tief und viel, und nun sind sie ruhig und satt und zufrieden. Sie summen tief, wie Millionen Bienen.«
»Wer?«
»Die Baume und all die Busche. Hast du sie gestern nicht schreien gehort, als es so trocken war?«
»Konnen sie schreien?«
»Naturlich. Kannst du das nicht horen?«
»Nein«, sage ich und sehe auf das Armband, das funkelt, als hatte es grune Augen.
Isabelle lacht.»Ach, Rudolf, du horst so wenig!«sagt sie zartlich.»Deine Ohren sind zugewachsen wie Buchsbaumgebusch. Und dann machst du auch so viel Larm – deshalb horst du nichts.«
»Ich mache Larm? Wieso?«
»Nicht mit Worten. Aber sonst machst du einen furchtbaren Larm, Rudolf. Oft bist du kaum zu ertragen. Du machst mehr Larm als die Hortensien, wenn sie durstig sind, und das sind doch wahrhaftig machtige Schreier.«
»Was macht denn Larm bei mir?«
»Alles. Deine Wunsche. Dein Herz. Deine Unzufriedenheit. Deine Eitelkeit. Deine Unentschlossenheit -«
»Eitelkeit?«sage ich.»Ich bin nicht eitel.«
»Naturlich -«
»Ausgeschlossen!«erwidere ich und wei?, da? es nicht stimmt, was ich sage.
Isabelle ku?t mich rasch.»Mach mich nicht mude, Rudolf! Du bist immer so genau mit Namen. Du hei?t auch eigentlich nicht Rudolf, wie? Wie hei?t du denn?«
»Ludwig«, sage ich uberrascht. Es ist das erstemal, da? sie mich danach fragt.
»Ja, Ludwig. Bist du deines Namens niemals mude?«
»Das schon. Meiner selber auch.«
Sie nickt, als ware das das Selbstverstandlichste der Welt.
»Dann wechsle ihn doch. Warum willst du nicht Rudolf sein? Oder jemand anders. Reise doch weg. Geh in ein anderes Land. Jeder Name ist eines.«
»Ich hei?e nun einmal Ludwig. Was ist da zu andern? Jeder wei? es hier.«
Sie scheint mich nicht gehort zu haben.»Ich werde auch bald weggehen«, sagt sie.»Ich fuhle es. Ich bin mude und meiner Mudigkeit mude. Es ist alles schon etwas leer und voll Abschied und Schwermut und Warten.«
Ich sehe sie an und spure plotzlich eine jahe Angst. Was mag sie meinen?»Andert sich nicht jeder immerfort?«frage ich.
Sie blickt zur Stadt hinuber.»Das meine ich nicht, Rudolf. Ich glaube, es gibt noch ein anderes Andern. Ein gro?eres. Eines, das wie Sterben ist. Ich glaube, es ist Sterben.«
Sie schuttelt den Kopf, ohne mich anzusehen.»Es riecht uberall danach«, ?ustert sie.»Auch in den Baumen und im Nebel. Es tropft nachts vom Himmel. Die Schatten sind voll davon. Und in den Gelenken ist die Mudigkeit. Sie hat sich hineingeschlichen. Ich gehe nicht mehr gern, Rudolf. Es war schon mit dir, auch wenn du mich nicht verstanden hast. Du warst doch wenigstens da. Sonst ware ich ganz allein gewesen.«