»Ich bin gefallen, Herr Obersturmfuhrer.« 509 atmete auf. Dies war schon wieder die alte Routine.

Ein Witz noch aus Den Anfangszeiten. Niemand durfte jemals zugeben, geschlagen worden zu sein.

Weber sah ihn noch einmal an. »Irgendwoher kenne ich die Fresse«, murmelte er.

Dann offnete er die Tur. »Schafft die beiden hier in den Bunker. Zwei Tage.« Er wendete sich wieder zu 509 und Bucher. »Glaubt nur nicht, da? ihr entwischt seid, ihr Dreckfinken! Ich hange euch noch!«

Man schleppte sie hinaus. 509 schlo? die Augen vor Schmerzen. Dann spurte er die Luft drau?en.

Er offnete die Augen wieder. Da war der Himmel. Blau und endlos. Er drehte den Kopf zu Bucher hinuber und sah ihn an. Sie waren entkommen. Soweit wenigstens. Es war schwer zu glauben.

VII

Sie fielen aus den Bunkern, als der Scharfuhrer Breuer zwei Tage spater die Turen offnen lie?.

Beide waren die letzten drei?ig Stunden von Halbbewu?tlosigkeit in Bewu?tlosigkeit getaumelt.

Am ersten Tage hatten sie sich noch ab und zu durch Klopfen verstandigen konnen; dann nicht mehr.

Man trug sie hinaus. Sie lagen auf dem Tanzplatz neben der Mauer, die das Krematorium umgab.

Hunderte von Menschen sahen sie; keiner ruhrte sie an. Keiner brachte sie fort. Keiner tat, als sehe er sie. Es war kein Befehl gegeben worden, was mit ihnen geschehen solle; deshalb existierten sie nicht. Wer sie angeruhrt hatte, ware selbst in den Bunker gekommen.

Zwei Stunden spater wurden die letzten Toten des Tages zum Krematorium gebracht.

»Was ist mit diesen?« fragte der SS-Mann, der Aufsicht hatte, trage »Kommen die mit 'rein?«

»Es sind zwei aus dem Bunker.«

»Sind sie abgekratzt?«

»Es sieht so aus.«

Der SS-Mann sah, da? die Hand von 509 sich langsam zur Faust schlo? und wieder offnete.

»Noch nicht ganz«, sagte er. Sein Rucken schmerzte ihn. Die letzte Nacht mit Fritzi in der »Fledermaus« war eine verfluchte Tour gewesen. Er schlo? die Augen. Er hatte gewonnen gegen Hoffmann. Hoffmann mit Wilma. Eine Flasche Hennessy.

Guter Kognak. Aber er war ausgepumpt. »Fragt im Bunker oder in der Schreibstube nach, wohin sie gehoren«, sagte er zu einem der Leichentrager.

Der Mann kam zuruck. Mit ihm kam eilig der rothaarige Schreiber. »Diese beiden sind aus dem Bunker entlassen«, meldete er. »Sie gehoren ins Kleine Lager. Sollten schon heute mittag entlassen werden. Befehl der Kommandantur.«

»Dann schafft sie hier weg.« Der SS-Mann sah faul auf seine Liste. »Ich habe achtunddrei?ig Abgange.« Er zahlte die Leichen, die in Reih und Glied vor dem Eingang lagen. »Achtunddrei?ig.

Richtig. Weg mit denen hier, sonst gibt es wieder neues Durcheinander.«

»Vier Mann! Bringt die beiden ins Kleine Lager!« rief der Leichenkapo.

Vier Leute griffen zu. »Hier heruber«, flusterte der rothaarige Schreiber. »Rasch! Von den Toten weg. Hier heruber!«

»Die sind doch schon so gut wie hin«, sagte einer der Trager.

»Halt die Schnauze! Los!«

Sie trugen 509 und Bucher von der Mauer weg. Der Schreiber beugte sich l uber sie und horchte.

»Sie sind nicht tot. Holt Bahren! Rasch!«

Er sah sich um. Er furchtete, da? Weber kommen, sich erinnern und die beiden hangen lassen wurde. Er blieb stehen, bis die Leute mit den Bahren kamen. Es waren roh gezimmerte Bretter, auf denen gewohnlich Leichen transportiert wurden.

»Packt sie auf! Schnell!«

Der Platz um das Tor und das Krematorium herum war immer gefahrlich.

SS-Leute trieben sich dort herum, und der Scharfuhrer Breuer war in der Nahe. Er lie? ungern jemand lebend aus dem Bunker entkommen. Der Befehl Neubauers war mit der Entlassung ausgefuhrt und erledigt, und 509 und Bucher waren jetzt wieder Freiwild. Jeder konnte seine Laune an ihnen austoben – von Weber ganz zu schweigen, dessen Ehre es fast erfordert hatte, sie erledigen zu lassen, hatte er gewu?t, da? sie noch lebten.

»Was fur ein Unsinn!« sagte einer der Trager mi?mutig. »Da schleppen wir die hier den ganzen Weg ins Kleine Lager, und morgen fruh mussen sie bestimmt wieder zuruckgebracht werden. Die halten nicht einmal mehr ein paar Stunden durch.«

»Was geht das dich an, du Idiot?« Der rothaarige Schreiber fauchte plotzlich vor Wut.

»Pack an! Vorwarts! Ist kein vernunftiger Mensch zwischen euch?«

»Hier«, sagte ein alterer Mann, der die Bahre, auf der 509 lag, anhob. »Was ist mit ihnen los?

Irgend etwas Besonderes?«

»Es sind zwei von Baracke 22.« Der Schreiber sah sich um und trat dicht an den Trager heran.

»Es sind die beiden, die sich vor zwei Tagen geweigert haben zu unterschreiben.«

»Was zu unterschreiben?«

»Die Erklarung fur den Meerschweinchendoktor. Die anderen vier hat er mitgenommen.«

»Was? Und die hier werden nicht gehenkt?«

»Nein.« Der Schreiber ging noch einige Schritte neben den Bahren her. »Sie sollen zuruck zu den Baracken. Das war der Befehl. Macht deshalb rasch, bevor jemand dazwischenkommt.«

»Ach so. Verstehe!«

Der Trager schritt plotzlich so kraftig aus, da? er dem vorderen Mann die Bahre in die Kniekehle stie?. »Was ist los?« fragte der argerlich. »Bist du verruckt geworden?«

»Nein. La? uns die beiden erst mal von hier wegschaffen. Ich sage dir spater, warum.«

Der Schreiber blieb zuruck. Die vier Trager marschierten jetzt schweigend und eilig, bis sie die Administrationsgebaude hinter sich hatten. Die Sonne ging unter. 509 und Bucher waren einen halben Tag langer im Bunker gewesen als befohlen worden war.

Diese kleine Variation hatte Breuer sich nicht nehmen lassen.

Der vordere Trager drehte sich um. »Also, was ist los? Sind das hier besondere Bonzen?«

»Nein. Aber es sind zwei von den Sechsen, die Weber Freitag aus dem Kleinen Lager geholt hat.«

»Was haben sie denn mit denen gemacht? Die sehen doch aus, als ob sie einfach zerschlagen worden sind.«

»Das sind sie auch. Weil sie sich geweigert haben, mit dem Stabsarzt zu gehen, der dabei war.

Versuchsstation vor der Stadt, sagt der rothaarige Schreiber. Er hat schon ofter welche geholt.«

Der vordere Trager stie? einen Pfiff aus. »Verdammt, und da leben die noch?«

»Das siehst du ja.«

Der erste schuttelte den Kopf,»Und jetzt werden sie aus dem Bunker sogar zuruckgeschickt?

Nicht gehenkt? Was ist los? So was habe ich lange nicht erlebt!«

Sie kamen zu den ersten Baracken. Es war Sonntag. Die Arbeitskommandos hatten den Tag uber gearbeitet und waren vor kurzem eingeruckt. Die Stra?en waren voll von Gefangenen. Die Nachricht verbreitete sich im Augenblick.

Man hatte im Lager gewu?t, wozu die sechs Mann abgeholt worden waren. Man hatte auch gewu?t, da? 509 und Bucher im Bunker waren; das war uber die Schreibstube rasch bekannt und wieder vergessen worden. Niemand hatte sie lebend zuruckerwartet.

Jetzt aber kamen sie – und sogar jeder, der nicht Bescheid wu?te, konnte sehen, da? sie nicht zuruckkamen, weil sie unbrauchbar gewesen waren, sonst waren sie nicht so zerschlagen gewesen.

»Komm«, sagte jemand aus der Menge zu dem hinteren Trager. »Ich helfe dir tragen.

Es geht dann besser.«

Er fa?te einen der Bahrengriffe. Ein anderer trat hinzu und nahm den zwei« ten, vorderen Griff.

Gleich darauf wurde jede Bahre von vier Gefangenen getragen. Es war nicht notig, 509 und Bucher waren

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