lange gemacht hatte! Er versuchte wieder den Militargru?. Langsamer! Nicht so rasch. Er sah sich im Spiegel des Kleiderschrankes, trat einige Schritte zuruck und ging auf sich zu. »Herr General, ich ubergebe hiermit -«

Ungefahr so. Fruher ubergab man dabei den Degen. Napoleon III. bei Sedan; er erinnerte sich daran, von der Schule her. Er hatte keinen Degen. Den Revolver?

Ausgeschlossen! Andererseits: Waffen konnte er nicht behalten, letzt fehlte einem doch das militarische Training. Sollte er das Koppel mit dem Revolver vorher abnehmen?

Er versuchte noch einmal einige Schritte. Nicht zu nah heran, naturlich. Einige Meter vorher halten.

»Herr General -«

Vielleicht auch: Herr Kamerad. Nein, nicht, wenn es ein General war. Aber vielleicht strammer Gru? und dann Handedruck. Kurz, korrekt. Kein Handeschutteln.

Schlie?lich: die Achtung des Feindes vor dem Feinde. Offizier zu Offizier. Kameraden eigentlich alle, im gro?en Sinne, wenn auch aus feindlichen Lagern. Man hatte verloren, nach tapferem Kampfe. Achtung dem ehrlichen Besiegten.

Neubauer fuhlte den fruheren Postsekretar in sich erbeben. Er spurte es wie einen historischen Augenblick. »Herr General «

Wurdig. Danach Handedruck. Vielleicht ein kurzes Essen zusammen, wie man es gehort hatte von ritterlichen Gegnern. Rommel mit gefangenen Englandern. Schade, da? man nicht Englisch sprach.

Nun, es gab Ubersetzer genug unter den Gefangenen im Lager.

Wie man sich in die alte Art, militarisch zu gru?en, rasch hineingewohnte! Im Grunde war man ja nie fanatischer Nazi gewesen. Viel eher Beamter, treuer Beamter des Vaterlandes. Weber und ahnliche Leute, Dietz und seine Clique, das waren Nazis.

Neubauer holte sich eine Zigarre. »Romeo und Julia.« Besser, man rauchte sie auf.

Vier, funf konnte man in der Kiste lassen. Eventuell dem Gegner prasentieren. Eine gute Zigarre uberbruckte vieles.

Er tat ein paar Zuge. Wenn die Gegner nun das Lager sehen wollten? Gut. Wenn ihnen etwas nicht pa?te – er hatte nur auf Befehl gehandelt. Soldaten verstanden das.

Blutenden Herzens oft. Aber – Ihm fiel plotzlich etwas ein. Essen, gutes, reichliches Essen! Das war es! Danach sah man immer zuerst. Er mu?te sofort anordnen, da? die Rationen erhoht wurden.

Damit konnte er zeigen, da? er gleich, als er keine Befehle mehr hatte, alles fur die Haftlinge getan hatte, was moglich war. Er wurde es den beiden Lageraltesten sogar personlich sagen. Das waren selbst Haftlinge. Die wurden dann fur ihn zeugen.

Steinbrenner stand vor Weber. Sein Gesicht glanzte vor Eifer. »Zwei Haftlinge beim Fluchtversuch erschossen«, meldete er. »Beides Kopfschusse.«

Weber erhob sich langsam und setzte sich nachlassig auf die Ecke seines Tisches.

»Auf welche Entfernung?«

»Einen auf drei?ig, den anderen auf vierzig Meter.«

»Wirklich?«

Steinbrenner wurde rot. Er hatte beide Haftlinge auf eine Entfernung von wenigen Metern erschossen – gerade weit genug entfernt, damit die Wunden keine Pulverrander zeigen konnten.

»Und es war ein Fluchtversuch?« fragte Weber »Zu Befehl.«

Beide wu?ten, da? es kein Fluchtversuch gewesen war. Es war nur der Name fur ein beliebtes Spiel der SS. Man nahm die Mutze eines Straflings, warf sie hinter sich und befahl ihm, sie wiederzuholen. Passierte er einen dabei, so erscho? man ihn von hinten wegen Fluchtversuchs. Der Schutze bekam dafur gewohnlich einige Tage Urlaub.

»Willst du auf Urlaub?« fragte Weber. »Nein.«

»Warum nicht?«

»Das sahe aus, als wollte ich mich drucken.«

Weber hob die Augenbrauen und begann langsam das Bein zu wippen, mit dem er auf dem Tisch sa?. Der Reflex der Sonne auf dem hin und her pendelnden Stiefel irrte uber die kahlen Wande wie ein heller, einsamer Schmetterling. »Du hast also keine Angst?« »Nein.« Steinbrenner blickte Weber fest an. »Gut. Wir brauchen gute Leute. Besonders jetzt.« Weber hatte Steinbrenner schon langere Zeit beobachtet. Er gefiel ihm. Er war sehr jung und hatte noch etwas von dem Fanatismus, fur den die SS einmal beruhmt gewesen war. »Besonders jetzt«, wiederholte Weber. »Wir brauchen jetzt eine SS der SS. Verstehst du das?« »Jawohl. Ich glaube wenigstens.« Steinbrenner errotete wieder. Weber war sein Vorbild. Er hatte fur ihn eine blinde Verehrung – so wie ein Knabe fur einen Indianerhauptling. Er hatte von Webers Mut in den Saalschlachten von 1933 gehort; er wu?te, da? er 1929 an der Ermordung von funf kommunistischen Arbeitern beteiligt gewesen war und dafur vier Monate im Gefangnis gesessen hatte – die Arbeiter waren nachts aus ihren Betten geholt und vor den Augen ihrer Angehorigen tot« getrampelt worden. Er kannte auch die Erzahlungen von Webers brutalen Verhoren bei der Gestapo und von seiner Rucksichtslosigkeit mit Staatsfeinden. Alles, was er sich wunschte, war, ebenso zu werden wie sein Ideal. Er war aufgewachsen mit den Lehren der Partei. Er war sieben Jahre alt gewesen, als der Nationalsozialismus zur Macht kam, und das vollkommene Produkt seiner Erziehung. »Es sind viel zu viele ohne genaue Prufung in die SS gekommen«, sagte Weber. »Jetzt fangt die Auslese an. Jetzt wird sich zeigen, was Klasse ist. Die faulen, schonen Zeiten sind vorbei. Wei?t du das?« »Jawohl.« Steinbrenner stand stramm. »Wir haben hier bereits ein Dutzend guter Leute. Mit der Lupe ausgesucht.« Weber blickte Steinbrenner prufend an. »Komm heute abend um halb neun hierher. Wir werden dann weitersehen.« Steinbrenner machte begeistert kehrt und marschierte ab. Weber stand auf und ging um den Tisch herum. Einer mehr, dachte er. Genug bereits, um dem Alten noch im letzten Augenblick grundlich seine Tour zu verderben. Er grinste. Er hatte langst gemerkt, da? Neubauer versuchen wollte, als saubergewaschener Engel dazustehen und alles auf ihn abzuwalzen. Das letzte war ihm gleich; er hatte genug auf dem Kerbholz – aber er liebte keine saubergewaschenen Engel.

Der Nachmittag schlich dahin. Die SS kam kaum noch ins Lager. Sie wu?te nicht, da? die Haftlinge Waffen hatten, und sie war auch nicht deswegen vor« nichtig. Selbst mit hundertmal soviel Revolvern hatten die Gefangenen irrt offenen Kampf keine Chance gehabt gegen die Maschinengewehre. Es war einfach die Menge der Haftlinge, vor der die SS plotzlich zuruckscheute. Um drei Uhr wurden durch den Lautsprecher die Namen von zwanzig Gefangenen bekanntgegeben – sie sollten sich in zehn Minuten am Tor einfinden, es konnte alles bedeuten – ein Verhor, Post oder den Tod. Die geheime Haftlingsleitung lie? alle zwanzig aus ihren Baracken verschwinden; sieben im Kleinen Lager. Der Befehl wurde wiederholt. Alle aufgerufenen Gefangenen waren politisch. Niemand befolgte den Befehl. Es war das erstemal, da? das Lager offen den Gehorsam verweigerte. Kurz darauf wurden samtliche Haftlinge zum Appellplatz beordert. Die geheime Lagerleitung gab die Parole aus, in den Baracken zu bleiben. Auf dem Appellplatz konnten die Haftlinge leichter zusammengeschossen werden. Weber wollte die Maschinengewehre in Aktion setzen, traute sich aber noch nicht, so offen gegen Neubauer zu handeln. Die Lagerleitung der Gefangenen wu?te durch die Schreibstube, da? der Befehl nicht von Neubauer, sondern allein von Weber gekommen war. Weber lie? durch den Lautsprecher erklaren, da? das Lager kein Essen bekommen wurde, ehe es nicht angetreten sei und die zwanzig politischen Gefangenen ausgeliefert hatte. Um vier Uhr nachmittags kam ein Befehl von Neubauer.

Die Lageraltesten sollten sofort zu ihm kommen. Sie folgten dem Befehl. Das Lager wartete in dumpfer Spannung, ob sie wiederkommen wurden.

Sie kamen nach einer halben Stunde zuruck. Neubauer hatte ihnen den Befehl fur den Transport gezeigt. Es war bereits der zweite gewesen. Innerhalb einer Stunde sollten zweitausend Mann gestellt werden und das Lager verlassen. Neubauer hatte sich bereit erklart, den Transport bis zum nachsten Morgen zu verschieben. Die geheime Lagerleitung trat sofort im Hospital zusammen. Sie erreichte zunachst, da? der SS-Arzt, Dr. Hoffmann, der umgefallen war, versprach, seinen Einflu? bei Neubauer zu benutzen, die Meldung der zwanzig politischen Gefangenen ebenfalls bis zum nachsten Tage zu verschieben und den Appell abzusagen. Dadurch wurde die Anordnung, kein Essen auszugeben, hinfallig werden. Der Arzt ging sofort. Die Lagerleitung beschlo?, am nachsten Morgen auf keinen Fall Leute zum Transport zu stellen. Wenn die SS die zweitausend Mann zusammentreiben wollte, sollte sabotiert werden. Die Gefangenen sollten in Baracken und Stra?en zu entkommen suchen. Der Lagerschutz, der aus Haftlingen bestand, wollte dabei behilflich sein. Es war anzunehmen, da? die SS, abgesehen von einem Dutzend Leuten, kein Interesse zeigen wurde, sich durch allzu gro?en Diensteifer auszuzeichnen. Diese Meldung war durch den SS-Scharfuhrer Bieder gekommen, der als zuverlassig galt. Als letztes kam ein Entschlu? von zweihundert tschechischen Haftlingen. Sie erklarten sich bereit, als erste zu gehen, wenn der Transport doch

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