Die Sphinx schenkte ihm ein breites Lacheln. Sie erhob sich, streckte die Vorderbeine aus und wich dann zur Seite, um ihn vorbeizulassen.
»Danke!«, sagte Harry und hastete weiter, noch immer verblufft von seiner Glanzleistung.
Er mu?te jetzt ganz nah dran sein, das war sicher… sein Zauberstab sagte ihm, da? er genau auf Kurs war; wenn er jetzt nicht auf irgend etwas allzu Schreckliches stie?, dann hatte er durchaus eine Chance…
Vor ihm gabelte sich der Weg erneut.»Weise mir die Richtung!«, flusterte er seinem Zauberstab zu, und der Stab wirbelte herum und deutete mit der Spitze auf den rechten Abzweig. Er sturzte sich hinein und jetzt sah er vor sich ein Licht.
Keine hundert Meter entfernt, auf einer Saule, schimmerte ihm der Trimagische Pokal entgegen. Harry hatte gerade zum Spurt angesetzt, als eine dunkle Gestalt vor ihm auf den Weg sprang.
Cedric wurde als Erster da sein. Cedric rannte, so schnell er konnte, auf den Pokal zu, und Harry wu?te, er wurde ihn nicht mehr einholen konnen, Cedric war viel gro?er als er und hatte langere Beine -
Dann sah er, uber einer Hecke links von ihm, etwas ungeheuer Gro?es, das sich rasch auf einem Pfad bewegte, der den ihrigen kreuzte, und Cedric, der nur noch den Pokal im Auge hatte, wurde blindlings in dieses Ungeheuer hineinlaufen -
.»Cedric!«, brullte Harry.»Pa? auf – da links!«
Cedric wandte gerade noch rechtzeitig den Kopf. Er hechtete an dem Wesen vorbei und konnte einen Zusammenprall vermeiden, doch in seiner Hast stolperte er. Harry sah, wie ihm der Zauberstab wegflog und er sturzte, und nun erschien eine gigantische Spinne auf dem Weg und richtete sich drohend uber Cedric auf.
»Stupor!«, schrie Harry; der Fluch traf den riesigen, haarigen Korper der Spinne, doch er hatte sie genauso gut mit einem Stein bewerfen konnen, so wenig richtete er aus; die Spinne zuckte, drehte sich blitzschnell um und ging nun auf Harry los.
»Stupor! Impedimental! Stupor!«
Doch es nutzte alles nichts – die Spinne war entweder zu gro? oder so magisch, da? Fluche sie nur noch rasender machten – einen schrecklichen Augenblick lang sah Harry acht glimmende schwarze Augen und rasiermesserscharfe Greifscheren, dann war sie uber ihm.
Sie zwangte ihn zwischen ihre Vorderbeine und hob ihn hoch; in verzweifelter Anstrengung schlug er mit den Fu?en um sich; doch er stie? mit dem Bein gegen eine Greifschere, und ein unertraglicher, schneidender Schmerz durchdrang ihn – er horte noch, wie auch Cedric»Stupor!«rief, doch sein Fluch richtete nicht mehr aus als der Harrys – die Spinne offnete erneut ihre Greifzangen; Harry hob den Zauberstab und rief:»Expelliarmus!«
Der Entwaffnungszauber wirkte – die Spinne lie? ihn los, doch das hie?, da? er vier Meter tief auf sein schon verletztes Bein fiel und es unter sich begrub. Ohne weiter zu uberlegen zielte er nach oben auf den Bauch der Spinne, wie schon bei dem Kroter, und rief»Stupor!«- im selben Augenblick wie Cedric.
Die beiden Fluche bewirkten zusammen, was mit einem allein nicht zu schaffen war – die Spinne knickte seitlich ein und rollte auf den Rucken, walzte dabei eine Hecke nieder und versperrte den Weg mit einem Gewirr haariger Beine.
»Harry!«, horte er Cedric rufen.»Bist du verletzt? Ist das Vieh auf dich gefallen?«
»Nein«, japste Harry. Er besah sich sein Bein. Es blutete heftig. Sein zerfetzter Umhang war mit einem zahen, klebrigen Sekret verschmiert. Er versuchte aufzustehen, doch sein Bein zitterte furchterlich und wollte seine Last nicht tragen. Nach Luft schnappend lehnte er sich gegen die Hecke und sah sich um.
Cedric stand keine paar Meter vom Trimagischen Pokal entfernt, der hinter ihm schimmerte.
»Nun nimm ihn schon«, keuchte Harry.»Los, beeil dich, nimm ihn. Du stehst doch davor.«
Doch Cedric ruhrte sich nicht. Er stand nur da und musterte Harry. Dann drehte er sich um und sah den Pokal an. Im goldenen Licht der Trophae konnte Harry den sehnsuchtigen Ausdruck in Cedrics Gesicht erkennen. Er drehte sich wieder zu Harry um, der sich inzwischen an die Hecke klammerte, um nicht einzuknicken.
Cedric holte tief Luft.»Nimm du ihn. Du solltest gewinnen. Du hast mir hier drin zweimal den Hals gerettet.«
»Darum geht es hier aber nicht«, sagte Harry. Er spurte Zorn in sich hochkochen; die Wunde an seinem Bein schmerzte, und alle Knochen im Leib taten ihm weh von dem Versuch, sich der Spinne zu entwinden. Und nach all dieser Muhsal war ihm Cedric auch noch zuvorgekommen, wie schon bei Cho, die er als Erster zum Ball gebeten hatte.»Wer den Pokal zuerst erreicht, kriegt die Punkte. Und das bist du. Ich kann nur sagen, da? ich mit meinem Bein jedenfalls kein Wettrennen gewinnen kann.«
Cedric ging ein paar Schritte weg vom Pokal auf die gelahmte Spinne zu und schuttelte den Kopf.
»Nein«, sagte er.
»Hor auf, so verdammt edelmutig zu sein«, sagte Harry gereizt.»Nimm ihn einfach, dann kommen wir endlich hier raus.«
Cedric sah stumm zu, wie Harry sich verzweifelt an der Hecke festklammerte, um nicht hinzufallen.
»Du hast mir von den Drachen erzahlt«, sagte Cedric.»Ich war schon in der ersten Runde untergegangen, wenn du mir nicht gesagt hattest, was drankommt.«
»Da hat mir auch jemand geholfen«, fauchte Harry und muhte sich, sein blutuberstromtes Bein mit dem Umhang abzuwischen.»Du hast mir bei diesem Ei geholfen – wir sind quitt.«
»Bei diesem Ei hat mir zuallererst jemand geholfen«, sagte Cedric.
»Trotzdem sind wir quitt«, sagte Harry und versuchte behutsam sein Bein zu belasten; es zitterte heftig, als er damit auftrat; beim Sturz von der Spinne hatte er sich den Knochel verstaucht.
»Du hattest fur die zweite Aufgabe mehr Punkte bekommen sollen«, sagte Cedric storrisch.»Du bist da unten geblieben und wolltest alle Geiseln mitnehmen. Das hatte ich auch tun sollen.«
»Ich war der Einzige, der so blod war, dieses Lied ernst zu nehmen!«, sagte Harry erbittert.»Jetzt nimm schon diesen Pokal!«
»Nein«, sagte Cedric.
Er stieg uber das Gewirr der Spinnenbeine heruber zu Harry, der ihn sprachlos anstarrte. Cedric meinte es ernst. Er verzichtete auf eine Ruhmestat, wie sie seit Jahrhunderten keinem aus dem Haus Hufflepuff mehr gelungen war.
»Geh schon«, sagte Cedric. Er sah aus, als wurde ihn dies alle Entschlu?kraft kosten, die er aufbringen konnte, doch mit seiner festen Miene und den verschrankten Armen wirkte er unerschutterlich.
Harry lie? den Blick von Cedric zum Pokal wandern. Einen schimmernden Moment lang sah er sich, den Pokal in Handen, aus dem Irrgarten auftauchen. Er sah sich den Trimagischen Pokal in die Hohe halten, horte das Toben der Menge, sah Chos leuchtendes Gesicht, voll Bewunderung ihm zugewandt, sah es deutlicher als je zuvor… und dann verbla?te das Bild und er starrte nur noch in Cedrics abgeschattetes, stures Gesicht.
»Wir beide?«, fragte Harry.
»Was?«
»Wir nehmen ihn gleichzeitig. Dann ist es auch ein Sieg fur Hogwarts. Wir teilen ihn uns.«
Cedric starrte Harry an. Seine Arme losten sich aus der Verschrankung.»Das – das meinst du ernst?«
»Ja«, sagte Harry.»Ja… wir haben uns gegenseitig geholfen, oder nicht? Wir sind beide so weit gekommen. Dann nehmen wir ihn eben gemeinsam.«
Einen Moment lang sah Cedric aus, als wolle er seinen Ohren nicht trauen; doch dann trat ein breites Lacheln auf sein Gesicht.
»Einverstanden«, sagte er.»Komm mit.«
Er packte Harry unter der Achsel und half ihm, auf die Saule mit dem Pokal zuzuhumpeln. Als sie davor standen, hielt jeder die Hand uber einen der schimmernden Henkel des Pokals.
»Bei drei, ja?«, sagte Harry.»Eins – zwei – drei -«
Beide packten zu.
Im selben Moment spurte Harry irgendwo hinter seinem Nabel ein Rei?en. Er verlor den Boden unter den Fu?en. Er konnte seinen Griff um den Trimagischen Pokal nicht lockern, der ihn mit sich ri? und Cedric an seiner Seite, hinein in einen zornig wirbelnden Sturm aus Farben.
Fleisch, Blut und Knochen