»Ja?«, sagte Moody, und sein magisches Auge machte eine halbe Drehung und fixierte Neville.

»Es gibt noch den… den Cruciatus-Fluch«, sagte Neville leise, aber deutlich.

Moody sah Neville sehr aufmerksam an, diesmal mit beiden Augen.

»Dein Name ist Longbottom?«, sagte er, und sein magisches Auge stie? nach unten, um noch einmal die Liste zu prufen.

Neville nickte nervos, doch Moody fragte nicht weiter nach. Er wandte sich wieder der Klasse zu, steckte die Hand in das Glas, zog die nachste Spinne heraus und legte sie auf den Tisch, wo sie reglos stehen blieb, offenbar starr vor Angst.

»Der Cruciatus-Fluch«, sagte Moody.»Die mu? ein wenig gro?er werden, damit ihr euch eine Vorstellung davon machen konnt.«Er richtete den Zauberstab auf die Spinne.»Engorgio!«

Die Spinne schwoll an. Sie war jetzt gro?er als eine Tarantel. Alle falsche Gelassenheit fiel von Ron ab und er schob seinen Stuhl, so weit er konnte, von Moodys Tisch weg.

Moody hob erneut seinen Zauberstab und richtete ihn gegen die Spinne, dann murmelte er:»Crucio!«

Sofort falteten sich die Beine der Spinne uber ihrem Korper zusammen; sie rollte auf den Rucken und begann unter furchterlichen Krampfen hin und her zu wippen. Sie gab keinen Laut von sich, doch Harry wu?te, wenn sie eine Stimme gehabt hatte, dann hatte sie geschrien. Moody zog seinen Zauberstab nicht zuruck und die Spinne begann jetzt noch heftiger zu zittern und zu zucken -

»Aufhoren!«, kreischte Hermine.

Harry wandte sich zu ihr um. Hermines Blick galt nicht der Spinne, sondern Neville, und Harry sah jetzt, da? Neville die Hande an die Tischplatte geklammert hatte, die Knochel wei?, die weit aufgerissenen Augen von Grauen erfullt.

Moody hob den Zauberstab. Die Beine der Spinne erschlafften, doch sie horte nicht auf zu zucken.

»Reducio«, murmelte Moody und die Spinne schrumpfte wieder auf ihre normale Gro?e zusammen. Er steckte sie zuruck in das Glas.

»Schmerz«, sagte Moody leise.»Man braucht keine Daumenschrauben oder Messer, um jemanden zu foltern, wenn man den Cruciatus-Fluch beherrscht… auch dieser war einst sehr beliebt. Schon… kennt jemand noch einen?«

Harry sah sich um. Den Gesichtern seiner Mitschuler nach zu schlie?en fragten sie sich alle, was mit der letzten Spinne geschehen wurde. Hermines Hand zitterte leicht, als sie sich zum dritten Mal meldete.

»Ja?«, sagte Moody und sah sie an.

»Avada Kedavra«, flusterte Hermine.

Einige Schuler, darunter auch Ron, wandten sich voll Unbehagen zu ihr um.

»Aah«, sagte Moody, und ein weiteres leises Lacheln lie? seinen schrag sitzenden Mund zucken.»Ja, der letzte und schlimmste. Avada Kedavra… der todliche Fluch.«

Er steckte die Hand in das Glas, und als wu?te sie, was ihr bevorstand, krabbelte die dritte Spinne panisch auf dem Boden herum und versuchte Moodys Fingern zu entkommen, doch er schnappte sie und legte sie auf den Tisch, wo sie verzweifelt hin und her lief.

Moody hob den Zauberstab und Harry spurte das jahe Kribbeln einer bosen Vorahnung.

»Avada Kedavra«, donnerte Moody.

Ein glei?end heller gruner Lichtstrahl, ein scharfes Sirren, als ob ein machtiges, unsichtbares Etwas durch die Luft raste – und im selben Augenblick kullerte die Spinne auf den Rucken, unverletzt, doch offensichtlich tot. Einige Madchen stie?en erstickte Schreie aus; Ron hatte sich nach hinten geworfen und ware fast vom Stuhl gefallen, als die Spinne auf ihn zu rollte.

Moody wischte die tote Spinne vom Tisch.

»Nicht nett«, sagte er gelassen.»Nicht angenehm. Und es gibt keinen Gegenfluch. Man kann ihn nicht abwehren. Wir kennen bislang nur einen Menschen, der ihn uberlebt hat, und der sitzt hier vor mir.«

Harry spurte, wie er rot anlief, als Moodys Augen (diesmal beide) in die seinen blickten. Auch die Blicke aller anderen spurte er im Nacken. Harry starrte die leere Tafel an, als ob sie besonders spannend ware, doch im Grunde sah er sie gar nicht…

So also waren seine Eltern gestorben… genau wie diese Spinne. Waren auch sie ohne die Spur einer Verletzung geblieben? Hatten sie einfach nur den grunen Lichtstrahl gesehen und das Sirren des rasenden Todes gehort, bevor ihr Leben ausgeloscht wurde?

Seit drei Jahren schon stellte sich Harry den Tod seiner Eltern immer wieder vor, seit er herausgefunden hatte, da? sie ermordet worden waren, und wu?te, was in jener Nacht geschehen war: da? Wurmschwanz das Versteck seiner Eltern an Voldemort verraten hatte, der sie daraufhin in dem Haus aufgespurt hatte. Da? Voldemort zuerst Harrys Vater getotet hatte. Da? James Potter versucht hatte, ihn aufzuhalten, und seiner Frau zugerufen hatte, Harry an sich zu rei?en und zu fliehen… doch Voldemort war auf Lily Potter zugegangen und hatte ihr befohlen, beiseite zu treten, damit er Harry toten konnte… sie hatte ihn angefleht, sie an Harrys statt zu toten, hatte sich geweigert, Harry preiszugeben… und so hatte Voldemort auch sie ermordet und dann den Zauberstab gegen Harry gerichtet…

Harry kannte diese Einzelheiten, weil er die Stimmen seiner Eltern gehort hatte, als er letztes Jahr gegen die Dementoren kampfte – denn dies war die schreckliche Gabe der Dementoren: sie zwangen ihre Opfer, die schlimmsten Erinnerungen ihres Lebens noch einmal zu durchleiden und wehrlos in ihrer Verzweiflung zu ertrinken…

Moody begann erneut zu sprechen, doch fur Harry klang es wie aus weiter Ferne. Mit au?erster Kraft ri? er sich in die Gegenwart zuruck, um Moodys Worten zu lauschen.

»Avada Kedavra ist ein Fluch, hinter dem ein machtiges Stuck Magie stehen mu? – ihr konntet hier und jetzt eure Zauberstabe hervorholen, sie auf mich richten und die Worte sagen, und ich wurde mir vermutlich nicht mal eine blutige Nase holen. Aber das spielt keine Rolle. Ich bin nicht hier, um euch beizubringen, wie der Fluch funktioniert.

Wenn es keinen Gegenzauber gibt, warum zeige ich euch dann den Fluch? Weil ihr ihn kennen mu?t! Ihr mu?t das Schlimmste mit eigenen Augen gesehen haben. Ihr wollt euch doch nicht in eine Lage bringen, in der ihr es mit ihm zu tun bekommt. IMMER WACHSAM!«, polterte er und wieder zuckte die ganze Klasse zusammen.

»Nun… diese drei Fluche – Avada Kedavra, Imperius und Cruciatus – nennen wir die Unverzeihlichen Fluche. Wer auch nur einen von ihnen gegen einen Mitmenschen richtet, handelt sich einen lebenslangen Aufenthalt in Askaban ein. Dagegen steht ihr. Den Kampf gegen diese Fluche mu? ich euch beibringen. Ihr mu?t euch vorbereiten. Ihr mu?t euch wappnen. Doch vor allem mu?t ihr lernen, in eurer Wachsamkeit niemals nachzulassen. Holt eure Federn raus… und schreibt mit…«

Den Rest der Stunde verbrachten sie damit, sich zu jedem der Unverzeihlichen Fluche Notizen zu machen. Keiner sprach, bis es lautete – doch als Moody sie entlassen hatte und sie drau?en vor dem Klassenzimmer standen, brach ein Schwall von Worten aus ihnen heraus. Die meisten redeten mit angstlicher Stimme uber die Fluche -»Hast du gesehen, wie sie gezuckt hat?«-»… und dann hat er sie getotet – einfach so!«

Sie sprachen uber die Stunde, fand Harry, als ob sie eine atemberaubende Show gewesen ware, doch er hatte sie nicht besonders unterhaltsam gefunden – und wie es schien, auch Hermine nicht.

»Beeilt euch«, sagte sie in angespanntem Ton zu Harry und Ron.

»Nicht schon wieder die blode Bibliothek?«, sagte Ron.

»Nein«, sagte Hermine schroff und deutete in einen Seitengang.»Neville.«

Neville stand allein in der Mitte des Ganges und starrte auf die steinerne Wand gegenuber – mit denselben weit aufgerissenen, grauenerfullten Augen wie vorhin, als Moody den Cruciatus-Fluch gezeigt hatte.

»Neville?«, sagte Hermine mit sanfter Stimme.

Neville wandte sich um.

»Oh, hallo«, sagte er mit ungewohnlich hoher Stimme.»Interessante Stunde, nicht wahr? Bin gespannt, was es zu essen gibt, ich… ich verhungere gleich, du auch?«

»Neville, geht's dir gut?«, fragte Hermine.

»O ja, mir geht's blendend«, plapperte Neville immer noch mit unnaturlich hoher Stimme.»Sehr interessant, das Abendessen – der Unterricht, meine ich – was gibt's zu essen?«

Ron warf Harry einen verdutzten Blick zu.

»Neville… was -?«

Doch ein merkwurdig dumpfes Pochen ertonte hinter ihnen, sie wandten sich um und sahen Professor Moody

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