Es ist merkwurdig, doch wenn man schreckliche Angst vor etwas hat und alles dafur geben wurde, den Lauf der Zeit zu verlangsamen, hat dieses Etwas die lastige Gewohnheit, noch schneller zu kommen. Die Tage bis zur ersten Aufgabe glitten dahin, als ob sich jemand an den Uhren zu schaffen gemacht hatte und diese jetzt doppelt so schnell liefen. Wohin er auch ging, Harry lie? das Gefuhl kaum beherrschter Panik nicht los, es begleitete ihn genauso hartnackig wie der Spott uber den Artikel im Tagespropheten.
An dem Samstag vor der ersten Aufgabe durften alle Schuler ab der dritten Klasse das Dorf Hogsmeade besuchen. Hermine erklarte Harry, es wurde ihm gut tun, fur eine Weile aus dem Schlo? zu kommen, und Harry lie? sich nicht lange bitten.
»Aber was ist mit Ron?«, sagte er.»Willst du nicht mit ihm gehen?«
»Oh… na ja…«Hermine lief rosa an.»Ich dachte, wir konnten uns mit ihm in den Drei Besen treffen…«
»Nein«, sagte Harry nur.
»Ach, Harry, das ist doch bescheuert -«
»Ich komm mit, aber mit Ron treffe ich mich nicht, und ich trage meinen Tarnurnhang.«
»Na gut, von mir aus…«, fauchte Hermine,»aber ich kann es nicht ausstehen, mit dir zu reden, wenn du in diesem Umhang steckst, wo ich doch nie wei?, ob ich dich jetzt ansehe oder nicht.«
Also zog Harry im Schlafsaal seinen Tarnurnhang an, ging wieder nach unten und machte sich zusammen mit Hermine auf den Weg nach Hogsmeade.
Unter diesem Umhang fuhlte sich Harry wunderbar frei; er beobachtete, wie die anderen Schuler an ihnen vorbei ins Dorf gingen, die meisten mit CEDRIC DIGGORY-Ansteckern auf der Brust, doch zur Abwechslung mu?te er sich keine hamischen Bemerkungen anhoren und niemand las aus diesem furchterlichen Artikel vor.
»Mich starren die Leute jetzt standig an«, sagte Hermine mi?gelaunt, als sie aus dem Honigtopf kamen und sich uber die gro?en sahnegefullten Schokoriegel hermachten.»Sie glauben, ich fuhre Selbstgesprache.«
»Dann beweg eben deine Lippen nicht.«
»Hor mal zu, ich bitte dich, nimm doch fur eine Weile diesen Umhang ab. Hier belastigt dich doch keiner.«
»Ach ja?«, sagte Harry.»Dann dreh dich mal um.«
Rita Kimmkorn und ihr Freund, der Fotograf, hatten gerade den Pub Drei Besen verlassen. In ein gedampftes Gesprach vertieft, gingen sie direkt an Hermine vorbei ohne sie eines Blickes zu wurdigen. Harry druckte sich an die Hausmauer des Honigtopfes, denn er sah es schon kommen, da? ihm Rita Kimmkorn mit ihrer Krokodilledertasche eins uberzog.
Als sie vorbei waren, sagte Harry:»Sie hat sich hier im Dorf ein Zimmer genommen. Ich wette, sie sieht sich das Turnier an.«
Noch wahrend er sprach, durchflutete die Angst seinen Magen wie ein Strom hei?er Lava. Er sagte Hermine kein Wort davon; sie hatten kaum daruber gesprochen, was in der ersten Aufgabe wohl auf ihn zukommen wurde; er hatte den Eindruck, da? sie nicht daruber nachdenken wollte.
»Sie ist weg«, sagte Hermine und spahte durch Harry hindurch zum Ende der Hauptstra?e.»Wie war's, wenn wir in den Drei Besen ein Butterbier trinken? Es ist doch ziemlich frisch hier drau?en, oder? Und du mu?t ja nicht mit Ron reden!«, fugte sie, sein Schweigen richtig deutend, verargert hinzu.
Die Drei Besen waren brechend voll, vor allem mit Hog-wartsSchulern, die ihren freien Nachmittag feierten, doch auch mit einem Typ von magischen Menschen, wie sie Harry anderswo kaum zu Gesicht bekam. Da Hogsmeade das einzige nur von Zauberern und Hexen bewohnte Dorf in Gro?britannien war, vermutete Harry, da? es eine Art Zuflucht war fur Geschopfe wie die Sabberhexen, die sich nicht so geschickt tarnen konnten wie Zauberer.
Es war gar nicht einfach, sich mit dem Tarnurnhang durch die Menge zu bewegen, denn wenn man zufallig jemandem auf die Fu?e trat, fuhrte dies meist zu peinlichen Fragen. Harry schlangelte sich vorsichtig zu einem freien Tisch in der Ecke durch, wahrend Hermine an der Theke etwas zu trinken holte. Auf dem Weg nach hinten sah Harry Ron an einem Tisch mit Fred, George und Lee Jordan sitzen. Er hatte gro?e Lust, Ron einen deftigen Klaps auf den Hinterkopf zu versetzen, lie? es dann aber doch lieber sein. Endlich schaffte er es zu seinem Tisch und setzte sich.
Hermine kam einen Augenblick spater und schob ihm unauffallig ein Butterbier unter den Tarnurnhang.
»Die halten mich sicher fur bescheuert, hier ganz allein rumzusitzen«, murmelte sie.»Ein Gluck, da? ich was zum Arbeiten mitgebracht habe.«
Sie zog ein Notizbuch heraus, in dem sie eine Liste der B.ELFE.R-Mitglieder fuhrte. Harry sah seinen und Rons Namen ganz oben auf der sehr kurzen Liste stehen. Es schien so furchtbar lange her zu sein, da? er mit Ron zusammen an den Prophezeiungen gebastelt hatte, bis dann Hermine aufgetaucht war und sie zu Sekretar und Schatzmeister ernannt hatte.
»Wei?t du, vielleicht sollte ich einfach mal versuchen, ein paar von den Dorfleuten fur B-ELFE-R zu gewinnen«, sagte Hermine nachdenklich und sah sich im Pub um.
»Ja, schon gut«, sagte Harry. Er trank einen Schluck Butterbier unter seinem Tarnurnhang.»Hermine, wann gibst du diesen Belfer-Kram endlich auf?«
»Wenn die Hauselfen anstandige Lohne und Arbeitsbedingungen haben!«, zischelte sie zuruck.»Allmahlich glaube ich, es ist an der Zeit, etwas Handfestes zu unternehmen. Wei?t du zufallig, wie man in die Schulkuche kommt?«
»Keine Ahnung, frag doch Fred und George«, sagte Harry.
Hermine verfiel in nachdenkliches Schweigen; Harry trank sein Butterbier und beobachtete die Leute im Pub. Alle wirkten gut gelaunt und entspannt. Ernie Macmillan und Hannah Abbott, beide mit CEDRIC DIGGORY-An- steckern auf den Umhangen, tauschten an einem Nachbartisch Schokofrosch-Karten. Druben an der Tur sah er Cho und eine gro?ere Schar ihrer Freunde aus Ravenclaw. Einen CEDRIC DIGGORY-Anstecker trug sie allerdings nicht… und das munterte Harry ein wenig auf…
Was hatte er nicht alles gegeben, um zu ihnen zu gehoren, die da sa?en und lachten und sich unterhielten und keine gro?eren Sorgen kannten als die Erledigung ihrer Hausaufgaben! Er stellte sich vor, wie er sich hier fuhlen wurde, wenn der Feuerkelch nicht seinen Namen ausgespuckt hatte. Zunachst einmal wurde er keinen Tarnurnhang tragen. Ron wurde bei ihm sitzen. Alle drei wurden sie wahrscheinlich ganz ausgelassen daruber nachdenken, welche Aufgabe die Schul-Champions am Dienstag unter Todesgefahr zu losen haben wurden. Wie er sich darauf freuen wurde, ihnen zuzusehen… ungefahrdet irgendwo hinten auf den Rangen zu sitzen und Cedric anzufeuern…
Er fragte sich, wie sich die anderen Champions fuhlten. Jedes Mal, wenn er Cedric in letzter Zeit gesehen hatte, war er von Bewunderern umringt gewesen und hatte zwar nervos, aber auch freudig erregt ausgesehen. Fleur Delacour hatte Harry hin und wieder kurz im Vorbeigehen gesehen; sie wirkte so wie immer, hochmutig und nicht die Spur nervos. Und Krum sa? die ganze Zeit in der Bibliothek und brutete uber irgendwelchen Buchern.
Harry dachte an Sirius und der festgezurrte Knoten in seiner Brust schien sich ein wenig zu lockern. In gut zwolf Stunden wurde er mit ihm sprechen konnen, denn heute Nacht wollten sie sich am Kamin des Gemeinschaftsraums treffen – vorausgesetzt, da? nichts schief ging, wo doch in letzter Zeit alles schief gegangen war…
»Sieh mal, da ist Hagrid!«, sagte Hermine.
Hagrids gewaltiger zottiger Hinterkopf – die beiden Zopfe hatte er dankenswerterweise wieder aufgelost – tauchte uber der Menge auf. Harry fragte sich, warum er ihn nicht gleich gesehen hatte, da Hagrid so gro? war; doch als er vorsichtig aufstand, sah er, da? Hagrid sich hinuntergebeugt und mit Professor Moody gesprochen hatte. Hagrid hatte seinen ublichen machtigen Humpen vor sich, doch Moody trank aus seinem Flachmann. Madam Rosmerta, die hubsche Wirtin, schien davon nicht viel zu halten; als sie die Glaser von den umstehenden Tischen einsammelte, warf sie Moody einen scheelen Blick zu. Vielleicht dachte sie, Moody wurde ihren hei?en Met verschmahen, doch Harry wu?te es besser. Moody hatte ihnen in der letzten Stunde Verteidigung gegen die dunklen Kunste erzahlt, da? er es vorzog, sich sein Essen und seine Getranke immer selbst zu bereiten, da es fur einen schwarzen Magier so einfach war, einen unbewachten Becher zu vergiften. Harry sah jetzt, wie Hagrid und Moody Anstalten machten zu gehen. Er winkte ihnen, dann fiel ihm ein, da? Hagrid ihn ja gar nicht sehen konnte. Moody jedoch hielt inne, das magische Auge auf die Ecke gerichtet, in der Harry stand. Er stupste Hagrid ins Kreuz (seine Schulter konnte er ja nicht erreichen), murmelte etwas und die beiden kamen durch den Pub auf Harrys und Hermines Tisch zu.