Mrs Weasleys Geschrei, hundertmal lauter als sonst, lie? Teller und Loffel auf dem Tisch erzittern und hallte gellend laut von den steinernen Wanden wider. Alle Kopfe in der Halle wirbelten herum, neugierig, wer den Heuler bekommen hatte, und Ron versank so tief in seinen Stuhl, da? nur noch seine puterrote Stirn zu sehen war.
»… BRIEF VON DUMBLEDORE GESTERN ABEND, ICH DACHTE, DEIN VATER WURDE VOR SCHAM STERBEN, NACH ALLEM, WAS WIR FUR DICH GETAN HABEN, DU UND HARRY HATTET EUCH DEN HALS BRECHEN KONNEN…«
Harry hatte sich bereits gefragt, wann sein Name fallen wurde. Angestrengt versuchte er den Eindruck zu erwecken, als ob er die Stimme, die in seinen Trommelfellen drohnte, gar nicht horen wurde.
»… EINE UNGLAUBLICHE SCHANDE, DEIN VATER HAT EINE UNTERSUCHUNGSKOMMISSION AUF DEM HALS UND WENN DU DIR NOCH EINMAL DEN KLEINSTEN FEHLTRITT ERLAUBST, HOLEN WIR DICH SOFORT NACH HAUSE.«
Grabesstille machte sich breit. Der rote Umschlag, den Ron auf den Tisch hatte fallen lassen, flammte auf und zerschrumpelte zu Asche. Harry und Ron sa?en sprachlos da, als ware eine Flutwelle uber sie hinweggegangen. Ein paar Schuler lachten und allmahlich stellte sich wieder munteres Geplapper ein.
Hermine klappte Abstecher mit Vampiren zu und sah hinab zu Ron.
»Nun, ich wei? nicht, was du erwartet hast, Ron, aber du -«
»Sag blo? nicht, ich hab es verdient«, fauchte Ron sie an.
Harry schob den Haferbrei beiseite. Seine Eingeweide brannten vor Schuldgefuhlen. Mr Weasley mu?te im Ministerium eine Untersuchung uber sich ergehen lassen. Nach allem, was Mr und Mrs Weasley diesen Sommer fur ihn getan hatten…
Doch er hatte keine Zeit, daruber nachzugrubeln. Professor McGonagall ging am Tisch der Gryffindors entlang und verteilte Stundenplane. Harry nahm den seinen und stellte fest, da? sie als Erstes eine Doppelstunde Krauterkunde zusammen mit den Hufflepuffs hatten.
Harry, Ron und Hermine verlie?en zusammen das Schlo? und gingen durch den Gemusegarten hinuber zu den Gewachshausern, wo die Zauberpflanzen gezuchtet wurden. Zumindest fur eins war der Heuler gut gewesen: Hermine dachte nun offenbar, sie seien genug gestraft worden, und war wieder ausgesprochen freundlich zu ihnen.
Sie naherten sich den Gewachshausern und sahen schon die anderen aus der Klasse drau?en auf Professor Sprout warten. Kaum waren Harry, Ron und Hermine hinzugetreten, kam sie auch schon uber den Rasen geschritten – in Begleitung von Gilderoy Lockhart. Professor Sprout trug einen Arm voll Mullbinden, und mit einem erneuten Anflug von Schuldgefuhlen erkannte Harry in der Ferne die Peitschende Weide, die nun etliche Zweige in Bandagen hatte.
Professor Sprout war eine untersetzte kleine Hexe mit einem Flickenhut auf ihrem windzerzausten Haar; meist hatte sie eine ganze Menge Erde auf den Kleidern, und beim Anblick ihrer Fingernagel ware Tante Petunia in Ohnmacht gefallen. Tadellos gekleidet war dagegen Gilderoy Lockhart mit seinem wehenden turkisfarbenen Umhang. Sein goldenes Haar schimmerte unter einem perfekt sitzenden turkisfarbenen Hut mit Goldrand hervor.
»Oh, hallo, hallo!«, rief Lockhart und strahlte die versammelten Schuler an.»Hab eben kurz Professor Sprout erklart, wie man eine Peitschende Weide richtig verarztet! Aber ich mochte nicht, da? ihr jetzt denkt, ich sei besser in Pflanzenkunde als sie! Auf meinen Reisen sind mir nur zufallig einige dieser Exoten begegnet…«
»Gewachshaus drei heute, Freunde«, sagte Professor Sprout, die nicht wie sonst immer frohlich, sondern unverkennbar miesepetrig dreinsah.
Ein neugieriges Gemurmel lief durch die Umstehenden. Bisher hatten sie nur in Gewachshaus eins gearbeitet – Gewachshaus drei beherbergte viel interessantere und gefahrlichere Pflanzen. Professor Sprout nahm einen gro?en Schlussel von ihrem Gurtel und schlo? die Tur auf, Der Geruch von feuchter Erde und Dunger drang in Harrys Nase, vermischt mit dem schweren Parfumduft einiger riesiger, schirmartiger Blumen, die von der Decke herabhingen. Er wollte gerade hinter Ron und Hermine eintreten, als Lockhart blitzartig die Hand ausstreckte.
»Harry! Ich wollte kurz mit Ihnen sprechen. Sie haben doch nichts dagegen, wenn er ein paar Minuten spater kommt, nicht wahr, Professor Sprout?«
Nach Professor Sprouts Stirnrunzeln zu schlie?en hatte sie eine ganze Menge dagegen, doch Lockhart sagte:»Wunderbar«, und schlug ihr die Gewachshaustur vor der Nase zu.
»Harry«, sagte Lockhart kopfschuttelnd, und seine gro?en wei?en Zahne blitzten.»Harry, Harry, Harry.«
Harry schwieg vollig verdutzt.
»Als ich davon gehort hab – nun, naturlich war alles meine Schuld. Ich hatte mich ohrfeigen konnen.«
Harry hatte keine Ahnung, wovon er redete. Das wollte er gerade sagen, als Lockhart fortfuhr:»Wei? nicht, ob ich mich jemals so erschrocken habe. Einen Wagen nach Hogwarts zu fliegen! Nun, naturlich wusste ich sofort, warum Sie es getan haben. War eine ganz gro?e Sache. Harry, Harry, Harry.«
Erstaunlicherweise konnte er jeden einzelnen seiner blitzenden Zahne zeigen, selbst wenn er nicht sprach.
»Hab Sie auf den Geschmack gebracht, was offentliches Aufsehen angeht, nicht wahr?«, sagte Lockhart.»Es hat Sie gepackt. Sie sind mit mir auf die Titelseite gekommen und wollten es gleich noch mal probieren.«
»O nein, Professor, sehen Sie -«
»Harry, Harry, Harry«, sagte Lockhart, streckte die Hand aus und packte ihn an der Schulter.»Ich verstehe. Ist doch nur naturlich, da? man ein wenig mehr will, sobald man davon gekostet hat. Und ich mache mir Vorwurfe, Sie darauf gebracht zu haben, denn es mu?te Ihnen ja zu Kopfe steigen – doch sehen Sie mal, junger Mann, Sie konnen nicht einfach hingehen und mit Autos herumfliegen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Kommen Sie besser wieder auf den Boden. Wenn Sie alter sind, haben Sie noch genug Zeit fur derlei. Ja, ja, ich wei?, was Sie denken! >Der hat gut reden, er ist ja schon ein weltberuhmter Zauberer!< Aber als ich zwolf war, war ich auch nur ein niemand, genau wie Sie. Und eigentlich noch weniger als ein niemand! Immerhin haben einige Leute schon von Ihnen gehort, oder? Diese ganze Geschichte mit jenem, dessen Name nicht genannt werden darf!«Er betrachtete die blitzformige Narbe auf Harrys Stirn.»Ich wei?, das ist nichts gegen meine Auszeichnungen – funfmal in Folge den Charmantestes-Lacheln-Preis der Hexenwoche gewonnen – doch es ist ein Anfang, Harry, ein Anfang.«Er zwinkerte Harry kumpelhaft zu und schritt davon. Harry blieb ein paar Sekunden wie angewurzelt stehen, dann fiel ihm ein, da? er eigentlich im Gewachshaus sein sollte. Er offnete die Tur und glitt hinein.
Professor Sprout stand hinter einer aufgebockten Holzplatte mitten im Gewachshaus. Darauf lagen etwa zwanzig Paar verschiedenfarbiger Ohrschutzer. Harry stellte sich zwischen Ron und Hermine.»Heute werden wir Alraunen umtopfen. Nun, wer kann mir die Eigenschaften der Alraune nennen?«
Hermine streckte als Erste den Finger in die Hohe, woruber sich niemand wunderte.
»Die Alraune, oder Mandragora, ist eine machtige Ruckverwandlerin«, sagte Hermine und klang wie ublich, als hatte sie das Lehrbuch geschluckt.»Sie wird verwendet, um Verwandelte oder Verfluchte in ihren ursprunglichen Zustand zuruckzuversetzen.«
»Glanzend. Zehn Punkte fur Gryffindor«, sagte Professor Sprout.»Die Alraune bildet einen wesentlichen Bestandteil der meisten Gegengifte. Freilich ist auch sie gefahrlich. Wer kann mir sagen, warum?«
Hermines Hand scho? wieder hoch und verfehlte dabei knapp Harrys Brille.
»Der Schrei der Alraune ist todlich fur jeden, der ihn hort«, antwortete sie blitzschnell.