der durch Holzfallen ein ansehnliches Vermogen erworben hatte, aber darin keinen Grund sah, zu Hause anders zu reden ab in den Waldern.
Die neunzehnjahrige Vivian zeigte manchmal in einem interessanten Kontrast gleichzeitig die Robustheit ihres Vaters und die angeborene neuenglische Zartheit ihrer Mutter, die auch durch das enge Zusammenleben mit den Holzfallern Oregons nicht beeintrachtigt worden war. Wahrend der ersten drei Monate ihrer Ausbildung als Krankenschwester hatte Vivian in ihren Reaktionen auf das Krankenhaus und die Krankenpflege bereits manche Zuge ihrer beiden Eltern an sich entdeckt. Gleichzeitig und in gleicher Weise war sie von Ehrfurcht ergriffen und fasziniert, abgesto?en und angewidert. Sie vermutete, da? die erste nahe Begegnung mit Krankheit und Leiden fur einen Neuling immer mit einem Schock verbunden sei, aber diese Erkenntnis half nicht viel, wenn sich einem der Magen umdrehen wollte, und es erforderte die ganze Willenskraft, die man besa?, sich nicht abzuwenden und davonzulaufen.
Nach Augenblicken wie diesen fuhlte sie die Notwendigkeit eines Tapetenwechsels, eines reinigenden Gegenmittels. Und in gewissem Umfang hatte sie das in einer alten Liebe gefunden: in der Musik. Uberraschenderweise besa? Burlington fur eine Stadt seiner Gro?e ein ausgezeichnetes Symphonieorchester, und nachdem Vivian das entdeckt hatte, war sie eine seiner Verehrerinnen geworden. Sie beobachtete, da? der Wechsel im Tempo, die Wohltat guter Musik ihr halfen, fest und ihrer selbst sicher zu werden. Sie bedauerte es, als die Konzerte durch die Sommerpause unterbrochen wurden, und in letzter Zeit hatte es Augenblicke gegeben, in denen sie das Bedurfnis nach etwas empfand, das an deren Stelle treten konnte.
Allerdings war im Augenblick keine Zeit fur abschweifende, seltsame Gedanken. Die Pause zwischen dem Vormittagsunterricht und dem Dienstantritt in einem Krankensaal war kurz genug. Und jetzt dieser Rei?verschlu?!... Sie zerrte wieder, und plotzlich fa?ten die Zahne, der Rei?verschlu? schlo? sich. Erleichtert lief sie zur Tur, blieb dann stehen, um sich uber das Gesicht zu wischen. Himmel, war es hei?. Diese Anstrengung hatte sie in idiotisches Schwitzen versetzt.
So verging dieser Vormittag wie alle anderen Vormittage im ganzen Krankenhaus. In den Kliniken, den Sauglingsstationen, Laboratorien, Operationsraumen; in der Psychiatrie, der Kinderabteilung, der Hautklinik; in der Orthopadie, der Augenklinik, der Frauenklinik, der Urologie, in den Krankensalen der Fursorge und den Pavillons der Privatpatienten; in den anderen Abteilungen - Verwaltung, Buchhaltung, Einkauf, Haushalt; in den Wartezimmern, Korridoren, Aufzugen. Durch die funf Stockwerke, das Souterrain und den Keller des Three Counties Hospitals fluteten und ebbten die Wogen und Stromungen der Menschlichkeit und der Medizin.
Es war elf Uhr am funfzehnten Juli.
II
Zwei Blocks vom Three Counties Hospital entfernt schlug die Uhr vom Turm der Erloserkirche die volle Stunde, als Kent O'Donnell von der chirurgischen Abteilung zur Verwaltung hinunterging. Die Tone der Glocke, seit eh und je durch einen Fehler bei ihrem lange zuruckliegenden Gu? verstimmt, drangen durch ein offenes Fenster ins Treppenhaus. Automatisch verglich ODonnell die Zeit auf seiner Armbanduhr und wich einer Gruppe von Praktikanten aus, die eilig an ihm vorbei die Treppe fur Angestellte des Krankenhauses heraufdrangten. Ihre Schritte drohnten laut auf den eisernen Stufen. Die Praktikanten verlangsamten ihr Tempo etwas, als sie den Prasidenten des medizinischen Ausschusses sahen, und gru?ten mit einem respektvollen »Guten Morgen, Doktor«, als sie an ihm vorbeikamen. Im Gang auf der zweiten Etage blieb O'Donnell stehen, um eine Schwester mit einem Rollstuhl vorbeizulassen. In ihm sa? ein etwa zehnjahriges Madchen mit einem Verband uber einem Auge. Neben ihr ging, schutzend hinuntergebeugt, eine Frau, offensichtlich die Mutter.
Die Schwester, der er zulachelte, obwohl er sie nicht wiedererkannte, taxierte ihn verstohlen. Trotz seiner Anfang Vierzig drehten Frauen sich immer noch nach O'Donnell um. Er hatte sich die Form erhalten, dank der er in der Rugbymannschaft seines Colleges ein geschatzter Quarterback gewesen war, seine gro?e, aufrechte Gestalt, mit kraftigen, breiten Schultern und muskulosen Armen. Selbst heute noch hatte er die Eigenart, die Schultern zu heben, wenn er sich bereit machte, eine schwierige Aufgabe anzupacken oder eine Entscheidung zu treffen, als ob er sich unwillkurlich darauf vorbereite, den Angriff eines wild entschlossenen Sturmers abzuwehren. Doch trotz seines Gewichts, vorwiegend Muskeln und Knochen mit kaum einem Pfund uberflussigen Fetts, bewegte er sich leichtfu?ig, und regelma?iger Sport - Tennis im Sommer und Skilaufen im Winter - hatten ihn gesund und elastisch erhalten.
O'Donnell galt nie als schon im adonischen Sinn, sondern besa? kraftige, faltige, unregelma?ige Gesichtszuge (seine Nase zeigte immer noch die Narbe von einer alten Fu?ballverletzung), die Frauen an Mannern unbegreiflicherweise so haufig anziehend finden. Nur sein Haar zeigte erkennbare Spuren seiner Jahre; vor nicht langer Zeit noch pechschwarz, ergraute es jetzt schnell, als ob das Pigment plotzlich kapituliert und den Ruckzug angetreten hatte.
Jetzt horte O'Donnell hinter sich seinen Namen rufen. Er blieb stehen und sah sich um. Es war Bill Rufus, einer der alteren Chirurgen des Krankenhauses.
»Wie geht es, Bill?« O'Donnell hatte Rufus gern. Er war gewissenhaft und zuverlassig, ein guter Chirurg mit einer umfangreichen Praxis. Seine Patienten vertrauten ihm wegen seiner aufrichtigen Zuverlassigkeit, die zum Ausdruck kam, wenn er sprach. Er wurde von seinen Kollegen respektiert, Praktikanten und Assistenzarzte schatzten ihn, weil sie fanden, da? Dr. Rufus eine angenehme, nicht verletzende Art besa?, vernunftige Belehrungen zu erteilen und sie dabei als seinesgleichen zu behandeln, ein Verhalten, das bei anderen Chirurgen nicht immer zu finden war.
Seine einzige Absonderlichkeit, wenn man es so nennen wollte, war die Gewohnheit, unmoglich grelle Krawatten zu tragen. O'Donnell schauderte innerlich, als er die Schopfung sah, mit der sein Kollege sich heute zur Schau stellte: turkisfarbene Kreise und zinnoberrote Blitze auf einem Grund in Mauve und Zitronengelb. Bill Rufus nahm eine ganze Menge Anzuglichkeiten uber seine Krawatten hin. Einer der Psychiater hatte kurzlich behauptet, sie stellten einen Eiterherd eines innerlichen Garens unter einer konserva tiven Oberflache dar. Aber Rufus hatte nur gut gelaunt gelacht. Heute schien er allerdings in Sorge zu sein.
»Kent, ich mochte mit Ihnen reden«, sagte Rufus.
»Sollen wir in mein Zimmer gehen?« O'Donnell war neugierig. Rufus war nicht der Mann, der zu ihm kam, wenn es sich um etwas Unwichtiges handelte.
»Nein, wir konnen hier so gut reden wie irgendwo anders. Horen Sie, Kent, es handelt sich um die Befunde der Pathologie.«
Sie traten zu einem Fenster, um dem Hin und Her in dem Gang auszuweichen, und O'Donnell dachte: Das habe ich befurchtet. Zu Rufus sagte er: »Was haben Sie fur Sorgen, Bill?«
»Die Berichte brauchen zu lange. Viel zu lange.« O'Donnell kannte das Problem gut. Wie andere Chirurgen, operierte Rufus haufig Patienten mit einem Tumor. Wenn ein Tumor freigelegt war, wurde er zur Uberprufung durch den Pathologen des Hospitals, Dr. Joseph Pearson, entfernt. Der Pathologe nahm zwei Untersuchungen des Gewebes vor. Zuerst lie? er einen kleinen Teil gefrieren und untersuchte das Gewebe unter dem Mikroskop. Das geschah in einem kleinen Labor unmittelbar neben dem Operationsraum, wahrend der Patient noch in der Narkose lag. Diese Untersuchung ergab eines von zwei moglichen Urteilen. Lautete es auf >bosartig<, bedeutete es, da? Krebs vorlag, und wies auf die Notwendigkeit einer weiteren gro?en Operation des Patienten hin. Das Urteil >gutartig< bedeutete eine Erlosung und besagte im allgemeinen, da? der Patient nach der Entfernung des Tumors keiner weiteren Behandlung bedurfte. Wenn die Untersuchung des Gefrierschnittes die Diagnose >bosartig< ergab, wurde die Operation sofort weitergefuhrt. Andererseits war das Urteil >gutartig< des Pathologen fur den Chirurgen das Signal, den Operationsschnitt zu schlie?en und den Patienten in den Aufwachraum bringen zu lassen.
»Bei den Gefrierschnitten treten doch keine Verzogerungen auf, oder?« O'Donnell hatte noch keine Klage daruber gehort, aber er wollte Gewi?heit haben.
»Nein«, antwortete Rufus, »es gabe auch ein schones Geschrei, wenn das der Fall ware. Aber die Befunde uber die Gesamtuntersuchung des Gewebes, die brauchen zu lange.«
»Ich verstehe.« O'Donnell versuchte Zeit zu gewinnen, um zu uberlegen. Im Geist uberprufte er das Verfahren. Nach der Untersuchung des Gefrierschnittes wurde der entfernte Tumor in das Labor der Pathologie geschickt, wo ein Laborant verschiedene Gewebeschnitte vorbereitete, wobei er grundlicher und unter gunstigeren Bedingungen arbeiten konnte. Spater untersuchte der Pathologe die Schnitte und gab sein endgultiges Urteil ab. Manchmal erwies sich ein Tumor, der bei dem Gefrierschnitt als gutartig oder zweifelhaft klassifiziert worden war, bei dieser spateren, genaueren Untersuchung als bosartig, und es galt nicht als ungewohnlich, wenn der Pathologe nach seiner zweiten Untersuchung sein erstes Urteil revidierte. In diesen Fallen wurde der Patient in den