Aber Dua war ein so untypischer Gefuhlsling! Es schien ihr gleichgultig zu sein, da? sich Odeen und Tritt so nahestanden, und sie hatte keine guten Freundinnen unter den anderen Ge-fuhlslingen, die ihr diese Gleichgultigkeit ausgetrieben hatten. Ja, das war es: Dua war ein so untypischer Gefuhlsling.
Odeen mochte es sehr, wenn sie sich fur seine Arbeit interessierte, und freute sich uber ihren Einsatz und ihre erstaunliche Lernfahigkeit; aber das war nur eine intellektuelle Liebe. Seine tieferen Gefuhle galten dem geradlinigen, dummen Tritt, der seinen Platz genau kannte und der au?er dem absolut Notwendigen so wenig zu bieten hatte - die Sicherheit bewahrter Routine.
Doch jetzt war Odeen ungeduldig. 'Hast du nicht von Dua gehort, Tritt?' fragte er.
Tritt antwortete nicht direkt. 'Ich habe zu tun. Wir sprechen spater noch. Ich bin sehr beschaftigt gewesen', sagte er nur.
'Wo sind die Kinder? Bist du auch irgendwo unterwegs gewesen? Du hast eine ganz seltsame Aura.'
Leiser Arger schlich sich in Tritts Stimme: 'Die Kinder sind wohlerzogen. Sie konnen auch mal allein in die Gemeinschaftsaufsicht gehen. Also wirklich, Odeen, sie sind keine Babies mehr.' Doch die seltsame Aura stritt er nicht ab.
'Es tut mir leid. Ich will ja nur, da? Dua kommt.'
'Die Sehnsucht solltest du ofter haben', meinte Tritt. 'Du sagst mir immer, ich soll sie in Ruhe lassen. Nun geh sie auch suchen.' Und er verschwand im Hintergrund der Wohnhohle.
Odeen schaute seinem Rechtsling uberrascht nach. Normalerweise ware er dem anderen jetzt gefolgt, um die ungewohnliche Unruhe zu erkunden, die sich da durch die angeborene Schwerfalligkeit des Elterlings bemerkbar machte. Was hatte Tritt angestellt?
Aber er wartete auf Dua, wobei er von Sekunde zu Sekunde nervoser wurde - und er lie? Tritt in Ruhe.
Die Sorge scharfte Odeens Empfindungsvermogen. Im allgemeinen waren Denklinge fast stolz auf ihre unzureichende Wahrnehmung. Sie war keine Sache des Geistes; sie war Sache der Gefuhlslinge. Odeen war ein hochgradiger Denkling und legte Wert auf logisches Denken und nicht auf Gefuhl - trotzdem schickte er nun mit aller Kraft das unvollkommene Netz seiner Gefuhlswahrnehmung aus und wunschte sich einen kurzen Augenblick, Gefuhlsling zu sein, damit er seine Reichweite erhohen und besser beobachten konnte.
Schlie?lich erfullten seine Gaben doch ihren Zweck. Schwach machte er Duas Annaherung aus, in einer fur ihn ungewohnlichen Entfernung; und er eilte ihr entgegen. Und da er sie so weit entfernt bemerkte, war er sich ihrer durchscheinenden Struktur auch mehr bewu?t als sonst. Sie war eigentlich nur ein Nebelhauch, weiter nichts.
Tritt hatte recht, uberlegte Odeen in plotzlicher Sorge. Dua mu?te irgendwie zum Essen und Verschmelzen angehalten werden. Ihr Lebensinteresse mu?te angeregt werden.
So sehr konzentrierte er sich auf diese Dinge, da? er es als gar nicht ungewohnlich empfand, als sie ihm jetzt entgegensturzte und ihn praktisch umhullte, ohne sich darum zu kummern, da? sie gar nicht allein waren und beobachtet werden konnten, und schlie?lich sagte: 'Odeen, ich mu? alles wissen ... ich mu? so unendlich viel wissen...' Er nahm diesen Ausbruch als die Fortsetzung seines Gedankens.
Vorsichtig wich er zuruck und versuchte sich geziemend zu losen, ohne zugleich den Eindruck zu erwecken, als stie?e er sie zuruck. 'Komm! Ich habe schon auf dich gewartet. Sag mir, was du wissen willst. Wenn ich kann, werde ich es dir erklaren.'
Sie eilten nach Hause, und Odeen pa?te sich bereitwillig dem charakteristischen Schlangeln des Gefuhlslings an.
'Erzahl mir von dem anderen Universum', sagte Dua. 'Warum ist es anders? Inwiefern ist es anders? Erzahl mir alles daruber!'
Dua kam gar nicht in den Sinn, da? sie da sehr viel verlangte. Odeen, im Bewu?tsein seines umfangreichen Wissens, wollte schon fragen: 'Woher wei?t du so viel uber das andere Universum, da? du dich so dafur interessierst?'
Er unterdruckte die Frage. Dua war aus der Richtung der Hart-Hohlen gekommen. Vielleicht hatte Losten mit ihr gesprochen, in der Annahme, da? Odeen trotz allem zu sehr auf seinen Status achtete, um seinem Mittling zu helfen.
O nein, dachte Odeen ernst. Er wurde keine Fragen stellen. Er wurde nur erklaren.
Als sie zu Hause ankamen, eilte Tritt geschaftig hin und her. 'Wenn ihr beide euch unterhalten wollt, geht in Duas Zimmer. Ich habe hier drau?en zu tun. Ich mu? die Kinder waschen und Ubungen mit ihnen machen. Keine Zeit zum Verschmelzen. Kein Verschmelzen.'
Weder Odeen noch Dua hatten uberhaupt daran gedacht. Dennoch lag es ihnen fern, die Anordnung zu mi?achten. Das Heim des Elterlings war seine Burg. Ein Denkling hatte seine Hart-Hohlen, ein Gefuhlsling seinen Treffpunkt an der Oberflache. Der Eiterung hatte nur sein Heim.
Odeen erwiderte deshalb: 'Ja, Tritt. Wir verschwinden ja schon.'
Und Dua bildete liebevoll einen Auslaufer und sagte: 'Wie schon, dich zu sehen, liebster Linksling.' (Odeen fragte sich, ob diese Geste etwa auch darauf zuruckzufuhren war, da? sie nicht zum Verschmelzen gedrangt wurde. Tritt ubertrieb damit immer ein wenig; mehr noch als andere Elterlinge.)
In ihrem Raum starrte Dua auf ihren E?platz, den sie gewohnlich ignorierte.
Das war Odeens Einfall gewesen. Er wu?te, da? es so etwas gab, und - wie er Tritt erklarte - wenn Dua nicht mit den anderen Gefuhlslingen ausschwarmen wollte, war es ohne weiteres moglich, Sonnenenergie in die Hohle zu leiten, so da? sie hier essen konnte.
Tritt war entsetzt gewesen. So etwas tat man einfach nicht. Da mu?ten die anderen ja lachen. Die ganze Triade ware entehrt. Warum tat Dua nicht, was sich gehorte?
'Ja, Tritt', hatte Odeen erwidert, 'aber sie tut nun mal nicht, was sich gehort - warum sollten wir ihr also nicht nachgeben? Ist das so schrecklich? Sie a?e dann fur sich, gewanne an Substanz und machte uns glucklicher. Sie selbst ware auch glucklicher und wurde dann vielleicht sogar lernen, mit den anderen Gefuhlslingen auszukommen.'
Tritt willigte ein, und auch Dua hatte - nach einigem Hin und Her - nichts einzuwenden, bestand jedoch auf einem einfachen Modell, das nur zwei Elektroden fur die Sonnenenergie hatte, so angeordnet, da? sich Dua dazwischensetzen konnte.
Dua benutzte das Gerat kaum, doch heute starrte sie es an und sagte: 'Tritt hat es geschmuckt... oder bist du das gewesen?' 'Ich? Naturlich nicht.'
Einige bunte Lehmstreifen zogen sich um den Fu? der Elektroden. 'Ich nehme an, er will mir damit sagen, da? ich sie benutzen soll', meinte Dua. 'Ich bin auch wirklich hungrig. Au?erdem wurde uns Tritt bestimmt nicht unterbrechen, solange ich esse, oder?'
'Nein', antwortete Odeen ernst. 'Tritt wurde sogar die Welt anhalten, wenn er meinte, die Rotation konnte dich beim Essen storen.'
'Also - ich bin wirklich hungrig', sagte Dua.
Odeen glaubte ein Schuldgefuhl aufzufangen. Ein Schuldgefuhl wegen Tritt? Wegen ihres Hungers? Warum sollte sich Dua schuldig fuhlen, weil sie hungrig war? Oder hatte sie etwas getan, das Energie erforderte, und war nun deshalb...
Ungeduldig schob er den Gedanken beiseite. Es gab Momente, da ein Denkling zu sehr grubelte und sich in seine Uberlegungen verrannte, ohne sich noch darum zu kummern, was wichtig war und was nicht. Im Augenblick kam es nur auf sein Gesprach mit Dua an.
Sie setzte sich zwischen die Elektroden, und als sie sich dazu zusammenfaltete, wurde ihre Winzigkeit ganz offensichtlich. Auch Odeen war hungrig; er sah das an den Enden der Elektroden, die ihm heller vorkamen als gewohnlich, und noch auf diese Entfernung nahm er den kostlichen Geschmack der Nahrung wahr. Wenn man hungrig war, schmeckte man die Nahrung auf gro?ere Distanz als gewohnlich... Aber er wollte spater essen.
'Sitz da nicht so stumm herum, mein lieber Linksling. Er-zahl's mir. Ich will alles wissen.' Dua hatte (unbewu?t?) die ovale Form eines Denklings angenommen, wie um damit zu dokumentieren, da? sie als Denkling angesehen werden wollte.
'Alles kann ich dir unmoglich erklaren, Dua. Die Wissenschaft, meine ich, denn dir fehlt doch das Grundwissen. Ich will mich moglichst einfach ausdrucken, und du horst erst einmal zu. Hinterher sagst du mir dann, was du nicht verstanden hast, und ich versuche das dann zu erklaren. Zunachst wei?t du sicherlich, da? alle Materie aus winzigen Partikeln besteht, die Atome genannt werden, und da? diese aus noch kleineren Bausteinen bestehen.'