Geschichtswerk, das er plante.

Hallam schien nicht abgeneigt. Im Laufe der Jahre war seine Popularitat in derartige Hohen gestiegen, da? man sich fragen mochte, warum er nicht standig Nasenbluten hatte. Physisch war er imponierend gealtert, wenn er auch nicht mehr der Schlankste war. Sein Korper hatte eine gewisse Schwere, die dem Mann einen Anstrich von Gewichtigkeit gab, und wenn sein Gesicht auch nicht gerade fein geschnitten war, so vermochte er ihm doch einen Hauch intellektueller Gelassenheit zu geben. Noch immer rotete sich sein Nacken sehr schnell, und seine Mimosenhaftigkeit war allseits bekannt.

Hallam hatte sich vor Lamonts Eintritt kurz unterrichten lassen. Er sagte: 'Sie sind Dr. Peter Lamont, und wie man mir sagt, haben Sie sich bisher mit gutem Erfolg an der Paratheorie versucht. Ich erinnere mich an Ihre Abhandlung. Uber die Paraverschmelzung, nicht wahr?'

'Jawohl, Sir.'

'Nun, dann frischen Sie mein Gedachtnis auf. Erzahlen Sie mir davon. Ganz zwanglos naturlich, als sprachen Sie zu einem Laien. Immerhin ' und er lachte leise - 'bin ich, genau genommen, tatsachlich Laie. Wie Sie wissen, bin ich Radiochemiker und kein gro?er Theoretiker, ein paar wenige Ideen hier und da ausgenommen.'

Lamont akzeptierte diese Au?erung damals ohne Vorbehalt, und tatsachlich war sie vielleicht nicht ganz so unverschamt herablassend, wie er sie spater im Ruckblick sehen wollte. Jedenfalls war sie typisch, wie Lamont spater herausfand oder zumindest behauptete, fur Hallams Methode, sich aus der Arbeit anderer das Wesentliche herauszugreifen. Er konnte anschlie?end in anderem Kreise flott uber das Thema sprechen, ohne sich allzu gro?e Muhe zu geben oder uberhaupt die Anstrengung zu machen, seine Quellen offenzulegen.

Doch Lamont, der zu jenem Zeitpunkt noch ziemlich am Beginn seiner Laufbahn stand, war geschmeichelt und legte sofort mit jener wortreichen Begeisterung los, die man bei der Erlauterung eigener Entdeckungen empfindet. 'Ich habe wirklich noch nicht viel erreicht, Dr. Hallam. Die Naturgesetze des Parauniversums abzuleiten die Paragesetze , ist eine kitzlige Sache. Die Ausgangsbasis ist sehr schmal. Ich machte mir die geringen vorhandenen Kenntnisse zunutze, ohne neue, unbeweisbare Wege einzuschlagen. Mir erscheint es zum Beispiel offensichtlich, da? bei einer starkeren nuklearen Wechselwirkung die Verschmelzung kleiner Kerne erleichtert wird.'

'Paraverschmelzung', sagte Hallam.

'Jawohl, Sir. Es ging nun darum, die Einzelheiten abzuleiten. Die mathematischen Berechnungen waren nicht ganz einfach, doch nach ein paar Transformationen schrumpften die Schwierigkeiten zusammen. Es erweist sich zum Beispiel, da? Lithiumhydrid zu einer katastrophalen Verschmelzung angeregt werden kann, bei einer Temperatur, die um vier Gro?enordnungen tiefer liegt als hier. Bei uns ist die Temperatur einer Atombombe erforderlich, um Lithiumhydrid zur Explosion zu bringen, doch im Parauniversum wurde, bildlich gesprochen, eine einfache Dynamitladung ausreichen. Es ware vielleicht auch denkbar, da? das Lithiumhydrid dort mit einem Streichholz entzundet werden konnte, aber das ist doch nicht sehr wahrscheinlich. Wie Sie wissen, haben wir ihnen Lithiumhydrid angeboten, da die Kernenergie ihnen offenbar ganz selbstverstandlich ist, aber sie haben die Finger davon gelassen.'

'Ja, ich wei?.'

'Es ware offensichtlich zu riskant fur sie - so als benutzten sie tonnenweise Nitroglyzerin als Raketentreibstoff, nur schlimmer.'

'Sehr schon. Und Sie schreiben also auch eine Geschichte der Pumpe.'

'Einen allgemein verstandlichen Abri?, Sir. Wenn das Manuskript fertig ist, wurde ich Sie gern bitten, es zu lesen, damit ich von Ihrer intimen Kenntnis der Ereignisse profitieren kann. Schon heute wurde ich Sie gern zu einigen Punkten befragen, wenn Sie ein wenig Zeit fur mich hatten.'

'Das la?t sich einrichten. Was mochten Sie wissen?' Hallam lachelte. Es war das letztemal uberhaupt, da? er in Lamonts Gegenwart lachelte.

'Die Entwicklung einer nutzbaren Pumpe, Professor Hallam, erfolgte mit ungewohnlicher Geschwindigkeit', begann La-mont. 'Als das Pumpenprojekt '

'Das Inter-Universum-Elektronenpumpen--Projekt', berichtigte ihn Hallam, noch immer lachelnd.

'Ja, naturlich', sagte Lamont und rausperte sich. 'Ich habe nur die allgemein gebrauchliche Bezeichnung benutzt. Als das, Projekt begonnen hatte, wurden die technischen Einzelheiten in gro?em Tempo und ohne zeitraubende Umwege entwickelt.'

'Das ist wahr', erwiderte Hallam mit einem Hauch von Selbstgefalligkeit. 'Man hat mir einreden wollen, die Anerkennung hierfur gebuhre meiner durchgreifenden und einfallsreichen Projektleitung, doch ich wurde es ungern sehen, wenn Sie das in Ihrem Buch zu sehr herausstellten. Jedenfalls hat bei dem Projekt eine Vielzahl fahiger Leute mitgewirkt, und ich mochte nicht, da? der Einsatz einzelner Teammitglieder durch eine Ubertreibung meiner Rolle herabgewurdigt wird.'

Lamont schuttelte ein wenig verargert den Kopf. Er hielt die Bemerkung fur unangebracht. Er sagte: 'Das meine ich nicht. Ich beziehe mich auf die Intelligenz am anderen Ende - die Paramenschen, um den bekannten Ausdruck zu verwenden. Sie gaben doch den Ansto?. Wir entdeckten sie nach dem ersten Wolfram-Plutonium- Austausch; sie dagegen mu?ten uns langst ausgemacht haben, um den Austausch uberhaupt vornehmen zu konnen; sie arbeiteten aufgrund einer Theorie ins Blaue hinein

- hatten nicht die Hinweise von uns, die sie uns selbst gaben.

Und da ist auch die Metallfolie, die sie uns schickten ...'Hallams Lacheln war verschwunden, fur immer. Er runzelte die Stirn und sagte laut: 'Die Symbole wurden nicht entziffert. Nichts an ihnen.'

'Die geometrischen Figuren wurden durchaus entziffert, Sir. Ich habe nachgeschlagen, und es ist ganz offensichtlich, da? sie die Geometrie der Pumpe bestimmten. Es will mir scheinen, als

Mit wutendem Schurren fuhr Hallams Stuhl zuruck. Er sagte: 'Fanden wir erst gar nicht damit an, junger Mann. Wir haben die Arbeit getan, nicht sie.'

'Ja - aber stimmt es denn nicht, da? sie '

'Da? sie was?'

Lamont wurde sich erst jetzt der Erregung bewu?t, die er heraufbeschworen hatte, doch er verstand den Grund dafur nicht. Unsicher sagte er: 'Da? sie intelligenter sind als wir - da? sie die eigentliche Arbeit getan haben. Bestehen daran irgendwelche Zweifel, Sir?'

Mit tiefrotem Gesicht hatte sich Hallam hochgestemmt. 'Jeder Zweifel!' brullte er. 'Ich dulde hier keinen Mystizismus! Davon schwirrt schon viel zuviel herum! Horen Sie mal, junger Mann, wenn Ihr Geschichtswerk die Meinung vertreten sollte, da? wir Marionetten in der Hand der Paramenschen waren, wird es nicht veroffentlicht werden, geschweige denn von diesem Institut, wenn ich es einrichten kann. Ich lasse es nicht zu, da? die Menschheit und ihre Intelligenz herabgewurdigt und die Paramenschen in den Stand von Gottern erhoben werden.'

Darauf blieb Lamont nur der Ruckzug. Er war verwirrt und zutiefst besturzt, einen solchen Sturm entfacht zu haben, wo er doch nur Hilfe suchte.

Und nun mu?te er feststellen, da? seine geschichtlichen Quellen plotzlich versiegten. Leute, die vor einer Woche noch gesprachig gewesen waren, erinnerten sich auf einmal an gar nichts mehr und hatten keine Zeit mehr fur Interviews.

Lamont war zuerst nur gereizt, dann erfullte ihn eine zunehmende Wut. Er uberarbeitete sein bisher gesammeltes Material mit neuen Augen und begann nun hartnackig zu insistieren, wo er zuvor nur gefragt hatte. Wenn er dienstlich mit Hallam zusammenkam, runzelte dieser nur die Stirn und schaute durch ihn hindurch, wahrend Lamont seinerseits verachtlich dreinschaute.

In der Folge begann Lamonts Hauptkarriere als Paratheoretiker im Sande zu verlaufen, und er wandte sich entschlossener denn je seiner zweiten Karriere als wissenschaftlicher Historiker zu.

6 (Fortsetzung)

'Dieser verdammte Narr', murmelte Lamont. 'Du hattest ihn sehen sollen, wie er in Panik geriet bei der ersten Andeutung, da? die andere Seite vielleicht die ausschlaggebende Kraft gewesen ist. Wenn ich daran zuruckdenke, frage ich mich, weshalb ich nicht von vornherein wu?te, da? er so reagieren wurde. Sei nur froh, da? du nie mit ihm zusammenarbeiten mu?test.'

'Bin ich auch', sagte Bronowski gleichgultig. 'Obwohl es Momente gibt, da auch du kein Engel bist.'

'Du kannst dich nicht beklagen. Bei deiner Arbeit hast du doch keine Probleme.'

'Und auch kein Interesse. Wer macht sich schon etwas daraus au?er mir und funf anderen auf der Welt? Vielleicht sind es ja auch sechs - wenn du dich erinnerst.'

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