Garrison hatte im wesentlichen gesagt: '... solange die Elektronenpumpe als Schlussel zum menschlichen Paradies gilt, ist Hallam unantastbar.'

Dieser Satz ging Lamont im Kopfe herum, als er sich nun zum erstenmal von Hallam abwandte und seine Aufmerksamkeit auf die Elektronenpumpe richtete.

War denn die Elektronenpumpe tatsachlich der Schlussel zum Paradies? Oder gab es, beim Himmel, irgendwo einen Haken?

Bisher hatte noch jedes Ding einen Haken gehabt. Was war der Haken bei der Elektronenpumpe?

Lamont kannte sich in der Geschichte der Paratheorie hinreichend aus, um zu wissen, da? auch das Problem eines 'Hakens' bereits erforscht war. Nach der ersten Ankundigung, die grundsatzliche Wirkung der Elektronenpumpe bestehe darin, Elektronen aus dem Universum in das Parauniversum zu pumpen, hatte es naturlich sofort Stimmen gegeben, die da fragten: 'Aber was ist, wenn alle Elektronen hinubergepumpt sind?'

Das lie? sich leicht beantworten. Bei der gro?ten vertretbaren Pumpleistung wurde der Elektronenvorrat mindestens eine Billion Billion Billionen Jahre reichen - und das gesamte Universum und wahrscheinlich auch das Parauniversum wurden nur noch einen winzigen Bruchteil dieser Zeit zu leben haben.

Der zweite Einwand war schwieriger. Es gab einfach keine Moglichkeit, alle Elektronen hinuberzupumpen. Durch das Pumpen der Elektronen gewann das Parauniversum an negativer Ladung und das Universum an positiver Ladung hinzu, so da? es mit jedem Jahr, da dieser Unterschied in der Ladung wuchs, schwieriger wurde, weitere Elektronen gegen die Kraft der Ladungsdifferenz zu pumpen. Tatsachlich gepumpt wurden naturlich nur neutrale Atome, doch durch die bei dem Vorgang entstehende Verzerrung der Kreisbahnelektronen ergab sich eine effektive Ladung, die mit den nachfolgenden radioaktiven Veranderungen erheblich zunahm.

Wenn die Ladungsanreicherung an den Pumpstellen verblieben ware, hatte der Effekt auf die kreisbahnverzerrten gepumpten Atome den gesamten Vorgang fast sofort zum Stillstand gebracht, aber naturlich durfte die Diffusion nicht vergessen werden. Die Ladungsanreicherung verteilte sich uber die Erde, und die Wirkung auf den Pumpvorgang war unter Berucksichtigung dieser Tatsache berechnet worden.

Die zunehmende positive Ladung der Erde drangte den positiv geladenen solaren Wind in eine allgemein gro?ere Entfernung vom Planeten ab, und die Magnetosphare vergro?erte sich. Aufgrund der Arbeit McFarlands (der nach Lamonts Auffassung der eigentliche Urheber der Gro?en Einsicht war) lie? sich zeigen, da? ein gewisser Ausgleich erzielt wurde, indem der solare Wind immer mehr von den sich ansammelnden positiven Partikeln davonfegte, die von der irdischen Erdoberflache abgesto?en und in die Exosphare hinaufgetrieben wurden. Mit jeder Zunahme der Pumpleistung, mit jeder neuen Pumpstation erhohte sich die positive Ladung auf der Erde um ein Geringes, und die Magnetosphare dehnte sich um ein paar Kilometer aus. Die Veranderung fiel jedoch gering aus, und die positive Ladung wurde zum Schlu? vom solaren Wind davongeweht und in den au?eren Bereichen des Sonnensystems verbreitet.

Trotzdem - selbst bei schnellstmoglicher Verbreitung der Ladung ruckte einmal der Zeitpunkt heran, da der Ladungsunterschied zwischen dem Universum und dem Parauniversum an den Pumpstellen so gro? wurde, da? der Proze? zum Stillstand kam - und das wurde nur ein kleiner Bruchteil jener Zeit sein, die zum Aufbrauchen aller Elektronen benotigt wurde; etwa ein Billionbillionstel der Zeit.

Aber das bedeutete, da? das Pumpen noch immer eine Billion Jahre lang moglich war. Nur eine einfache Billion Jahre, die aber schon ausreichte. Eine Billion Jahre - so lange wurde nicht einmal der Mensch uberdauern oder das Sonnensystem. Und wenn der Mensch diese Zeit doch irgendwie durchstand (oder eine andere Kreatur, die der Nachfolger und Verdranger des Menschen war), dann wurde zweifellos noch eine Moglichkeit gefunden, diesen Umstand zu andern. In einer Billion Jahren konnte viel geschehen.

Lamont mu?te das zugeben.

Aber dann fiel ihm etwas anderes ein, ein neuer Gedankengang, den Hallam, wie er sich erinnerte, personlich in einem seiner Artikel fur die breite Offentlichkeit dargelegt hatte. Angewidert suchte er den Artikel heraus. Es war wichtig, zu wissen, was Hallam gesagt hatte, ehe er die Angelegenheit weiterverfolgte.

Der Artikel lautete auszugsweise: 'Aufgrund der stets gegenwartigen Schwerkraft assoziieren wir den Begriff 'bergab' mit jener Art unvermeidlicher Veranderung, die wir zur Erzeugung von Energie verwenden konnen, - Energie, die sich in nutzliche Arbeit umwandeln la?t. Es ist das 'bergab' laufende Wasser, das in den letzten Jahrhunderten Rader drehte, die ihrerseits Maschinen wie Pumpen und Generatoren antrieben. Aber was geschieht, wenn alles vorhandene Wasser bergab geflossen ist?

Die Wiederaufnahme der Arbeit ist dann erst moglich, wenn das Wasser wieder auf den Berg - bergauf - geschafft worden ist und das erfordert Arbeit. Genau genommen erfordert es mehr Arbeit, das Wasser bergauf zu ziehen, als sich wieder herausholen la?t, wenn wir es dann erneut bergab flie?en lassen. Wir arbeiten also mit einem Energieverlust. Zum Gluck ubernimmt die Sonne diese Arbeit fur uns. Sie la?t das Meer verdunsten, so da? der Wasserdampf hoch in die Atmosphare steigt, dort Wolken bildet und fruher oder spater als Regen oder Schnee wieder herabfallt. Dieser Niederschlag durchtrankt den Boden in allen Hohenlagen, fullt die Bache und Strome und la?t das Wasser auf ewig bergab laufen.

Doch nicht fur alle Ewigkeit. Die Sonne kann den Wasserdampf aufsteigen lassen - doch nur weil sie, nuklear gesehen, ebenfalls bergab lauft. Sie lauft mit einer Geschwindigkeit bergab, die unendlich gro?er ist als das Tempo jedes irdischen Flusses, und wenn sich der Strom erschopft hat, gibt es unseres Wissens nichts, was da wieder bergauf gezogen werden kann.

Alle Energiequellen des Universums sind bergab gerichtet -m eine Richtung , und wir konnen ein vorubergehendes Bergauf, ein Zuruck, nur erzwingen, indem wir uns ein noch gro?eres Bergab in der Nahe zunutze machen. Wenn wir nutzliche Energie wollen, fur alle Ewigkeit, benotigen wir dafur eine Stra?e, die in beiden Richtungen bergab fuhrt. Das ist ein Paradoxon in unserem Universum; unsere Vernunft gebietet, da? jedes Ding, das in einer Richtung bergab fuhrt, in der anderen wieder nach oben geleitet wird.

Aber mussen wir uns auf unser Universum beschranken? Denken wir einmal an das Parauniversum. Auch dieses Universum hat Stra?en, die in einer Richtung bergab fuhren und in der anderen nach oben. Diese Stra?en passen jedoch nicht zu den unseren. Es ist denkbar, einer bergab fuhrenden Stra?e aus dem Parauniversum in unser Universum zu folgen, die jedoch, wenn wir sie von unserem Universum in das Parauniversum zuruckbeschreiten, wiederum bergab fuhrt - weil die beiden Univer-sen unterschiedliche Gesetze kennen. Die Elektronenpumpe macht sich die Vorteile einer Stra?e zunutze, die in beiden Richtungen bergab fuhrt. Die Elektronenpumpe ...'

Lamont blatterte zuruck und las noch einmal den Titel des Artikels. Er lautete: 'Die Stra?e, die in beiden Richtungen bergab fuhrt.'

Er begann zu uberlegen. Die hier entwickelten Vorstellungen waren ihm naturlich nicht neu, ebensowenig wie ihre thermodynamischen Konsequenzen. Aber warum sollte er die Vermutungen nicht einmal uberprufen? Vermutungen waren die schwachen Punkte in jeder Theorie. Wenn nun die Schlu?folgerungen nicht stimmten? Welche Folgen ergaben sich, wenn man von anderen Vermutungen ausging? Von gegensatzlichen?

Er begann aufs Geratewohl, doch nach kaum einem Monat hatte er das Gefuhl, das jeder Wissenschaftler kennt - das endlose Klicken der Details, die unerwartet in den richtigen Zusammenhang fallen, der argerlichen Ungereimtheiten, die plotzlich keine Probleme mehr bergen - das Gefuhl der Wahrheit.

Von diesem Augenblick an begann er Bronowski unter Druck zu setzen.

Und eines Tages sagte er: 'Ich werde noch einmal mit Hallam sprechen.'

Bronowski hob die Augenbrauen. 'Wozu das?'

'Damit er mich rauswirft.'

'So habe ich mir das fast gedacht. Du bist unglucklich, wenn sich deine Lage ein wenig normalisiert.'

'Du begreifst nicht. Es ist mir wichtig, da? er es ablehnt, mich anzuhoren. Ich brauche mir dann hinterher nicht sagen zu lassen, ich hatte ihn ubergangen, er hatte nichts davon gewu?t.'

'Wovon? Von der Ubersetzung der Parasymbole? Die gibt es doch noch gar nicht. Komm, du darfst nicht voreilig handeln, Pete.'

'Nein, nein, das nicht.' Und mehr wollte er nicht sagen.

Hallam machte es Lamont nicht gerade einfach; es dauerte einige Wochen, ehe er fur den jungeren Mann Zeit fand. Aber auch Lamont hatte nicht die Absicht, Hallam das Gesprach leichtzumachen.

Er spazierte kampflustig in das Buro. Hallam hatte ein starres Gesicht aufgesetzt und musterte sein Gegenuber mit dusterem Blick.

Abrupt sagte er: 'Was ist das fur eine Krise, von der Sie da reden?'

'Es hat sich etwas ergeben, Sir', sagte Lamont tonlos, 'angeregt durch einen Ihrer Artikel.'

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