wahrscheinlich gut, da? wir in unser Heimatland zuruckkehren. Ihr solltet das auch tun. Dieses Land hier ist wenig gastfreundlich. Armut, Sklaven und Krieg. Gott gebe uns eine gluckliche Heimkehr ins Frankenland.«

»Dazu sage ich amen, Dado«, murmelte der Fahrer.

Eadulf sa? stumm und mit geroteten Wangen dabei. Es argerte ihn, da? die Fremden auf solche Weise uber sein Land sprachen. Das Schlimme war nur, da? ihm nichts einfiel, was er hatte dagegen sagen konnen. Sein Volk war ein Kriegervolk, das Europa uberschwemmt und sich mit dem Schwert genommen hatte, was es erlangen konnte. Bevor der neue Glaube es erreichte, galt als das schonste Lebensende der Tod auf dem Schlachtfeld, mit dem Schwert in der Hand und dem Namen des Gottes Wotan auf den Lippen.

Es war noch keine hundert Jahre her, da? Wuffa, der Sohn des Wehha, sein Volk in dieses Land gefuhrt und sich zum Konig von Ost-Angeln gemacht hatte, nachdem er die Briten weiter nach Westen vertrieben hatte. Zehn Konige waren auf Wuffa gefolgt, der von Wotan selbst abstammte, von Casere, dem vierten Sohn des gro?en Gottes. Eadulf als gerefa konnte die acht Generationen zwischen Wotan und Wuffa aufzahlen. Er konnte sogar die zehn Generationen aufzahlen, die Wuffa von Konig Ealdwulf trennten.

Wuffas Sohn Tytila fiel in der Schlacht gegen Ce-olwulf von Wessex; Redwald wurde bretwalda oder Oberherr der sachsischen Konigreiche; Eorpwald wurde von seinem Bruder ermordet, weil er zum Christentum ubertrat; Ricbert der Heide fand ein ungewisses Ende; dann Sigebert, Egric, Anna und Athel-here, die in der Schlacht starben, mit dem Schwert in der Hand. Danach kam Athelwold, der beinahe acht Jahre regierte, ehe Ealdwulf an die Macht gelangte. Normalerweise hatte Eadulf stolz die Konige der OstAngeln aufgezahlt. Aber er war weit gereist und hatte viel gesehen und fragte sich nun, ob man wirklich stolz darauf sein konnte, aus einem Kriegervolk zu stammen, das keinen anderen Handel zu bieten hatte als den Sklavenhandel.

Er erschauerte und zog seinen Mantel fester um sich. Er war wohl zu lange in den funf Konigreichen von Eireann gewesen, da? er jetzt die Werte seines eigenen Volkes anzweifelte? Es war noch nicht so lange her, da ware er als junger Mann stolz darauf gewesen, sein Schwert zu ergreifen, sich in die Schlacht zu sturzen und Wotan, Thunor oder Frig dabei anzurufen! Aber es gab keinen Weg zuruck. Er war weiter gegangen, und es war nicht nur die im Ausland verbrachte Zeit, die ihn an diesen Werten zweifeln lie?, sondern der neue Glaube selbst. Der stellte alle die alten Werte und alle die alten Brauche in Frage.

»Du bist so still, Eadulf. Ist etwas mit dir?«

Auf Fidelmas leise Frage hin wandte er sich ihr zu und rang sich ein Lacheln ab.

»Ich denke nur nach, weiter nichts.«

Der Wagen bewegte sich langsam den Fahrweg entlang. Die Maultiere waren trittsicher und abgehartet und hatten scheinbar muhelos das schwere Gefahrt durch den Flu? gezogen.

»Du sagtest, man hatte berichtet, es gabe Geachtete in den Waldern, mein Freund«, sagte Eadulf plotzlich zu Dagobert, dem Fahrer. »Hast du etwas von einem Geachteten namens Aldhere gehort?«

Dagobert nickte, aber es war sein Begleiter Dado, der darauf antwortete.

»Wir haben viele getroffen, die von Aldhere sprachen«, erklarte er. »Dem Allmachtigen sei Dank, da? wir ihm nicht begegnet sind, denn sonst wurden wir wohl noch armer zuruckkehren, als wir es jetzt schon sind - das hei?t, wenn wir uberhaupt nach Hause kamen.«

»Also ein wilder Geachteter?« forschte Eadulf.

»Das nicht«, schaltete sich Dagobert ein, ehe sein Begleiter antworten konnte. »Mein Freund Dado vergi?t dir zu erzahlen, da? viel uber ihn gesprochen wurde, aber wenig Schlechtes.«

»Wenig Schlechtes?« wiederholte Eadulf. »Das ist ungewohnlich, nicht wahr? Meist werden die Geachteten doch von den Einheimischen verflucht.«

»Dieser Mann nicht«, sagte Dagobert.

»Die meisten Leute glauben anscheinend, da? er zu Unrecht geachtet wurde«, erklarte Dado. »Man erzahlt sich, er sei ein tapferer Krieger, der falschlich der Feigheit beschuldigt wurde und ins nahe Moorland ging, um sein Leben zu retten.«

»Wurde auch irgend etwas von einem Bruder dieses Geachteten gesagt?« fragte Eadulf harmlos.

»Ein Bruder?« Dado blickte seinen Gefahrten an und zuckte die Achseln.

»Ein Bruder wurde nie erwahnt. Wei?t du mehr von der Geschichte, mein Freund?« erkundigte sich Dagobert.

Eadulf schuttelte den Kopf. »Ich habe dieselbe Geschichte gehort, wie du sie erzahlt hast, aber ich dachte, es ware auch die Rede von einem Bruder gewesen, der dafur sorgte, da? Aldhere beim Konig in Ungnade fiel.«

Dado schnaufte. »Davon haben wir nichts vernommen. Uns ging es allerdings hauptsachlich darum, da? wir diesem Geachteten und seiner Bande nicht in die Hande fielen. Man hort so allerlei Geschichten, wenn man unterwegs ist. Das ist einer der Reize des Reisens. Jeder Reisende wei? etwas Interessantes zu berichten.« Dado sah sie plotzlich mit einem schlauen Lacheln an. »Nehmt doch nur euch selbst. Ein sachsischer Monch und eine Frau aus dem Land Eireann wandern zu Fu? durch diese wilde Gegend. Ihr habt doch sicher auch eine Geschichte zu erzahlen, wie?«

Eadulf schuttelte sofort den Kopf, aber Fidelma lachte leise und ging auf das Spiel ein.

»Es gibt wirklich eine Geschichte, Dado aus dem Frankenland«, sagte sie. »Aber wir mu?ten schon sehr lange fahren, um sie ganz erzahlen zu konnen.«

Der Mann machte ein enttauschtes Gesicht.

»Aber du kannst doch wenigstens andeuten, um was es dabei geht?«

Fidelma sprach leise in vertraulichem Ton.

»Es ist die Geschichte von der Schwester des Konigs und ihrem Geliebten, die fortgehen, um ihr Gluck in einem fremden und furchterregenden Land zu suchen ...«

Der Mann machte gro?e Augen, und sein Mund stand etwas offen.

»Weiter, weiter«, flusterte er. »Das hort sich nach einer guten Geschichte an, die man prachtig weitererzahlen kann.«

»Allerdings, denn sie werden in diesem seltsamen Land von Menschen und von Geistern verfolgt, und auf ihrem Weg sind sie standig bedroht von .«

»Eine tolle Geschichte«, frohlockte Dado, der offensichtlich nicht nur schwatzhaft, sondern auch romantisch veranlagt war. »Sprich weiter .«

»Nun ...«

»Nun«, unterbrach Eadulf mi?billigend, »mussen wir den Rest deiner Phantasie uberlassen, denn hier mussen wir absteigen. Gottes Segen fur eure Hilfe, meine Freunde, und unseren Dank dafur, da? ihr uns ein Stuck unseres Weges auf eurem Wagen mitgenommen habt. Wir hatten Stunden gebraucht, diesen Ort zu Fu? zu erreichen, bei den tuckischen Schneeverhaltnissen.«

Dagobert hielt den Wagen an und schaute sich uberrascht um.

»Aber hier ist nichts als dichter Wald auf allen Seiten, Bruder. Bist du sicher, da? ihr hier abgesetzt werden wollt? Ihr habt nur noch eine Stunde Tageslicht, und wir wollen bald unser Lager fur die Nacht aufschlagen.«

»Ja, bleibt bei uns und erzahlt die Geschichte weiter«, drangte sie Dado.

Eadulf schuttelte entschlossen den Kopf. »Unser Ziel ist nicht weit von hier, und wir mussen es erreichen, ehe es dunkel wird.«

Dado schaute enttauscht drein. »Wenn ihr sicher seid ...?«

Eadulf war bereits vom Wagen herunter und hatte ihre Taschen mitgenommen, jetzt drehte er sich um und half Fidelma beim Absteigen.

Nachdem sie ihren frankischen Fuhrleuten nochmals gedankt hatten, standen sie auf dem Fahrweg und sahen dem Wagen nach, der durch die wintergrunen Baumen dahinschwankte und verschwand.

Fidelma sah sich in dem dammerigen Wald um und erschauerte leicht.

»Ich hoffe, du hattest recht, Eadulf, als du sagtest, wir hatten nicht mehr weit zu gehen. Bist du sicher, da? du an der richtigen Stelle bist?« fragte sie. »Es war nicht nur eine Ausrede, um unsere neugierigen Freunde zu verlassen? Ich hatte eine lange Geschichte erfunden, um sie bei Laune zu halten.«

Eadulf sah gekrankt aus. »Ich habe keine Zweifel, da? du ihnen eine Geschichte erzahlt hattest. Aber hier ist der Wald von Tunstall, und hier soll sich laut Aldhere eine Gemeinschaft von Monchen und Nonnen aus den funf Konigreichen von Eireann aufhalten, die sich nach dem Edikt von Whitby verbergen. Wenn jemand wei?, wo Garb und seine Familie zu finden sind, dann konnen wir es hier erfahren.«

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