„Johnny! Endlich wieder ein vernunftiges Wort.

Was tust du hier? Haben die Schafe alles um das Dorf herum kahlgefressen?“

„Nein, ich bin auf der Jagd, nicht beim Schafehuten.“ John Doolittle trat aus dem Dickicht hervor.

„Aber wo hast du gesteckt? Du bist seit Wochen verschwunden, und wir haben die Suche nach dir seit Wochen aufgegeben.“

„Ihr habt nach mir gesucht? Das ist schlecht. Aber anscheinend hat es nichts ausgemacht, sonst hatte ich davon erfahren.“

„Was soll das hei?en? Ich verstehe gar nicht, wovon du sprichst. Und was war das mit dem ›vernunftigen Wort‹ — gibt es denn andere? Los, heraus mit der Sprache!“

„Die Geschichte ist ziemlich lang, und ich mu? sie ohnehin allen so rasch wie moglich erzahlen. Komm mit, dann brauche ich nicht zweimal zu berichten.“ Er ging auf das Tal zu, in dem ihr „Heimatdorf“ lag, und Johnny folgte ihm wortlos. Obwohl er noch frisch war, hatte er einige Muhe, dem heimgekehrten Forscher zu folgen; Nick schien es ziemlich eilig zu haben.

Unterwegs trafen sie noch zwei andere Mitglieder ihrer Gruppe — Tom und Alice, die Schafe huteten. Sie folgten Nicks Aufforderung und trieben ihre Tiere so rasch wie moglich in das Dorf zuruck.

Funf weitere Mitglieder der Gruppe befanden sich bereits im Dorf, und Fagin war an seinem gewohnlichen Aufenthaltsort inmitten der ringformig angeordneten Hauser. Nick rief den Lehrer an, als er in Sicht war. „Fagin! Wir sind in Gefahr! Kennst du noch andere Waffen, die du uns noch nicht gezeigt hast?“

Wie ublich vergingen einige Sekunden, bevor die Antwort kam.

„Das ist ja Nick. Wir hatten dich schon fast aufgegeben. Was hast du mit Waffen vor? Glaubst du, da? wir uns verteidigen mussen?“

„Wahrscheinlich.“

„Gegen wen?“

„Nun, sie sehen wie ganz normale Leute aus; aber sie halten keine Tiere, kennen kein Feuer und sprechen anders als wir.“

„Wo bist du auf diese Leute gesto?en? Und weshalb mussen wir uns gegen sie verteidigen?“

„Die Geschichte ist ziemlich lang, furchte ich. Am besten fange ich ganz vorn an, ohne mich mit Einzelheiten aufzuhalten.“

„Einverstanden; ein kurzer Bericht hilft uns allen weiter. Du kannst gleich anfangen.“ Nick verteilte sein Gewicht auf die Hinterbeine und gehorchte.

„Ich wandte mich wie vereinbart nach Suden, kam nur langsam voran und zeichnete eine Karte des Gebiets. In der Gegend, in der wir meistens jagen, hatte sich kaum etwas verandert, aber jenseits der Grenze konnte ich in dieser Beziehung kein Urteil mehr abgeben.

Der auffallendste Punkt am ersten Tag war ein kegelformiger Berg, dessen Hohe alles ubertraf, was ich bisher gesehen hatte. Der Wind war in dieser Gegend ziemlich stark und schien stets zu dem Berg hinuberzuwehen; ich nannte ihn also Sturmgipfel auf der Karte. Dem Wind nach zu urteilen, mu? es auf dem Berg eine Menge Pflanzen geben, die nachts wachsen; eine Expedition mu?te ihn also jedenfalls vor Einbruch der Dunkelheit wieder verlassen.

Sonst verlief eigentlich alles wie gewohnlich. Ich erlegte genugend Tiere, um nicht hungern zu mussen, aber die Tiere unterschieden sich keineswegs von denen, die wir kennen.

Am dritten Morgen, als der Berg schon lange hinter mir lag, geriet ich jedoch in die Fangarme eines unbekannten Tieres, das in einer Hohle lebte. Seine Arme umklammerten meine Beine, und das Tier lie? sich durch meine Speere kaum storen. Wahrscheinlich ware ich nicht entkommen, wenn mir niemand geholfen hatte.“

„Dir hat jemand geholfen?“ Die verwunderte Frage kam sofort — ohne die Pause von wenigen Sekunden, die fur die Bemerkungen des Lehrers typisch war; Jim hatte sich an Nick gewandt. „Wie konnte dir jemand helfen? Von uns war niemand in der Gegend.“

„Es war auch keiner von uns — jedenfalls nicht genau. Er sah wie wir aus und gebrauchte Speere wie wir; aber als wir das Tier in der Hohle getotet hatten und uns zu unterhalten versuchten, sprach er ganz anders. Ich brauchte sogar einige Zeit, bevor ich merkte, da? er uberhaupt sprach, denn er stie? ganz merkwurdige Laute hervor.

Nach einiger Zeit fiel mir ein, da? diese Gerausche Worte bedeuten mu?ten, und ich fragte mich, warum ich nicht schon fruher auf diesen Gedanken gekommen war — schlie?lich konnte ich nicht erwarten, da? jemand, der sich seine Worte selbst ausdenken mu?, die gleichen wie wir gebraucht. Ich beschlo?, ihm zu folgen und seine Sprache nach Moglichkeit zu lernen, denn das erschien mir wichtiger als meine Karte.

Er hatte nichts dagegen, da? ich ihn begleitete, und im Lauf der Zeit lernte ich einige seiner Worte. Das war nicht leicht, denn es genugte nicht, wenn man nur den Laut fur jedes Ding beherrschte. Aber wir jagten langere Zeit gemeinsam und lernten dabei die Sprache des anderen. Wir bewegten uns nicht geradlinig vorwarts, aber ich machte mir genugend Notizen und kann sein Dorf in die Karte eintragen, wenn ich genugend Zeit dazu habe.“

„Dorf?“ Auch diesmal war es Jim, der ihn unterbrach; Fagin hatte nichts gesagt.

„Das ist der einzige Ausdruck, der mir im Augenblick einfallt. Naturlich war es kein Dorf wie unseres hier; es bestand nur aus einer Reihe von Hohlen am Fu? einer steilen Klippe. Einige davon waren sehr klein, aber andere so gro?, da? Leute darin leben konnten. Der eine, den ich kennengelernt habe, gehorte zu diesen Hohlenbewohnern.

Als sie mich sahen, waren sie sehr uberrascht und versuchten mich auszufragen; aber ich verstand sie nicht gut genug, um vernunftige Antworten geben zu konnen. Der eine, den ich bereits kannte, schien ihnen von mir zu erzahlen. Die anderen blieben interessiert und beobachteten mich standig.

Wir hatten die Klippe erst am spaten Nachmittag erreicht, und ich fragte mich zunachst, wo ich diese Nacht schlafen sollte, weil ich nicht gleich erkannte, da? diese Leute in den Hohlen lebten. Als ich endlich begriffen hatte, da? dies der Fall war, konnte ich mich nicht recht dafur begeistern. In dieser Gegend waren die Erdbeben heftiger als anderswo, und die Felswand erschien mir ziemlich gefahrlich.

Als es dunkel zu werden begann, wollte ich fort, um auf einem der Hugel in der Nahe zu ubernachten, mu?te aber feststellen, da? die Leute mich nicht gehen lassen wollten. Sie hatten mich mit Gewalt zuruckgehalten, wenn ich ihnen nicht muhsam erklart hatte, da? ich nicht fliehen, sondern nur allein schlafen wollte. Ich sammelte ohne gro?ere Anstrengung genugend Holz fur die Nacht, wobei mir die Kleineren halfen, als sie erkannten, was ich wollte.“

„Die Kleineren? Waren sie denn nicht alle gleich gro??“ fragte Dorothy.

„Nein, uberraschenderweise nicht. Einige waren nicht gro?er als einen halben Meter, aber manche waren doppelt so gro? wie wir — mindestens drei Meter.

Aber alle sahen sich ahnlich. Allerdings habe ich nicht herausbekommen konnen, worauf dieser Gro?enunterschied beruhte. Einer der Gro?eren schien den anderen Befehle zu erteilen, und im allgemeinen kam ich mit den Kleineren besser aus.

Aber das gehort eigentlich nicht hierher. Als ich die Holzsto?e aufgeschichtet hatte und sie in Brand setzte, beobachteten mich samtliche Hohlenbewohner mit erstaunten Augen.

Sie hatten noch nie ein Feuer gesehen; deshalb hatte ich ohne gro?e Muhe genugend Holz in unmittelbarer Nahe der Klippe gefunden.

Naturlich hatte es zu regnen begonnen, als endlich das letzte Feuer brannte, und ich sah belustigt zu, wie die Hohlenbewohner unentschlossen zogerten. Einerseits schienen sie sich vor dem Regen au?erhalb ihrer Hohlen zu furchten, aber andererseits wollten sie unbedingt die Feuer sehen. Schlie?lich zogen sie sich jedoch in die Hohlen zuruck, obwohl einige lange genug blieben, um zu sehen, wie sich die Feuer auf den Regen auswirkten.

Nachts erschienen sie nicht wieder, aber als das Wasser am nachsten Morgen verdunstet war, tauchten sie sofort wieder auf.

Ich konnte noch viel mehr erzahlen, aber dazu fehlt mir jetzt die Zeit. Ich habe ihre Sprache einigerma?en gelernt — eigentlich ist sie ganz logisch, wenn man die Grundbegriffe kennt — und habe mich lange mit den Leuten unterhalten. Sie interessierten sich vor allem fur die Dinge, die ich kannte, aber sie nicht — Feuermachen,

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